Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und Entwickelung des Menschen.
wenn einiger Unterschied vorkömmt, so kann solcher nur
in Graden und Stufen bestehen.

2.

Durch die Uebung der Sinne bey einer Gattung
von Gegenständen werden Jdeenreihen erzeuget; und
diese sind das Mittel Eindrücke von außen empfindbar
und beobachtbar zu machen, die für sich die Aufmerk-
samkeit der Seele nicht auf sich gezogen hätten. Die
Aehnlichkeit der Eindrücke, oder Züge, in mehrern
Jmpressionen vereiniget sie, und macht, daß eine sich
ausnehmende Vorstellung davon entstehet. Jst also in ei-
ner gegenwärtigen Jmpression ein Eindruck, der schon
mehrmalen vorgekommen ist, so wird auch das Gefühl
der vergangenen ähnlichen bey ihm wiedererweckt, und
dadurch der gegenwärtige Eindruck verstärket. Dieß
ziehet die Aufmerksamkeit dahin, und die klare Em-
pfindung entsteht leichter und schneller. Was der
Spinne die Faden ihres Gewebes sind, die bis an die
Mitte hin, wo die Spinne sitzet, erschüttert werden,
wenn eine Fliege die äußersten Theile berühret, das sind
in der Seele ihre aufgesammelten Bilder und Jdeenrei-
hen. Ein Blick auf die Blühte, auf die Farbe, Figur,
Länge, Dicke, Breite einer Pflanze, oder eines Blat-
tes, oder nur irgend Eins von diesen Stücken, erwecket
in der Phantasie des Botanikers die Jdee des Ganzen,
kommt dem schwachen Eindrucke des Lichts auf die Au-
gen zu Hülfe, und läßt ihn Alles auf einmal deutlich
sehen. Jn allen ähnlichen Fällen hängt eine solche be-
sondere Scharfsichtigkeit, bey gewissen Gattungen von
Sachen, offenbar von den vorhandenen Jdeenreihen ab,
die sich auf diese Sachen beziehen.

3. Doch

und Entwickelung des Menſchen.
wenn einiger Unterſchied vorkoͤmmt, ſo kann ſolcher nur
in Graden und Stufen beſtehen.

2.

Durch die Uebung der Sinne bey einer Gattung
von Gegenſtaͤnden werden Jdeenreihen erzeuget; und
dieſe ſind das Mittel Eindruͤcke von außen empfindbar
und beobachtbar zu machen, die fuͤr ſich die Aufmerk-
ſamkeit der Seele nicht auf ſich gezogen haͤtten. Die
Aehnlichkeit der Eindruͤcke, oder Zuͤge, in mehrern
Jmpreſſionen vereiniget ſie, und macht, daß eine ſich
ausnehmende Vorſtellung davon entſtehet. Jſt alſo in ei-
ner gegenwaͤrtigen Jmpreſſion ein Eindruck, der ſchon
mehrmalen vorgekommen iſt, ſo wird auch das Gefuͤhl
der vergangenen aͤhnlichen bey ihm wiedererweckt, und
dadurch der gegenwaͤrtige Eindruck verſtaͤrket. Dieß
ziehet die Aufmerkſamkeit dahin, und die klare Em-
pfindung entſteht leichter und ſchneller. Was der
Spinne die Faden ihres Gewebes ſind, die bis an die
Mitte hin, wo die Spinne ſitzet, erſchuͤttert werden,
wenn eine Fliege die aͤußerſten Theile beruͤhret, das ſind
in der Seele ihre aufgeſammelten Bilder und Jdeenrei-
hen. Ein Blick auf die Bluͤhte, auf die Farbe, Figur,
Laͤnge, Dicke, Breite einer Pflanze, oder eines Blat-
tes, oder nur irgend Eins von dieſen Stuͤcken, erwecket
in der Phantaſie des Botanikers die Jdee des Ganzen,
kommt dem ſchwachen Eindrucke des Lichts auf die Au-
gen zu Huͤlfe, und laͤßt ihn Alles auf einmal deutlich
ſehen. Jn allen aͤhnlichen Faͤllen haͤngt eine ſolche be-
ſondere Scharfſichtigkeit, bey gewiſſen Gattungen von
Sachen, offenbar von den vorhandenen Jdeenreihen ab,
die ſich auf dieſe Sachen beziehen.

