Haferart in die andre über, und sind sie folglich nur Varietäten? -- Dieser Rauhhafer hat mehrere und starke Grannen, die er nicht verliert, eine dicke Hülse und wenig Mehl. Er wiegt nicht viel über die Hälfte des gewöhnlichen Hafers, und hat nur seinen halben Werth. Dennoch findet man ihn auf solchem schlech- ten Boden vortheilhaft. Wird er auf bessern Boden gesäet, so bekommt er einen starken Halm und breites Blatt, und man bauet ihn daher als Futterkraut, grün zu mähen, an.
9) Der nackte Hafer, tartarische Grützhafer, Avena nuda, wird bei uns nicht in Gebrauch kommen. In Schottland wird er viel zum Brod- korn gebauet.
Die Engländer unterscheiden noch ungleich mehrere Haferarten, welches aber nur durch die Kultur bewirkte Spielarten sind.
§. 98.
Der Hafer ist bei uns lange als die niedrigste Getreideart verächtlich behan- delt worden, und man hat ihm das schlechteste Land und das magerste Feld an- gewiesen. Sein Preis stand in älteren Zeiten unter der Hälfte des Rockenprei- ses. Bei Vermehrung der Pferde, zu deren Futter er sich am besten schickt, ist sein Preis nun über seinen natürlichen Werth gegen anderes Getreide gestiegen, und daher sein Anbau vortheilhafter geworden. Indessen bringt man ihn ge- wöhnlich nur dahin, wo man keine Gerste zu bauen wagt; obwohl er einen bes- sern Platz, wohl so gut wie diese, bezahlen würde.
Der Hafer wächst zwar auf jedem Boden, der nur nicht gar zu dürre ist,Boden. und er scheint so starke Organen zu haben, daß er Nahrungstheile auflöset und an sich ziehet, die anderem Getreide nicht mehr fruchten. Auch der saure, der unauflösliche Humus wird wahrscheinlich von ihm zersetzt. Er wächst auf kaltem, lehmigen, nnd auf nur nicht gar zu dürren Sandboden, wo nichts anderes mehr fort will. Er leidet von ungünstiger Witterung, erhohlt sich aber, besser wie die Gerste, wenn eine günstigere eintritt. Auf Neubruch, auf Mooren kann man ihn eine Reihe von Jahren bauen, und er wird zuweilen bis ins dritte und vierte Jahr immer besser, wogegen eine andre Frucht sie schnell erschöpft, wenn kein Dünger hinzukommt; vermuthlich weil er alles, was Pflanzen Nahrung ge-
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Der Hafer.
Haferart in die andre uͤber, und ſind ſie folglich nur Varietaͤten? — Dieſer Rauhhafer hat mehrere und ſtarke Grannen, die er nicht verliert, eine dicke Huͤlſe und wenig Mehl. Er wiegt nicht viel uͤber die Haͤlfte des gewoͤhnlichen Hafers, und hat nur ſeinen halben Werth. Dennoch findet man ihn auf ſolchem ſchlech- ten Boden vortheilhaft. Wird er auf beſſern Boden geſaͤet, ſo bekommt er einen ſtarken Halm und breites Blatt, und man bauet ihn daher als Futterkraut, gruͤn zu maͤhen, an.
9) Der nackte Hafer, tartariſche Gruͤtzhafer, Avena nuda, wird bei uns nicht in Gebrauch kommen. In Schottland wird er viel zum Brod- korn gebauet.
Die Englaͤnder unterſcheiden noch ungleich mehrere Haferarten, welches aber nur durch die Kultur bewirkte Spielarten ſind.
§. 98.
Der Hafer iſt bei uns lange als die niedrigſte Getreideart veraͤchtlich behan- delt worden, und man hat ihm das ſchlechteſte Land und das magerſte Feld an- gewieſen. Sein Preis ſtand in aͤlteren Zeiten unter der Haͤlfte des Rockenprei- ſes. Bei Vermehrung der Pferde, zu deren Futter er ſich am beſten ſchickt, iſt ſein Preis nun uͤber ſeinen natuͤrlichen Werth gegen anderes Getreide geſtiegen, und daher ſein Anbau vortheilhafter geworden. Indeſſen bringt man ihn ge- woͤhnlich nur dahin, wo man keine Gerſte zu bauen wagt; obwohl er einen beſ- ſern Platz, wohl ſo gut wie dieſe, bezahlen wuͤrde.
