Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XII. Versuch. Ueber die Selbstthätigkeit
zur Ruhe zu bringen und ihre Bewegungen anders wo-
hin zu lenken, u. s. w. sagen wolle. Aus diesen Em-
pfindungen ist in uns ein allgemeiner Begriff von ei-
nem Vermögen, von einer Fähigkeit und von einer
Kraft entstanden, welcher immer nur ein gemeiner,
unaufgeklärter und undeutlicher Begriff seyn mag, aber
doch ein klarer Begriff ist, so daß wir Vermögen von
Unvermögen, Kraft von Schwäche, Fähigkeit von Un-
fähigkeit, und Macht von Ohnmacht so helle durch das
Gefühl unterscheiden, als das Weiße von dem Schwar-
zen durch die Augen.

Wir erhalten die Jdee von einem Vermögen zum
Handeln aus der Empfindung, die wir von der Handlung
selbst haben. Wir fühlen unsern gesunden Arm auf ei-
ne gewisse Art; es entstehet ein Entschluß, ihn zu be-
wegen, ein Antrieb gegen denselben, eine Bewegung in
dem Körper und wiederum neue Gefühle, die darauf
folgen. Das Gefühl von dem Zustande, der zunächst
vor der Handlung vorhergehet, wird unterschieden
von dem Aktus selbst. Es kam zu jenem etwas hinzu,
eine Vorstellung, eine Empfindung, ein innerer Trieb
in der Seele, oder was wir unter der Benennung von
Bewegungsgründen befassen mögen, und da erfolg-
te die Thätigkeit, die nicht erfolgte in einem andern Falle,
wo der nämliche Bewegungsgrund vorhanden war, wo
aber an dem dazu erfoderlichen vorhergehenden Zustande
etwas fehlte, oder wo auch noch sonsten etwas dazwischen
kam. Solche Empfindungen lehren uns das bloße
unthätige Vermögen von dem wirkenden unter-
scheiden. Es hängen aber die Vorstellungen von allen
unsern Vermögen, sowohl von denen, die wir eigentlich
als körperliche in den Körper hinsetzen, als auch von den
übrigen, die wir für Seelenvermögen halten, an gewis-
sen Gefühlen, die in uns in unserm Jnnern sich befin-
den. Aus Empfindungen nehmen wir den Stoff aller

Jdeen,

XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
zur Ruhe zu bringen und ihre Bewegungen anders wo-
hin zu lenken, u. ſ. w. ſagen wolle. Aus dieſen Em-
pfindungen iſt in uns ein allgemeiner Begriff von ei-
nem Vermoͤgen, von einer Faͤhigkeit und von einer
Kraft entſtanden, welcher immer nur ein gemeiner,
unaufgeklaͤrter und undeutlicher Begriff ſeyn mag, aber
doch ein klarer Begriff iſt, ſo daß wir Vermoͤgen von
Unvermoͤgen, Kraft von Schwaͤche, Faͤhigkeit von Un-
faͤhigkeit, und Macht von Ohnmacht ſo helle durch das
Gefuͤhl unterſcheiden, als das Weiße von dem Schwar-
zen durch die Augen.