3. Doch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0445" n="415"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Entwickelung des Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
wenn einiger Unter&#x017F;chied vorko&#x0364;mmt, &#x017F;o kann &#x017F;olcher nur<lb/>
in Graden und Stufen be&#x017F;tehen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>2.</head><lb/>
              <p>Durch die Uebung der Sinne bey einer Gattung<lb/>
von Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden werden Jdeenreihen erzeuget; und<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;ind das Mittel Eindru&#x0364;cke von außen empfindbar<lb/>
und beobachtbar zu machen, die fu&#x0364;r &#x017F;ich die Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit der Seele nicht auf &#x017F;ich gezogen ha&#x0364;tten. Die<lb/>
Aehnlichkeit der Eindru&#x0364;cke, oder Zu&#x0364;ge, in mehrern<lb/>
Jmpre&#x017F;&#x017F;ionen vereiniget &#x017F;ie, und macht, daß eine &#x017F;ich<lb/>
ausnehmende Vor&#x017F;tellung davon ent&#x017F;tehet. J&#x017F;t al&#x017F;o in ei-<lb/>
ner gegenwa&#x0364;rtigen Jmpre&#x017F;&#x017F;ion ein Eindruck, der &#x017F;chon<lb/>
mehrmalen vorgekommen i&#x017F;t, &#x017F;o wird auch das Gefu&#x0364;hl<lb/>
der vergangenen a&#x0364;hnlichen bey ihm wiedererweckt, und<lb/>
dadurch der gegenwa&#x0364;rtige Eindruck ver&#x017F;ta&#x0364;rket. Dieß<lb/>
ziehet die Aufmerk&#x017F;amkeit dahin, und die klare Em-<lb/>
pfindung ent&#x017F;teht leichter und &#x017F;chneller. Was der<lb/>
Spinne die Faden ihres Gewebes &#x017F;ind, die bis an die<lb/>
Mitte hin, wo die Spinne &#x017F;itzet, er&#x017F;chu&#x0364;ttert werden,<lb/>
wenn eine Fliege die a&#x0364;ußer&#x017F;ten Theile beru&#x0364;hret, das &#x017F;ind<lb/>
in der Seele ihre aufge&#x017F;ammelten Bilder und Jdeenrei-<lb/>
hen. Ein Blick auf die Blu&#x0364;hte, auf die Farbe, Figur,<lb/>
La&#x0364;nge, Dicke, Breite einer Pflanze, oder eines Blat-<lb/>
tes, oder nur irgend Eins von die&#x017F;en Stu&#x0364;cken, erwecket<lb/>
in der Phanta&#x017F;ie des Botanikers die Jdee des Ganzen,<lb/>
kommt dem &#x017F;chwachen Eindrucke des Lichts auf die Au-<lb/>
gen zu Hu&#x0364;lfe, und la&#x0364;ßt ihn Alles auf einmal deutlich<lb/>
&#x017F;ehen. Jn allen a&#x0364;hnlichen Fa&#x0364;llen ha&#x0364;ngt eine &#x017F;olche be-<lb/>
&#x017F;ondere Scharf&#x017F;ichtigkeit, bey gewi&#x017F;&#x017F;en Gattungen von<lb/>
Sachen, offenbar von den vorhandenen Jdeenreihen ab,<lb/>
die &#x017F;ich auf die&#x017F;e Sachen beziehen.</p>
            </div><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">3. Doch</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[415/0445] und Entwickelung des Menſchen. wenn einiger Unterſchied vorkoͤmmt, ſo kann ſolcher nur in Graden und Stufen beſtehen. 2. Durch die Uebung der Sinne bey einer Gattung von Gegenſtaͤnden werden Jdeenreihen erzeuget; und dieſe ſind das Mittel Eindruͤcke von außen empfindbar und beobachtbar zu machen, die fuͤr ſich die Aufmerk- ſamkeit der Seele nicht auf ſich gezogen haͤtten. Die Aehnlichkeit der Eindruͤcke, oder Zuͤge, in mehrern Jmpreſſionen vereiniget ſie, und macht, daß eine ſich ausnehmende Vorſtellung davon entſtehet. Jſt alſo in ei- ner gegenwaͤrtigen Jmpreſſion ein Eindruck, der ſchon mehrmalen vorgekommen iſt, ſo wird auch das Gefuͤhl der vergangenen aͤhnlichen bey ihm wiedererweckt, und dadurch der gegenwaͤrtige Eindruck verſtaͤrket. Dieß ziehet die Aufmerkſamkeit dahin, und die klare Em- pfindung entſteht leichter und ſchneller. Was der Spinne die Faden ihres Gewebes ſind, die bis an die Mitte hin, wo die Spinne ſitzet, erſchuͤttert werden, wenn eine Fliege die aͤußerſten Theile beruͤhret, das ſind in der Seele ihre aufgeſammelten Bilder und Jdeenrei- hen. Ein Blick auf die Bluͤhte, auf die Farbe, Figur, Laͤnge, Dicke, Breite einer Pflanze, oder eines Blat- tes, oder nur irgend Eins von dieſen Stuͤcken, erwecket in der Phantaſie des Botanikers die Jdee des Ganzen, kommt dem ſchwachen Eindrucke des Lichts auf die Au- gen zu Huͤlfe, und laͤßt ihn Alles auf einmal deutlich ſehen. Jn allen aͤhnlichen Faͤllen haͤngt eine ſolche be- ſondere Scharfſichtigkeit, bey gewiſſen Gattungen von Sachen, offenbar von den vorhandenen Jdeenreihen ab, die ſich auf dieſe Sachen beziehen. 3. Doch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/445
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/445>, abgerufen am 21.11.2024.