Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Das 2. Hauptst. von der grösten menschlicher Gemüther. Ja er ist zur Lie-be ruhiger Gemüther geschaffen/ theils weil er selber nach der Gemüths-Ruhe als nach sei- nem höchsten Gute trachten soll/ alle Liebe aber sich auff eine Gleichheit mit der geliebten Per- son gründet/ theils auch weil er sonst nicht wür- de in Friede leben können/ wenn er unruhige Gemüther liebet/ denn wie wollen diejenigen die innerlich mit sich selbst keinen Frieden haben mit anderen Leuten und äusserlich friedlich leben können. 81. Es folget hieraus/ daß des Menschen 82. Und also liebet ein vernünfftiger Mensch Ruhe
Das 2. Hauptſt. von der groͤſten menſchlicher Gemuͤther. Ja er iſt zur Lie-be ruhiger Gemuͤther geſchaffen/ theils weil er ſelber nach der Gemuͤths-Ruhe als nach ſei- nem hoͤchſten Gute trachten ſoll/ alle Liebe aber ſich auff eine Gleichheit mit der geliebten Per- ſon gruͤndet/ theils auch weil er ſonſt nicht wuͤr- de in Friede leben koͤnnen/ wenn er unruhige Gemuͤther liebet/ denn wie wollen diejenigen die innerlich mit ſich ſelbſt keinen Frieden haben mit anderen Leuten und aͤuſſerlich friedlich leben koͤnnen. 81. Es folget hieraus/ daß des Menſchen 82. Und alſo liebet ein vernuͤnfftiger Menſch Ruhe
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Das 2. Hauptſt. von der groͤſten
menſchlicher Gemuͤther. Ja er iſt zur Lie-
be ruhiger Gemuͤther geſchaffen/ theils weil
er ſelber nach der Gemuͤths-Ruhe als nach ſei-
nem hoͤchſten Gute trachten ſoll/ alle Liebe aber
ſich auff eine Gleichheit mit der geliebten Per-
ſon gruͤndet/ theils auch weil er ſonſt nicht wuͤr-
de in Friede leben koͤnnen/ wenn er unruhige
Gemuͤther liebet/ denn wie wollen diejenigen die
innerlich mit ſich ſelbſt keinen Frieden haben
mit anderen Leuten und aͤuſſerlich friedlich leben
koͤnnen.
81. Es folget hieraus/ daß des Menſchen
hoͤchſtes Gut darinnen beſtehet wenn es dem
andern Menſchen/ den er liebet/ wohl ge-
het/ und daß ihm deſſelben Elend mehr af-
ſiciret als ſein eigenes/ weil darinnen das We-
ſen aller vernuͤnfftigen und menſchlichen Liebe/
ſo ferne ſie der beſtialiſchen entgegẽ geſetzet wird/
beſtehet/ und ohne dieſen Merckmahl man nicht
ſagen kan/ daß ſich die Seelen zweyer Leiber
mit einander vereinigt haben.
82. Und alſo liebet ein vernuͤnfftiger Menſch
allerdings andere Menſchen mehr als ſich
ſelbſt; und hat alſo gantz nicht zum Grunde
ſeines Thuns und Laſſens eine vernuͤnfft ige
Selbſt Liebe (wie man ſonſten in Schulen
lehret) man wolte denn etwa dieſes alſo ausle-
gen und benehmen/ weil der Menſch durch die
Liebe anderer Menſchen/ in denen er mehr als in
ſich ſelbſt lebet/ allezeit ſeine eigene Gemuͤths-
Ruhe
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/124>, abgerufen am 04.03.2025. |