verhält, der das Ufer nicht aus dem Auge verlieren darf, wenn er sich nicht dem blinden Schicksale überlassen will; so der rationelle Landwirth gegen den an- gelernten.
§. 9.
Die handwerks- und kunstmäßige Erlernung ist jedoch dem Landwirthe, der sich bis zur Wissenschaft und zum Ideale erheben will, nicht unnütz. Es ist gut, wenn er die Handgriffe kennen und die erforderliche Kraft gleichsam fühlen gelernt hat, um die mechanische Ausführung beurtheilen zu können. Auch gehört Uebung des Augen- maaßes und Ausdauer dazu, um den vom Verstande gebildeten Begriff in der Wirklichkeit ausführen zu können.
§. 10.
Aber der bloß gelernte Landwirth darf sich nie ohne bestimmte Anweisung von seinem Leisten entfernen, obwohl dieser nur für eine besondere Lage passend seyn kann.
Er darf nur seiner einmal angenommenen Regel oder der bestimmten Vorschrift des Einsichtsvollern folgen, und wird, wenn er selbst denken und frei handeln will, dem Soldaten gleich seyn, der voll persönlichen Muthes aus Reihe und Glied hervortretend Feuer giebt, und statt die gute Sache zu fördern nur Alles in Ver- wirrung bringt.
Deshalb ist es oft sehr richtig, wenn man sagt, daß Wirthschaftsverwalter, die in anderen Gegenden und unter anderen Verhältnissen der Sache glücklich vorgestanden hätten, nun, anders wohin versetzt, durchaus bei jedem Schritte strauchelten und das Ganze in Verwirrung brachten. Ihre auf Glauben angenommene Regel paßte nicht bei verschiedenem Boden, verschiedenem Maaße der Kräfte und verschiedenen Verhältnissen. Und so erklärte man diese auf ihrem Flecke kunstgerechte Oeconomen für unwissende. Der wahre rationelle Landwirth dagegen wird sich in den verschie- denartigsten Lagen orientiren, wenn er sich die Zeit nimmt, diese richtig kennen zu lernen.
§. 11.
Wenigen Gebrauch kann deshalb der nicht wissenschaftlich gebildete Landwirth vom Lesen selbst der besten Bücher machen. Er weiß die neuen Ideen nicht zu ord- nen und in das Ganze zu verweben. Sie richten daher nur Verwirrung in und durch ihn an. Höchstens darf er nur solche Bücher lesen, welche auf die besonderen Verhältnisse, worin er sich befindet, nahen Bezug haben.
Begriff der rationellen Landwirthſchaft.
verhaͤlt, der das Ufer nicht aus dem Auge verlieren darf, wenn er ſich nicht dem blinden Schickſale uͤberlaſſen will; ſo der rationelle Landwirth gegen den an- gelernten.
§. 9.
Die handwerks- und kunſtmaͤßige Erlernung iſt jedoch dem Landwirthe, der ſich bis zur Wiſſenſchaft und zum Ideale erheben will, nicht unnuͤtz. Es iſt gut, wenn er die Handgriffe kennen und die erforderliche Kraft gleichſam fuͤhlen gelernt hat, um die mechaniſche Ausfuͤhrung beurtheilen zu koͤnnen. Auch gehoͤrt Uebung des Augen- maaßes und Ausdauer dazu, um den vom Verſtande gebildeten Begriff in der Wirklichkeit ausfuͤhren zu koͤnnen.
§. 10.
Aber der bloß gelernte Landwirth darf ſich nie ohne beſtimmte Anweiſung von ſeinem Leiſten entfernen, obwohl dieſer nur fuͤr eine beſondere Lage paſſend ſeyn kann.
Er darf nur ſeiner einmal angenommenen Regel oder der beſtimmten Vorſchrift des Einſichtsvollern folgen, und wird, wenn er ſelbſt denken und frei handeln will, dem Soldaten gleich ſeyn, der voll perſoͤnlichen Muthes aus Reihe und Glied hervortretend Feuer giebt, und ſtatt die gute Sache zu foͤrdern nur Alles in Ver- wirrung bringt.
