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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 14. H. von der vernünfft. Kunst/
leisten/ wovon er keine Vergeltung zu hoffen hat
u. s. w.

29. Diese wenige Regeln werden viel-
leicht vielen gar zu schlecht und einfältig schei-
nen. Und ich muß bekennen/ wenn ich betrach-
te/ was etwan andere alte und neue Philosophi
von Verbesserung der Affecten geschrieben/ daß
mir diese meine Arbeit dagegen selbst gar zu sim-
pel
vorkomme. Aber dieses ist desto besser/ weil
alle Wahrheit von Natur
simpel ist/ und
je bunter und krauser ein Ding gemacht ist/ je
weniger ist gemeiniglich dahinter. Ein guter
Methridat in einer schlechten Büchse/ ist nützlicher
als die süsseste Latwerge in dem zierlichsten und
mit dem buntesten und artigst geschnittenen Pa-
piergen ausgeziereten Gefäß. Hat ein Mensch
aufrichtigen Vorsatz sich zu bessern/ so wird
ihm dieses wenige gnug seyn/ und er wird ver-
hoffentlich alles das/ was andere aus gesunder
Vernunfft angeführet haben/ zu diesen wenigen
Regeln bringen können. Hat er aber diesen
Vorsatz nicht/
so werden ihm alle weitläufftige
und mit denen schönsten Exempeln und Sprü-
chen angezierete Lehren wenig oder nichts nütze
seyn. Denn den Vorsatz sich zu bessern und die
Aufmercksamkeit in der Erforschung der War-
heit kan weder ich noch ein andrer Mensch ihm
geben/ sondern er muß dieselbe mitbringen.

30. Jedoch ist dieser Vorsatz und diese At-
tention
an kein Alter gebunden. Es ist ja Er-

bar-

Das 14. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/
leiſten/ wovon er keine Vergeltung zu hoffen hat
u. ſ. w.

29. Dieſe wenige Regeln werden viel-
leicht vielen gar zu ſchlecht und einfaͤltig ſchei-
nen. Und ich muß bekennen/ wenn ich betrach-
te/ was etwan andere alte und neue Philoſophi
von Verbeſſerung der Affecten geſchrieben/ daß
mir dieſe meine Arbeit dagegen ſelbſt gar zu ſim-
pel
vorkomme. Aber dieſes iſt deſto beſſer/ weil
alle Wahrheit von Natur
ſimpel iſt/ und
je bunter und krauſer ein Ding gemacht iſt/ je
weniger iſt gemeiniglich dahinter. Ein guter
Methridat in einer ſchlechten Buͤchſe/ iſt nuͤtzlicher
als die ſuͤſſeſte Latwerge in dem zierlichſten und
mit dem bunteſten und artigſt geſchnittenen Pa-
piergen ausgeziereten Gefaͤß. Hat ein Menſch
aufrichtigen Vorſatz ſich zu beſſern/ ſo wird
ihm dieſes wenige gnug ſeyn/ und er wird ver-
hoffentlich alles das/ was andere aus geſunder
Vernunfft angefuͤhret haben/ zu dieſen wenigen
Regeln bringen koͤnnen. Hat er aber dieſen
Vorſatz nicht/
ſo werden ihm alle weitlaͤufftige
und mit denen ſchoͤnſten Exempeln und Spruͤ-
chen angezierete Lehren wenig oder nichts nuͤtze
ſeyn. Denn den Vorſatz ſich zu beſſern und die
Aufmerckſamkeit in der Erforſchung der War-
heit kan weder ich noch ein andrer Menſch ihm
geben/ ſondern er muß dieſelbe mitbringen.

30. Jedoch iſt dieſer Vorſatz und dieſe At-
tention
an kein Alter gebunden. Es iſt ja Er-

bar-
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[486/0498] Das 14. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/ leiſten/ wovon er keine Vergeltung zu hoffen hat u. ſ. w. 29. Dieſe wenige Regeln werden viel- leicht vielen gar zu ſchlecht und einfaͤltig ſchei- nen. Und ich muß bekennen/ wenn ich betrach- te/ was etwan andere alte und neue Philoſophi von Verbeſſerung der Affecten geſchrieben/ daß mir dieſe meine Arbeit dagegen ſelbſt gar zu ſim- pel vorkomme. Aber dieſes iſt deſto beſſer/ weil alle Wahrheit von Natur ſimpel iſt/ und je bunter und krauſer ein Ding gemacht iſt/ je weniger iſt gemeiniglich dahinter. Ein guter Methridat in einer ſchlechten Buͤchſe/ iſt nuͤtzlicher als die ſuͤſſeſte Latwerge in dem zierlichſten und mit dem bunteſten und artigſt geſchnittenen Pa- piergen ausgeziereten Gefaͤß. Hat ein Menſch aufrichtigen Vorſatz ſich zu beſſern/ ſo wird ihm dieſes wenige gnug ſeyn/ und er wird ver- hoffentlich alles das/ was andere aus geſunder Vernunfft angefuͤhret haben/ zu dieſen wenigen Regeln bringen koͤnnen. Hat er aber dieſen Vorſatz nicht/ ſo werden ihm alle weitlaͤufftige und mit denen ſchoͤnſten Exempeln und Spruͤ- chen angezierete Lehren wenig oder nichts nuͤtze ſeyn. Denn den Vorſatz ſich zu beſſern und die Aufmerckſamkeit in der Erforſchung der War- heit kan weder ich noch ein andrer Menſch ihm geben/ ſondern er muß dieſelbe mitbringen. 30. Jedoch iſt dieſer Vorſatz und dieſe At- tention an kein Alter gebunden. Es iſt ja Er- bar-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/498>, abgerufen am 26.04.2024.