Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite
Das 2. Hauptst. von der grösten
89.

Denn derjenige/ der bey seiner Gemüths-
Ruhe tugendhaftig/gesund/ manie rlich/ geehrt
und reich ist/ auch seine Frey heit und viel Freun-
de
hat/ der kan sich billich als einen vollkomme-
nen glücklichen
Menschen rühmen. Er ist aber
deshalben nicht alsobald unglücklich/ wenn ihm
dieses oder jenes von diesen jetzterwehnten
menschlichen Gütern mangelt/ sondern man muß
den Unterschied machen. Mangelt ihm nur ein
schlechter Zierrath der grösten Glückseeligkeit/
so ist er doch deswegen nicht elend oder unglück-
lich/ (ja er darff nicht einmahl meinen/ daß er
nicht vollkommen glücklich sey/ wenn er nur die
Gemüths-Ruhe als die höchste Glückseeligkeit
besitz3t/) sondern er hat nur diese gröste Glück-
seeligkeit nicht in einem vollkommenen grad.

90.

Mangelt ihm aber ein nöthiges Stü-
cke
der Gemüths-Ruhe/ so list es entweder ein
solches duch dessen Entnehmung er der Ge-
müths-Ruhe völlig beraubet oder entblösset
wird; oder ein solches/ dadurch er in seiner Ge-
müths-Ruhe nur ein wenig zerstöret wird.
Auff die erste Weise wird er unglücklich oder
elend/
und hat das gröste Unglück auf dem Halse.
Auff die andere Weise ist er zwar nicht unglück-
lich noch elende/ aber er kan sich doch auch nicht
vor völlig glücklich gehalten.

91.

Derowegen laß uns nunmehro die ob-
erzehlten Arten der menschlichen Güter betrach-
ten/ um zusehen/ welche von denenselben nöti-

ge
Das 2. Hauptſt. von der groͤſten
89.

Denn derjenige/ der bey ſeiner Gemuͤths-
Ruhe tugendhaftig/geſund/ manie ꝛlich/ geehꝛt
und reich iſt/ auch ſeine Frey heit und viel Freun-
de
hat/ der kan ſich billich als einen vollkomme-
nen gluͤcklichen
Menſchen ruͤhmen. Er iſt aber
deshalben nicht alſobald ungluͤcklich/ wenn ihm
dieſes oder jenes von dieſen jetzterwehnten
menſchlichen Guͤtern mangelt/ ſondern man muß
den Unterſchied machen. Mangelt ihm nur ein
ſchlechter Zierrath der groͤſten Gluͤckſeeligkeit/
ſo iſt er doch deswegen nicht elend oder ungluͤck-
lich/ (ja er darff nicht einmahl meinen/ daß er
nicht vollkommen gluͤcklich ſey/ wenn er nur die
Gemuͤths-Ruhe als die hoͤchſte Gluͤckſeeligkeit
beſitz3t/) ſondern er hat nur dieſe groͤſte Gluͤck-
ſeeligkeit nicht in einem vollkommenen grad.

90.

Mangelt ihm aber ein noͤthiges Stuͤ-
cke
der Gemuͤths-Ruhe/ ſo liſt es entweder ein
ſolches duch deſſen Entnehmung er der Ge-
muͤths-Ruhe voͤllig beraubet oder entbloͤſſet
wird; oder ein ſolches/ dadurch er in ſeiner Ge-
muͤths-Ruhe nur ein wenig zerſtoͤret wird.
Auff die erſte Weiſe wird er ungluͤcklich oder
elend/
und hat das groͤſte Ungluͤck auf dem Halſe.
Auff die andere Weiſe iſt er zwar nicht ungluͤck-
lich noch elende/ aber er kan ſich doch auch nicht
vor voͤllig gluͤcklich gehalten.

91.

Derowegen laß uns nunmehro die ob-
erzehlten Arten der menſchlichen Guͤter betrach-
ten/ um zuſehen/ welche von denenſelben noͤti-