Wir erhalten die Jdee von einem Vermoͤgen zum
Handeln aus der Empfindung, die wir von der Handlung
ſelbſt haben. Wir fuͤhlen unſern geſunden Arm auf ei-
ne gewiſſe Art; es entſtehet ein Entſchluß, ihn zu be-
wegen, ein Antrieb gegen denſelben, eine Bewegung in
dem Koͤrper und wiederum neue Gefuͤhle, die darauf
folgen. Das Gefuͤhl von dem Zuſtande, der zunaͤchſt
vor der Handlung vorhergehet, wird unterſchieden
von dem Aktus ſelbſt. Es kam zu jenem etwas hinzu,
eine Vorſtellung, eine Empfindung, ein innerer Trieb
in der Seele, oder was wir unter der Benennung von
Bewegungsgruͤnden befaſſen moͤgen, und da erfolg-
te die Thaͤtigkeit, die nicht erfolgte in einem andern Falle,
wo der naͤmliche Bewegungsgrund vorhanden war, wo
aber an dem dazu erfoderlichen vorhergehenden Zuſtande
etwas fehlte, oder wo auch noch ſonſten etwas dazwiſchen
kam. Solche Empfindungen lehren uns das bloße
unthaͤtige Vermoͤgen von dem wirkenden unter-
ſcheiden. Es haͤngen aber die Vorſtellungen von allen
unſern Vermoͤgen, ſowohl von denen, die wir eigentlich
als koͤrperliche in den Koͤrper hinſetzen, als auch von den
uͤbrigen, die wir fuͤr Seelenvermoͤgen halten, an gewiſ-
ſen Gefuͤhlen, die in uns in unſerm Jnnern ſich befin-
den. Aus Empfindungen nehmen wir den Stoff aller

