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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
hat, wenn die Unbiegsamkeit seiner Glieder und ihre
Schwäche es nicht unmöglich machte. Jndessen muß
doch auch in etwas die Fertigkeit in der Seele gemin-
dert seyn, weil sie lange ohne Uebung geblieben ist. Und
wir würden ohne Zweifel seine Vorstellung von der Hand-
lung, wenn man unmittelbar in sie hineinsehen könnte,
nicht mehr ganz so voll, stark und lebendig in allen ihren
Zügen finden, als sie ehedem gewesen ist. Wenn man
einen Maler, dem ein Zufall die Hand auf einige Zeit
steif gemacht, mit einem andern, dem sie vor Alter
schon zittert, vergleichen könnte, die beide gleich große
Meister in ihrer Kunst wären, so müßte sich doch zei-
gen, daß der erstere nicht nur öftere Lust zum Malen be-
käme, sondern auch genauer und lebhafter die kleinen
Wendungen mit der Hand und dem Pinsel sich vorstelle,
als der zweete.

3.

Geht man auf dieselbige Art den übrigen Fertigkei-
ten nach, und besonders denen, die man mehr der See-
le allein zuschreibt, die in den innern Aeußerungen ihrer
denkenden und wollenden Kraft bestehen: so läßt sich
ebenfalls bemerken, daß ihre Abnahme von einer solchen
erschwerten Reproducibilität der Vorstellungen
anfange, die man mit einer Steifigkeit in den Jdeen
vergleichen kann, wo auch ihr Sitz seyn mag, und daß
diese wiederum die Verminderung an thätiger Kraft zu
reproduciren veranlasse, welche in der Folge hinzukommt.
Die Abnahme der Vermögen kann, wie vorher (IV. 2.)
erinnert worden ist, als eine schwergemachte Erweckbar-
keit der Vorstellungen betrachtet werden. Aber diese
Schwierigkeit kann mehrere Ursachen haben. Sie rüh-
ret entweder daher, weil die Kraft sie zu erwecken zu
schwach geworden, oder weil die Spuren sich zu sehr
verloren haben, wie bey vergessenen und verlernten Sa-

chen,

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
hat, wenn die Unbiegſamkeit ſeiner Glieder und ihre
Schwaͤche es nicht unmoͤglich machte. Jndeſſen muß
doch auch in etwas die Fertigkeit in der Seele gemin-
dert ſeyn, weil ſie lange ohne Uebung geblieben iſt. Und
wir wuͤrden ohne Zweifel ſeine Vorſtellung von der Hand-
lung, wenn man unmittelbar in ſie hineinſehen koͤnnte,
nicht mehr ganz ſo voll, ſtark und lebendig in allen ihren
Zuͤgen finden, als ſie ehedem geweſen iſt. Wenn man
einen Maler, dem ein Zufall die Hand auf einige Zeit
ſteif gemacht, mit einem andern, dem ſie vor Alter
ſchon zittert, vergleichen koͤnnte, die beide gleich große
Meiſter in ihrer Kunſt waͤren, ſo muͤßte ſich doch zei-
gen, daß der erſtere nicht nur oͤftere Luſt zum Malen be-
kaͤme, ſondern auch genauer und lebhafter die kleinen
Wendungen mit der Hand und dem Pinſel ſich vorſtelle,
als der zweete.

3.

Geht man auf dieſelbige Art den uͤbrigen Fertigkei-
ten nach, und beſonders denen, die man mehr der See-
le allein zuſchreibt, die in den innern Aeußerungen ihrer
denkenden und wollenden Kraft beſtehen: ſo laͤßt ſich
ebenfalls bemerken, daß ihre Abnahme von einer ſolchen
erſchwerten Reproducibilitaͤt der Vorſtellungen
anfange, die man mit einer Steifigkeit in den Jdeen
vergleichen kann, wo auch ihr Sitz ſeyn mag, und daß
dieſe wiederum die Verminderung an thaͤtiger Kraft zu
reproduciren veranlaſſe, welche in der Folge hinzukommt.
Die Abnahme der Vermoͤgen kann, wie vorher (IV. 2.)
erinnert worden iſt, als eine ſchwergemachte Erweckbar-
keit der Vorſtellungen betrachtet werden. Aber dieſe
Schwierigkeit kann mehrere Urſachen haben. Sie ruͤh-
ret entweder daher, weil die Kraft ſie zu erwecken zu
ſchwach geworden, oder weil die Spuren ſich zu ſehr
verloren haben, wie bey vergeſſenen und verlernten Sa-

chen,
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[748/0778] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt hat, wenn die Unbiegſamkeit ſeiner Glieder und ihre Schwaͤche es nicht unmoͤglich machte. Jndeſſen muß doch auch in etwas die Fertigkeit in der Seele gemin- dert ſeyn, weil ſie lange ohne Uebung geblieben iſt. Und wir wuͤrden ohne Zweifel ſeine Vorſtellung von der Hand- lung, wenn man unmittelbar in ſie hineinſehen koͤnnte, nicht mehr ganz ſo voll, ſtark und lebendig in allen ihren Zuͤgen finden, als ſie ehedem geweſen iſt. Wenn man einen Maler, dem ein Zufall die Hand auf einige Zeit ſteif gemacht, mit einem andern, dem ſie vor Alter ſchon zittert, vergleichen koͤnnte, die beide gleich große Meiſter in ihrer Kunſt waͤren, ſo muͤßte ſich doch zei- gen, daß der erſtere nicht nur oͤftere Luſt zum Malen be- kaͤme, ſondern auch genauer und lebhafter die kleinen Wendungen mit der Hand und dem Pinſel ſich vorſtelle, als der zweete. 3. Geht man auf dieſelbige Art den uͤbrigen Fertigkei- ten nach, und beſonders denen, die man mehr der See- le allein zuſchreibt, die in den innern Aeußerungen ihrer denkenden und wollenden Kraft beſtehen: ſo laͤßt ſich ebenfalls bemerken, daß ihre Abnahme von einer ſolchen erſchwerten Reproducibilitaͤt der Vorſtellungen anfange, die man mit einer Steifigkeit in den Jdeen vergleichen kann, wo auch ihr Sitz ſeyn mag, und daß dieſe wiederum die Verminderung an thaͤtiger Kraft zu reproduciren veranlaſſe, welche in der Folge hinzukommt. Die Abnahme der Vermoͤgen kann, wie vorher (IV. 2.) erinnert worden iſt, als eine ſchwergemachte Erweckbar- keit der Vorſtellungen betrachtet werden. Aber dieſe Schwierigkeit kann mehrere Urſachen haben. Sie ruͤh- ret entweder daher, weil die Kraft ſie zu erwecken zu ſchwach geworden, oder weil die Spuren ſich zu ſehr verloren haben, wie bey vergeſſenen und verlernten Sa- chen,

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 748. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/778>, abgerufen am 21.11.2024.