Ob und wo sie wild wachsen, und wo folglich ihr Vaterland sey, ist nochCharakter und Natur der Getreide- arten. zweifelhaft. Denn, daß man sie an einigen Orten ohne Kultur angetroffen habe, beweist nichts. Sie gleichen darin, und daß sie vielleicht eben so sehr von ihrem natürlichen Zustande abgewichen sind, den Hausthieren, die mit ihnen, dem Menschen in alle Klimate folgten, und sich an verschiedene Lebens- weise gewöhnten.
Vor anderen Gräsern unterscheiden sie sich ökonomisch durch ihren grö- ßeren oder mehlhaltigeren Saamen, und dieser ist der Grund ihres Anbaues. Denn nahrhaft und gleichartig in seiner Natur ist der Saame vieler anderen Gräser auch, und wird wirklich zur Nahrung benutzt, wie der Saame der Trespe und des Schwadens.
Sie scheinen alle ursprünglich und in wärmern Klimaten einjährig zu seyn, und es sind nur einige durch die Kultur an Durchwinterung gewöhnt, da die Sommerzeit bei uns zu ihrer Reifung nicht zureichte.
Sie haben mit den meisten Gräsern die Neigung gemein, sich zu bestau- den oder zu bestocken, aus ihren untern Knoten Wurzeln, und sodann neue Sprossen und Halme zu treiben, besonders wenn an diese Knoten frische Erde gebracht, und ihr Schossen aufgehalten wird. Durch sorgfältige Verhinderung des letztern kann man sie sogar mehrere Jahre erhalten und zur Bildung eines dichten Rasens nöthigen.
Durch Beförderung ihres Bestaudens und Abtrennung der Sprossen kann man ihren Saamenertrag zu einer enormen Vermehrung bringen. So brachte der Irrländer Miller aus einem Weizenkorn -- welches er im Junius steckte, indem er im Herbste und im folgenden Frühjahre mehreremal Ableger davon machte und verpflanzte -- in einem Jahre 21,109 Aehren, und in selbigen 576,840 Kör- ner hervor, und glaubt daß er dieses noch weiter hätte treiben können. Meh- rere andere haben bei minderer Sorgfalt doch 40,000 Körner aus einem in einer Jahresfrist hervorgebracht, weswegen es lächerlich ist, von einer 80 bis 100fältigen Vermehrung gewisser Kornarten, als etwas bewundernswürdigen, ohne nähere Angabe des Raums, des Bodens und der Kultur, reden zu hören.
Getreidearten.
§. 15.
Ob und wo ſie wild wachſen, und wo folglich ihr Vaterland ſey, iſt nochCharakter und Natur der Getreide- arten. zweifelhaft. Denn, daß man ſie an einigen Orten ohne Kultur angetroffen habe, beweiſt nichts. Sie gleichen darin, und daß ſie vielleicht eben ſo ſehr von ihrem natuͤrlichen Zuſtande abgewichen ſind, den Hausthieren, die mit ihnen, dem Menſchen in alle Klimate folgten, und ſich an verſchiedene Lebens- weiſe gewoͤhnten.
Vor anderen Graͤſern unterſcheiden ſie ſich oͤkonomiſch durch ihren groͤ- ßeren oder mehlhaltigeren Saamen, und dieſer iſt der Grund ihres Anbaues. Denn nahrhaft und gleichartig in ſeiner Natur iſt der Saame vieler anderen Graͤſer auch, und wird wirklich zur Nahrung benutzt, wie der Saame der Trespe und des Schwadens.
Sie ſcheinen alle urſpruͤnglich und in waͤrmern Klimaten einjaͤhrig zu ſeyn, und es ſind nur einige durch die Kultur an Durchwinterung gewoͤhnt, da die Sommerzeit bei uns zu ihrer Reifung nicht zureichte.
Sie haben mit den meiſten Graͤſern die Neigung gemein, ſich zu beſtau- den oder zu beſtocken, aus ihren untern Knoten Wurzeln, und ſodann neue Sproſſen und Halme zu treiben, beſonders wenn an dieſe Knoten friſche Erde gebracht, und ihr Schoſſen aufgehalten wird. Durch ſorgfaͤltige Verhinderung des letztern kann man ſie ſogar mehrere Jahre erhalten und zur Bildung eines dichten Raſens noͤthigen.