Jdeen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0042" n="12"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XII.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Selb&#x017F;ttha&#x0364;tigkeit</hi></fw><lb/>
zur Ruhe zu bringen und ihre Bewegungen anders wo-<lb/>
hin zu lenken, u. &#x017F;. w. &#x017F;agen wolle. Aus die&#x017F;en Em-<lb/>
pfindungen i&#x017F;t in uns ein <hi rendition="#fr">allgemeiner Begriff</hi> von ei-<lb/>
nem <hi rendition="#fr">Vermo&#x0364;gen,</hi> von einer <hi rendition="#fr">Fa&#x0364;higkeit</hi> und von einer<lb/><hi rendition="#fr">Kraft</hi> ent&#x017F;tanden, welcher immer nur ein gemeiner,<lb/>
unaufgekla&#x0364;rter und undeutlicher Begriff &#x017F;eyn mag, aber<lb/>
doch ein klarer Begriff i&#x017F;t, &#x017F;o daß wir Vermo&#x0364;gen von<lb/>
Unvermo&#x0364;gen, Kraft von Schwa&#x0364;che, Fa&#x0364;higkeit von Un-<lb/>
fa&#x0364;higkeit, und Macht von Ohnmacht &#x017F;o helle durch das<lb/>
Gefu&#x0364;hl unter&#x017F;cheiden, als das Weiße von dem Schwar-<lb/>
zen durch die Augen.</p><lb/>
            <p>Wir erhalten die Jdee von einem <hi rendition="#fr">Vermo&#x0364;gen</hi> zum<lb/>
Handeln aus der Empfindung, die wir von der Handlung<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t haben. Wir fu&#x0364;hlen un&#x017F;ern ge&#x017F;unden Arm auf ei-<lb/>
ne gewi&#x017F;&#x017F;e Art; es ent&#x017F;tehet ein Ent&#x017F;chluß, ihn zu be-<lb/>
wegen, ein Antrieb gegen den&#x017F;elben, eine Bewegung in<lb/>
dem Ko&#x0364;rper und wiederum neue Gefu&#x0364;hle, die darauf<lb/>
folgen. Das Gefu&#x0364;hl von dem <hi rendition="#fr">Zu&#x017F;tande,</hi> der zuna&#x0364;ch&#x017F;t<lb/><hi rendition="#fr">vor der Handlung vorhergehet,</hi> wird unter&#x017F;chieden<lb/>
von dem <hi rendition="#fr">Aktus</hi> &#x017F;elb&#x017F;t. Es kam zu jenem etwas hinzu,<lb/>
eine Vor&#x017F;tellung, eine Empfindung, ein innerer Trieb<lb/>
in der Seele, oder was wir unter der Benennung von<lb/><hi rendition="#fr">Bewegungsgru&#x0364;nden</hi> befa&#x017F;&#x017F;en mo&#x0364;gen, und da erfolg-<lb/>
te die Tha&#x0364;tigkeit, die nicht erfolgte in einem andern Falle,<lb/>
wo der na&#x0364;mliche Bewegungsgrund vorhanden war, wo<lb/>
aber an dem dazu erfoderlichen vorhergehenden Zu&#x017F;tande<lb/>
etwas fehlte, oder wo auch noch &#x017F;on&#x017F;ten etwas dazwi&#x017F;chen<lb/>
kam. Solche Empfindungen lehren uns das bloße<lb/><hi rendition="#fr">untha&#x0364;tige Vermo&#x0364;gen</hi> von dem <hi rendition="#fr">wirkenden</hi> unter-<lb/>
&#x017F;cheiden. Es ha&#x0364;ngen aber die Vor&#x017F;tellungen von allen<lb/>
un&#x017F;ern Vermo&#x0364;gen, &#x017F;owohl von denen, die wir eigentlich<lb/>
als ko&#x0364;rperliche in den Ko&#x0364;rper hin&#x017F;etzen, als auch von den<lb/>
u&#x0364;brigen, die wir fu&#x0364;r Seelenvermo&#x0364;gen halten, an gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Gefu&#x0364;hlen, die in uns in un&#x017F;erm Jnnern &#x017F;ich befin-<lb/>
den. Aus Empfindungen nehmen wir den Stoff aller<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jdeen,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0042] XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit zur Ruhe zu bringen und ihre Bewegungen anders wo- hin zu lenken, u. ſ. w. ſagen wolle. Aus dieſen Em- pfindungen iſt in uns ein allgemeiner Begriff von ei- nem Vermoͤgen, von einer Faͤhigkeit und von einer Kraft entſtanden, welcher immer nur ein gemeiner, unaufgeklaͤrter und undeutlicher Begriff ſeyn mag, aber doch ein klarer Begriff iſt, ſo daß wir Vermoͤgen von Unvermoͤgen, Kraft von Schwaͤche, Faͤhigkeit von Un- faͤhigkeit, und Macht von Ohnmacht ſo helle durch das Gefuͤhl unterſcheiden, als das Weiße von dem Schwar- zen durch die Augen. Wir erhalten die Jdee von einem Vermoͤgen zum Handeln aus der Empfindung, die wir von der Handlung ſelbſt haben. Wir fuͤhlen unſern geſunden Arm auf ei- ne gewiſſe Art; es entſtehet ein Entſchluß, ihn zu be- wegen, ein Antrieb gegen denſelben, eine Bewegung in dem Koͤrper und wiederum neue Gefuͤhle, die darauf folgen. Das Gefuͤhl von dem Zuſtande, der zunaͤchſt vor der Handlung vorhergehet, wird unterſchieden von dem Aktus ſelbſt. Es kam zu jenem etwas hinzu, eine Vorſtellung, eine Empfindung, ein innerer Trieb in der Seele, oder was wir unter der Benennung von Bewegungsgruͤnden befaſſen moͤgen, und da erfolg- te die Thaͤtigkeit, die nicht erfolgte in einem andern Falle, wo der naͤmliche Bewegungsgrund vorhanden war, wo aber an dem dazu erfoderlichen vorhergehenden Zuſtande etwas fehlte, oder wo auch noch ſonſten etwas dazwiſchen kam. Solche Empfindungen lehren uns das bloße unthaͤtige Vermoͤgen von dem wirkenden unter- ſcheiden. Es haͤngen aber die Vorſtellungen von allen unſern Vermoͤgen, ſowohl von denen, die wir eigentlich als koͤrperliche in den Koͤrper hinſetzen, als auch von den uͤbrigen, die wir fuͤr Seelenvermoͤgen halten, an gewiſ- ſen Gefuͤhlen, die in uns in unſerm Jnnern ſich befin- den. Aus Empfindungen nehmen wir den Stoff aller Jdeen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/42
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/42>, abgerufen am 26.04.2024.