ge
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0128" n="96"/>
        <fw place="top" type="header">Das 2. Haupt&#x017F;t. von der gro&#x0364;&#x017F;ten</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>89.</head>
          <p>Denn derjenige/ der bey &#x017F;einer Gemu&#x0364;ths-<lb/>
Ruhe <hi rendition="#fr">tugendhaftig/</hi>ge&#x017F;und/ <hi rendition="#aq">manie</hi> <hi rendition="#fr">&#xA75B;lich/ geeh&#xA75B;t</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">reich</hi> i&#x017F;t/ auch &#x017F;eine <hi rendition="#fr">Frey heit</hi> und viel <hi rendition="#fr">Freun-<lb/>
de</hi> hat/ der kan &#x017F;ich billich als einen <hi rendition="#fr">vollkomme-<lb/>
nen glu&#x0364;cklichen</hi> Men&#x017F;chen ru&#x0364;hmen. Er i&#x017F;t aber<lb/>
deshalben nicht al&#x017F;obald unglu&#x0364;cklich/ wenn ihm<lb/>
die&#x017F;es oder jenes von die&#x017F;en jetzterwehnten<lb/>
men&#x017F;chlichen Gu&#x0364;tern mangelt/ &#x017F;ondern man muß<lb/>
den Unter&#x017F;chied machen. Mangelt ihm nur ein<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;chlechter Zierrath</hi> der gro&#x0364;&#x017F;ten Glu&#x0364;ck&#x017F;eeligkeit/<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t er doch deswegen nicht elend oder unglu&#x0364;ck-<lb/>
lich/ (ja er darff nicht einmahl meinen/ daß er<lb/>
nicht vollkommen glu&#x0364;cklich &#x017F;ey/ wenn er nur die<lb/>
Gemu&#x0364;ths-Ruhe als die ho&#x0364;ch&#x017F;te Glu&#x0364;ck&#x017F;eeligkeit<lb/>
be&#x017F;itz3t/) &#x017F;ondern er hat nur die&#x017F;e gro&#x0364;&#x017F;te Glu&#x0364;ck-<lb/>
&#x017F;eeligkeit nicht in einem vollkommenen <hi rendition="#aq">grad.</hi></p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>90.</head>
          <p>Mangelt ihm aber <hi rendition="#fr">ein no&#x0364;thiges Stu&#x0364;-<lb/>
cke</hi> der Gemu&#x0364;ths-Ruhe/ &#x017F;o li&#x017F;t es entweder ein<lb/>
&#x017F;olches duch de&#x017F;&#x017F;en Entnehmung er der Ge-<lb/>
mu&#x0364;ths-Ruhe <hi rendition="#fr">vo&#x0364;llig beraubet</hi> oder entblo&#x0364;&#x017F;&#x017F;et<lb/>
wird; oder ein &#x017F;olches/ dadurch er in &#x017F;einer Ge-<lb/>
mu&#x0364;ths-Ruhe nur <hi rendition="#fr">ein wenig zer&#x017F;to&#x0364;ret</hi> wird.<lb/>
Auff die er&#x017F;te Wei&#x017F;e wird er <hi rendition="#fr">unglu&#x0364;cklich oder<lb/>
elend/</hi> und hat das gro&#x0364;&#x017F;te Unglu&#x0364;ck auf dem Hal&#x017F;e.<lb/>
Auff die andere Wei&#x017F;e i&#x017F;t er zwar nicht unglu&#x0364;ck-<lb/>
lich noch elende/ aber er kan &#x017F;ich doch auch nicht<lb/><hi rendition="#fr">vor vo&#x0364;llig glu&#x0364;cklich</hi> gehalten.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>91.</head>
          <p>Derowegen laß uns nunmehro die ob-<lb/>
erzehlten Arten der men&#x017F;chlichen Gu&#x0364;ter betrach-<lb/>
ten/ um zu&#x017F;ehen/ <hi rendition="#fr">welche von denen&#x017F;elben no&#x0364;ti-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">ge</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0128] Das 2. Hauptſt. von der groͤſten 89. Denn derjenige/ der bey ſeiner Gemuͤths- Ruhe tugendhaftig/geſund/ manie ꝛlich/ geehꝛt und reich iſt/ auch ſeine Frey heit und viel Freun- de hat/ der kan ſich billich als einen vollkomme- nen gluͤcklichen Menſchen ruͤhmen. Er iſt aber deshalben nicht alſobald ungluͤcklich/ wenn ihm dieſes oder jenes von dieſen jetzterwehnten menſchlichen Guͤtern mangelt/ ſondern man muß den Unterſchied machen. Mangelt ihm nur ein ſchlechter Zierrath der groͤſten Gluͤckſeeligkeit/ ſo iſt er doch deswegen nicht elend oder ungluͤck- lich/ (ja er darff nicht einmahl meinen/ daß er nicht vollkommen gluͤcklich ſey/ wenn er nur die Gemuͤths-Ruhe als die hoͤchſte Gluͤckſeeligkeit beſitz3t/) ſondern er hat nur dieſe groͤſte Gluͤck- ſeeligkeit nicht in einem vollkommenen grad. 90. Mangelt ihm aber ein noͤthiges Stuͤ- cke der Gemuͤths-Ruhe/ ſo liſt es entweder ein ſolches duch deſſen Entnehmung er der Ge- muͤths-Ruhe voͤllig beraubet oder entbloͤſſet wird; oder ein ſolches/ dadurch er in ſeiner Ge- muͤths-Ruhe nur ein wenig zerſtoͤret wird. Auff die erſte Weiſe wird er ungluͤcklich oder elend/ und hat das groͤſte Ungluͤck auf dem Halſe. Auff die andere Weiſe iſt er zwar nicht ungluͤck- lich noch elende/ aber er kan ſich doch auch nicht vor voͤllig gluͤcklich gehalten. 91. Derowegen laß uns nunmehro die ob- erzehlten Arten der menſchlichen Guͤter betrach- ten/ um zuſehen/ welche von denenſelben noͤti- ge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/128
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/128>, abgerufen am 22.12.2024.