Durch Befoͤrderung ihres Beſtaudens und Abtrennung der Sproſſen kann man ihren Saamenertrag zu einer enormen Vermehrung bringen. So brachte der Irrlaͤnder Miller aus einem Weizenkorn — welches er im Junius ſteckte, indem er im Herbſte und im folgenden Fruͤhjahre mehreremal Ableger davon machte und verpflanzte — in einem Jahre 21,109 Aehren, und in ſelbigen 576,840 Koͤr- ner hervor, und glaubt daß er dieſes noch weiter haͤtte treiben koͤnnen. Meh- rere andere haben bei minderer Sorgfalt doch 40,000 Koͤrner aus einem in einer Jahresfriſt hervorgebracht, weswegen es laͤcherlich iſt, von einer 80 bis 100faͤltigen Vermehrung gewiſſer Kornarten, als etwas bewundernswuͤrdigen, ohne naͤhere Angabe des Raums, des Bodens und der Kultur, reden zu hoͤren.
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Getreidearten.
§. 15.
Ob und wo ſie wild wachſen, und wo folglich ihr Vaterland ſey, iſt noch
zweifelhaft. Denn, daß man ſie an einigen Orten ohne Kultur angetroffen
habe, beweiſt nichts. Sie gleichen darin, und daß ſie vielleicht eben ſo ſehr
von ihrem natuͤrlichen Zuſtande abgewichen ſind, den Hausthieren, die mit
ihnen, dem Menſchen in alle Klimate folgten, und ſich an verſchiedene Lebens-
weiſe gewoͤhnten.
Charakter
und Natur
der Getreide-
arten.
Vor anderen Graͤſern unterſcheiden ſie ſich oͤkonomiſch durch ihren groͤ-
ßeren oder mehlhaltigeren Saamen, und dieſer iſt der Grund ihres Anbaues.
Denn nahrhaft und gleichartig in ſeiner Natur iſt der Saame vieler anderen
Graͤſer auch, und wird wirklich zur Nahrung benutzt, wie der Saame der
Trespe und des Schwadens.
Sie ſcheinen alle urſpruͤnglich und in waͤrmern Klimaten einjaͤhrig zu ſeyn,
und es ſind nur einige durch die Kultur an Durchwinterung gewoͤhnt, da die
Sommerzeit bei uns zu ihrer Reifung nicht zureichte.
Sie haben mit den meiſten Graͤſern die Neigung gemein, ſich zu beſtau-
den oder zu beſtocken, aus ihren untern Knoten Wurzeln, und ſodann neue
Sproſſen und Halme zu treiben, beſonders wenn an dieſe Knoten friſche Erde
gebracht, und ihr Schoſſen aufgehalten wird. Durch ſorgfaͤltige Verhinderung
des letztern kann man ſie ſogar mehrere Jahre erhalten und zur Bildung eines
dichten Raſens noͤthigen.
Durch Befoͤrderung ihres Beſtaudens und Abtrennung der Sproſſen kann
man ihren Saamenertrag zu einer enormen Vermehrung bringen. So brachte
der Irrlaͤnder Miller aus einem Weizenkorn — welches er im Junius ſteckte,
indem er im Herbſte und im folgenden Fruͤhjahre mehreremal Ableger davon machte
und verpflanzte — in einem Jahre 21,109 Aehren, und in ſelbigen 576,840 Koͤr-
ner hervor, und glaubt daß er dieſes noch weiter haͤtte treiben koͤnnen. Meh-
rere andere haben bei minderer Sorgfalt doch 40,000 Koͤrner aus einem in
einer Jahresfriſt hervorgebracht, weswegen es laͤcherlich iſt, von einer 80 bis
100faͤltigen Vermehrung gewiſſer Kornarten, als etwas bewundernswuͤrdigen,
ohne naͤhere Angabe des Raums, des Bodens und der Kultur, reden zu hoͤren.
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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/47>, abgerufen am 22.12.2024.
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