Deshalb iſt es oft ſehr richtig, wenn man ſagt, daß Wirthſchaftsverwalter, die in anderen Gegenden und unter anderen Verhaͤltniſſen der Sache gluͤcklich vorgeſtanden haͤtten, nun, anders wohin verſetzt, durchaus bei jedem Schritte ſtrauchelten und das Ganze in Verwirrung brachten. Ihre auf Glauben angenommene Regel paßte nicht bei verſchiedenem Boden, verſchiedenem Maaße der Kraͤfte und verſchiedenen Verhaͤltniſſen. Und ſo erklaͤrte man dieſe auf ihrem Flecke kunſtgerechte Oeconomen fuͤr unwiſſende. Der wahre rationelle Landwirth dagegen wird ſich in den verſchie- denartigſten Lagen orientiren, wenn er ſich die Zeit nimmt, dieſe richtig kennen zu lernen.
§. 11.
Wenigen Gebrauch kann deshalb der nicht wiſſenſchaftlich gebildete Landwirth vom Leſen ſelbſt der beſten Buͤcher machen. Er weiß die neuen Ideen nicht zu ord- nen und in das Ganze zu verweben. Sie richten daher nur Verwirrung in und durch ihn an. Hoͤchſtens darf er nur ſolche Buͤcher leſen, welche auf die beſonderen Verhaͤltniſſe, worin er ſich befindet, nahen Bezug haben.
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Begriff der rationellen Landwirthſchaft.
verhaͤlt, der das Ufer nicht aus dem Auge verlieren darf, wenn er ſich nicht dem
blinden Schickſale uͤberlaſſen will; ſo der rationelle Landwirth gegen den an-
gelernten.
§. 9.
Die handwerks- und kunſtmaͤßige Erlernung iſt jedoch dem Landwirthe, der ſich
bis zur Wiſſenſchaft und zum Ideale erheben will, nicht unnuͤtz. Es iſt gut, wenn
er die Handgriffe kennen und die erforderliche Kraft gleichſam fuͤhlen gelernt hat, um
die mechaniſche Ausfuͤhrung beurtheilen zu koͤnnen. Auch gehoͤrt Uebung des Augen-
maaßes und Ausdauer dazu, um den vom Verſtande gebildeten Begriff in der
Wirklichkeit ausfuͤhren zu koͤnnen.
§. 10.
Aber der bloß gelernte Landwirth darf ſich nie ohne beſtimmte Anweiſung von
ſeinem Leiſten entfernen, obwohl dieſer nur fuͤr eine beſondere Lage paſſend ſeyn kann.
Er darf nur ſeiner einmal angenommenen Regel oder der beſtimmten Vorſchrift
des Einſichtsvollern folgen, und wird, wenn er ſelbſt denken und frei handeln will,
dem Soldaten gleich ſeyn, der voll perſoͤnlichen Muthes aus Reihe und Glied
hervortretend Feuer giebt, und ſtatt die gute Sache zu foͤrdern nur Alles in Ver-
wirrung bringt.
Deshalb iſt es oft ſehr richtig, wenn man ſagt, daß Wirthſchaftsverwalter, die in
anderen Gegenden und unter anderen Verhaͤltniſſen der Sache gluͤcklich vorgeſtanden
haͤtten, nun, anders wohin verſetzt, durchaus bei jedem Schritte ſtrauchelten und
das Ganze in Verwirrung brachten. Ihre auf Glauben angenommene Regel paßte
nicht bei verſchiedenem Boden, verſchiedenem Maaße der Kraͤfte und verſchiedenen
Verhaͤltniſſen. Und ſo erklaͤrte man dieſe auf ihrem Flecke kunſtgerechte Oeconomen
fuͤr unwiſſende. Der wahre rationelle Landwirth dagegen wird ſich in den verſchie-
denartigſten Lagen orientiren, wenn er ſich die Zeit nimmt, dieſe richtig kennen
zu lernen.
§. 11.
Wenigen Gebrauch kann deshalb der nicht wiſſenſchaftlich gebildete Landwirth
vom Leſen ſelbſt der beſten Buͤcher machen. Er weiß die neuen Ideen nicht zu ord-
nen und in das Ganze zu verweben. Sie richten daher nur Verwirrung in und
durch ihn an. Hoͤchſtens darf er nur ſolche Buͤcher leſen, welche auf die beſonderen
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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft01_1809/35>, abgerufen am 21.02.2025.
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