Der Hafer waͤchſt zwar auf jedem Boden, der nur nicht gar zu duͤrre iſt,Boden. und er ſcheint ſo ſtarke Organen zu haben, daß er Nahrungstheile aufloͤſet und an ſich ziehet, die anderem Getreide nicht mehr fruchten. Auch der ſaure, der unaufloͤsliche Humus wird wahrſcheinlich von ihm zerſetzt. Er waͤchſt auf kaltem, lehmigen, nnd auf nur nicht gar zu duͤrren Sandboden, wo nichts anderes mehr fort will. Er leidet von unguͤnſtiger Witterung, erhohlt ſich aber, beſſer wie die Gerſte, wenn eine guͤnſtigere eintritt. Auf Neubruch, auf Mooren kann man ihn eine Reihe von Jahren bauen, und er wird zuweilen bis ins dritte und vierte Jahr immer beſſer, wogegen eine andre Frucht ſie ſchnell erſchoͤpft, wenn kein Duͤnger hinzukommt; vermuthlich weil er alles, was Pflanzen Nahrung ge-
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Der Hafer.
Haferart in die andre uͤber, und ſind ſie folglich nur Varietaͤten? — Dieſer
Rauhhafer hat mehrere und ſtarke Grannen, die er nicht verliert, eine dicke Huͤlſe
und wenig Mehl. Er wiegt nicht viel uͤber die Haͤlfte des gewoͤhnlichen Hafers,
und hat nur ſeinen halben Werth. Dennoch findet man ihn auf ſolchem ſchlech-
ten Boden vortheilhaft. Wird er auf beſſern Boden geſaͤet, ſo bekommt er einen
ſtarken Halm und breites Blatt, und man bauet ihn daher als Futterkraut, gruͤn
zu maͤhen, an.
9) Der nackte Hafer, tartariſche Gruͤtzhafer, Avena nuda, wird
bei uns nicht in Gebrauch kommen. In Schottland wird er viel zum Brod-
korn gebauet.
Die Englaͤnder unterſcheiden noch ungleich mehrere Haferarten, welches aber
nur durch die Kultur bewirkte Spielarten ſind.
§. 98.
Der Hafer iſt bei uns lange als die niedrigſte Getreideart veraͤchtlich behan-
delt worden, und man hat ihm das ſchlechteſte Land und das magerſte Feld an-
gewieſen. Sein Preis ſtand in aͤlteren Zeiten unter der Haͤlfte des Rockenprei-
ſes. Bei Vermehrung der Pferde, zu deren Futter er ſich am beſten ſchickt, iſt
ſein Preis nun uͤber ſeinen natuͤrlichen Werth gegen anderes Getreide geſtiegen,
und daher ſein Anbau vortheilhafter geworden. Indeſſen bringt man ihn ge-
woͤhnlich nur dahin, wo man keine Gerſte zu bauen wagt; obwohl er einen beſ-
ſern Platz, wohl ſo gut wie dieſe, bezahlen wuͤrde.
Der Hafer waͤchſt zwar auf jedem Boden, der nur nicht gar zu duͤrre iſt,
und er ſcheint ſo ſtarke Organen zu haben, daß er Nahrungstheile aufloͤſet und
an ſich ziehet, die anderem Getreide nicht mehr fruchten. Auch der ſaure, der
unaufloͤsliche Humus wird wahrſcheinlich von ihm zerſetzt. Er waͤchſt auf kaltem,
lehmigen, nnd auf nur nicht gar zu duͤrren Sandboden, wo nichts anderes mehr
fort will. Er leidet von unguͤnſtiger Witterung, erhohlt ſich aber, beſſer wie die
Gerſte, wenn eine guͤnſtigere eintritt. Auf Neubruch, auf Mooren kann man
ihn eine Reihe von Jahren bauen, und er wird zuweilen bis ins dritte und
vierte Jahr immer beſſer, wogegen eine andre Frucht ſie ſchnell erſchoͤpft, wenn
kein Duͤnger hinzukommt; vermuthlich weil er alles, was Pflanzen Nahrung ge-
Boden.
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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/115>, abgerufen am 22.02.2025.
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