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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Glückseeligkeit des Menschen.
sich also zu der grösten Glückseeligkeit erheben
könten. Beyde haben ein unerschöpffliches
Meer unzehlicher Wahrheiten/ die der Mensch
nicht auslernen kan/ wenn er gleich noch so alt
würde. Beyde treiben den Menschen/ wenn er
einmahl hinein gerathen zu einer solchen unruhi-
gen Begierde an immer was neues zu erfinden/
daß er seiner selbst und aller seiner andern/ auch
der grösten Güter darüber vergißt; das wir
dannenhero allbereit anders wo die Belustigung/
die ein Mensch in Erforschung solcher Sachen
empfindet/ mit dem Vergnügen eines durstig ge-
wesenen Menschen verglichen/ der ein liebliches
Geträncke getruncken/ welches aber den Durst
nicht stillet/ sondern denselben noch stärcker zu er-
wecken vermögend ist.

51.

Du magst aber diese Betrachtung wohl
bey dir reifflich überlegen/ weil etliche gelehrte
Leute/ die von diesen sonst Lob-würdigen Wissen-
schafften truncken gemacht sind/ aus Passion gegen
dieselben/ sie allzusehr erheben/ und die Erfin-
dung dergleichen neuen Wahrheiten für
das gröste Gut auszugeben sich unterstehen.

52.

Wir haben den Willen des Menschen
noch übrig. Dieser wie wir allbereit erwehnet/
jaget dem erkandten Gut nach/ und erlanget
dasselbige auch/ und folglich ist er dem Guten
zwar näher als der Verstand; Aber doch we-
der er selbst/ noch die von ihm her dependirenden
äusserlichen Thaten
des Menschen können das

höchste

Gluͤckſeeligkeit des Menſchen.
ſich alſo zu der groͤſten Gluͤckſeeligkeit erheben
koͤnten. Beyde haben ein unerſchoͤpffliches
Meer unzehlicher Wahrheiten/ die der Menſch
nicht auslernen kan/ wenn er gleich noch ſo alt
wuͤrde. Beyde treiben den Menſchen/ wenn er
einmahl hinein gerathen zu einer ſolchen unruhi-
gen Begierde an immer was neues zu erfinden/
daß er ſeiner ſelbſt und aller ſeiner andern/ auch
der groͤſten Guͤter daruͤber vergißt; das wir
dannenhero allbereit anders wo die Beluſtigung/
die ein Menſch in Erforſchung ſolcher Sachen
empfindet/ mit dem Vergnuͤgen eines durſtig ge-
weſenen Menſchen verglichen/ der ein liebliches
Getraͤncke getruncken/ welches aber den Durſt
nicht ſtillet/ ſondern denſelben noch ſtaͤrcker zu er-
wecken vermoͤgend iſt.

51.

Du magſt aber dieſe Betrachtung wohl
bey dir reifflich uͤberlegen/ weil etliche gelehrte
Leute/ die von dieſen ſonſt Lob-wuͤrdigen Wiſſen-
ſchafften truncken gemacht ſind/ aus Paſſion gegẽ
dieſelben/ ſie allzuſehr erheben/ und die Erfin-
dung dergleichen neuen Wahrheiten fuͤr
das groͤſte Gut auszugeben ſich unterſtehen.

52.

Wir haben den Willen des Menſchen
noch uͤbrig. Dieſer wie wir allbereit erwehnet/
jaget dem erkandten Gut nach/ und erlanget
daſſelbige auch/ und folglich iſt er dem Guten
zwar naͤher als der Verſtand; Aber doch we-
der er ſelbſt/ noch die von ihm her dependirenden
aͤuſſerlichen Thaten
des Menſchen koͤnnen das

hoͤchſte
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[79/0111] Gluͤckſeeligkeit des Menſchen. ſich alſo zu der groͤſten Gluͤckſeeligkeit erheben koͤnten. Beyde haben ein unerſchoͤpffliches Meer unzehlicher Wahrheiten/ die der Menſch nicht auslernen kan/ wenn er gleich noch ſo alt wuͤrde. Beyde treiben den Menſchen/ wenn er einmahl hinein gerathen zu einer ſolchen unruhi- gen Begierde an immer was neues zu erfinden/ daß er ſeiner ſelbſt und aller ſeiner andern/ auch der groͤſten Guͤter daruͤber vergißt; das wir dannenhero allbereit anders wo die Beluſtigung/ die ein Menſch in Erforſchung ſolcher Sachen empfindet/ mit dem Vergnuͤgen eines durſtig ge- weſenen Menſchen verglichen/ der ein liebliches Getraͤncke getruncken/ welches aber den Durſt nicht ſtillet/ ſondern denſelben noch ſtaͤrcker zu er- wecken vermoͤgend iſt. 51. Du magſt aber dieſe Betrachtung wohl bey dir reifflich uͤberlegen/ weil etliche gelehrte Leute/ die von dieſen ſonſt Lob-wuͤrdigen Wiſſen- ſchafften truncken gemacht ſind/ aus Paſſion gegẽ dieſelben/ ſie allzuſehr erheben/ und die Erfin- dung dergleichen neuen Wahrheiten fuͤr das groͤſte Gut auszugeben ſich unterſtehen. 52. Wir haben den Willen des Menſchen noch uͤbrig. Dieſer wie wir allbereit erwehnet/ jaget dem erkandten Gut nach/ und erlanget daſſelbige auch/ und folglich iſt er dem Guten zwar naͤher als der Verſtand; Aber doch we- der er ſelbſt/ noch die von ihm her dependirenden aͤuſſerlichen Thaten des Menſchen koͤnnen das hoͤchſte

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/111>, abgerufen am 21.11.2024.