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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 12. H. von der Vermischung
vernünfftigen Liebe zugeschrieben/ was Wür-
ckunge dieser Mischung gewesen.

40. Jch kan leicht zuvorher sehen/ daß diese Mei-
nung denen wenigsten wird in Kopff wollen/ und
daß sie denen meisten als höchst absurd wird vor-
kommen. Denn werden sie sagen/ sie ist der täg-
lichen Erfahrung zuwider: denn wo die Laster
stetswärend über die Tugend herrscheten/ würde
folgen/ daß kein Mensch jemahlen etwas gu-
tes gethan sondern daß lauter schandbare
und lasterhaffte Thaten vorgingen/
welches
doch nicht geschiehet. Aber es wird ein Warheit
liebender diese objection leicht beantworten kön-
nen. Man sagt in gemein: Wer Schelmen fan-
gen wil/ muß Schelmen darzu brauchen. Oeffters
vertreibt man einen bösen Buben durch den an-
dern. Es folget nicht: Der Mensch thut nicht au-
genblicklich schändliche und straffbare Thaten/
Ergo thut er was gutes/ sondern er kan auch was
thun daß nur nicht so schändlich und so straffbar
ist/ zumahl ausgemacht ist daß nicht alle laster-
haffte
Thaten von der Obrigkeit gestrafft
werden/
oder gestrafft werden können. Wir kön-
nen nicht leugnen/ wir haben alle Begierden zu
nichts gutes. Warumb lassen wir aber die Be-
gierden nicht ausbrechen? Entweder aus
Furcht für der Straffe/ welche die Wollust
und Geldgeitz bey uns erreget/ oder aus Furcht
für der Schande/ die eine Wirckung des
Ehrgeitzes ist. Schmeicheln wir uns aber/ daß

wir

Das 12. H. von der Vermiſchung
vernuͤnfftigen Liebe zugeſchrieben/ was Wuͤr-
ckunge dieſer Miſchung geweſen.

40. Jch kan leicht zuvorher ſehen/ daß dieſe Mei-
nung denen wenigſten wird in Kopff wollen/ und
daß ſie denen meiſten als hoͤchſt abſurd wird vor-
kommen. Denn werden ſie ſagen/ ſie iſt der taͤg-
lichen Erfahrung zuwider: denn wo die Laſter
ſtetswaͤrend uͤber die Tugend herrſcheten/ wuͤrde
folgen/ daß kein Menſch jemahlen etwas gu-
tes gethan ſondern daß lauter ſchandbare
und laſterhaffte Thaten vorgingen/
welches
doch nicht geſchiehet. Aber es wird ein Warheit
liebender dieſe objection leicht beantworten koͤn-
nen. Man ſagt in gemein: Wer Schelmen fan-
gen wil/ muß Schelmen darzu brauchen. Oeffters
vertreibt man einen boͤſen Buben durch den an-
dern. Es folget nicht: Der Menſch thut nicht au-
genblicklich ſchaͤndliche und ſtraffbare Thaten/
Ergo thut er was gutes/ ſondern er kan auch was
thun daß nur nicht ſo ſchaͤndlich und ſo ſtraffbar
iſt/ zumahl ausgemacht iſt daß nicht alle laſter-
haffte
Thaten von der Obrigkeit geſtrafft
werden/
oder geſtrafft werden koͤnnen. Wir koͤn-
nen nicht leugnen/ wir haben alle Begierden zu
nichts gutes. Warumb laſſen wir aber die Be-
gierden nicht ausbrechen? Entweder aus
Furcht fuͤr der Straffe/ welche die Wolluſt
und Geldgeitz bey uns erreget/ oder aus Furcht
fuͤr der Schande/ die eine Wirckung des
Ehrgeitzes iſt. Schmeicheln wir uns aber/ daß

wir
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[354/0366] Das 12. H. von der Vermiſchung vernuͤnfftigen Liebe zugeſchrieben/ was Wuͤr- ckunge dieſer Miſchung geweſen. 40. Jch kan leicht zuvorher ſehen/ daß dieſe Mei- nung denen wenigſten wird in Kopff wollen/ und daß ſie denen meiſten als hoͤchſt abſurd wird vor- kommen. Denn werden ſie ſagen/ ſie iſt der taͤg- lichen Erfahrung zuwider: denn wo die Laſter ſtetswaͤrend uͤber die Tugend herrſcheten/ wuͤrde folgen/ daß kein Menſch jemahlen etwas gu- tes gethan ſondern daß lauter ſchandbare und laſterhaffte Thaten vorgingen/ welches doch nicht geſchiehet. Aber es wird ein Warheit liebender dieſe objection leicht beantworten koͤn- nen. Man ſagt in gemein: Wer Schelmen fan- gen wil/ muß Schelmen darzu brauchen. Oeffters vertreibt man einen boͤſen Buben durch den an- dern. Es folget nicht: Der Menſch thut nicht au- genblicklich ſchaͤndliche und ſtraffbare Thaten/ Ergo thut er was gutes/ ſondern er kan auch was thun daß nur nicht ſo ſchaͤndlich und ſo ſtraffbar iſt/ zumahl ausgemacht iſt daß nicht alle laſter- haffte Thaten von der Obrigkeit geſtrafft werden/ oder geſtrafft werden koͤnnen. Wir koͤn- nen nicht leugnen/ wir haben alle Begierden zu nichts gutes. Warumb laſſen wir aber die Be- gierden nicht ausbrechen? Entweder aus Furcht fuͤr der Straffe/ welche die Wolluſt und Geldgeitz bey uns erreget/ oder aus Furcht fuͤr der Schande/ die eine Wirckung des Ehrgeitzes iſt. Schmeicheln wir uns aber/ daß wir

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/366>, abgerufen am 26.04.2024.