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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
ein enthaupteter Mensch, dem man einen Degen durch
die Brust stößt, die Arme auf die nämliche Art zusam-
menschlägt, wie einer, der sich beklaget: so deucht mich,
dieser Vorfall gehöre gleichfalls zu denen, welche die
Wirklichkeit solcher Associationen in dem Körper aus-
ser Zweifel setzen. Aber wenn das Beyspiel von Karl
dem Zwölften angeführt wird, der die Hand an den
Degen legte, als die Kugel ihn tödtete: so kann man
hier wie in manchen andern Fällen vermuthen, daß die-
se Bewegung des Arms keine bloß organische Hand-
lung, sondern eine wahre Seelenäußerung in dem Au-
genblick des Sterbens gewesen sey. Denn so schnell
der Tod auch ihn überraschte, so fand doch die Seele
noch Zeit genug, die gewohnte Vorstellung vom Ver-
theidigen in sich zu erwecken, und den dazu gehörigen
Druck in den Arm zu bringen.

Diese letztere Art der zufälligen organischen Verbin-
dungen zeiget also auch deutlich, daß in dem Körper
selbst gewisse Leichtigkeiten zu handeln aus vorherge-
henden Handlungen entstehen, und sich miteinander
verbinden. Bey den natürlich nothwendigen Aktionen
entsteht die nachfolgende Bewegung aus ihrem vorherge-
henden Reize das zweytemal wie das erstemal, weil sie
in einer ursachlichen bestimmten Verknüpfung sind; aber
bey jenen wird etwas erlernet, wie die vorzügliche Ge-
schicklichkeit die rechte Hand zu gebrauchen. Anfangs
war in dem linken Arm eben sowohl ein Weg, wo die
bewegende Kraft hinfließen konnte, als in dem rechten;
aber die öftere Uebung mit dem letztern machte ihn für
den Durchfluß der Lebensgeister offener und leichter.

8.

Also giebt es hier eine organische Reihe von
Bewegungen
in dem Körper, die in dem Körper
unter sich verbunden sind, aber auch zugleich mittelst ei-

ner

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
ein enthaupteter Menſch, dem man einen Degen durch
die Bruſt ſtoͤßt, die Arme auf die naͤmliche Art zuſam-
menſchlaͤgt, wie einer, der ſich beklaget: ſo deucht mich,
dieſer Vorfall gehoͤre gleichfalls zu denen, welche die
Wirklichkeit ſolcher Aſſociationen in dem Koͤrper auſ-
ſer Zweifel ſetzen. Aber wenn das Beyſpiel von Karl
dem Zwoͤlften angefuͤhrt wird, der die Hand an den
Degen legte, als die Kugel ihn toͤdtete: ſo kann man
hier wie in manchen andern Faͤllen vermuthen, daß die-
ſe Bewegung des Arms keine bloß organiſche Hand-
lung, ſondern eine wahre Seelenaͤußerung in dem Au-
genblick des Sterbens geweſen ſey. Denn ſo ſchnell
der Tod auch ihn uͤberraſchte, ſo fand doch die Seele
noch Zeit genug, die gewohnte Vorſtellung vom Ver-
theidigen in ſich zu erwecken, und den dazu gehoͤrigen
Druck in den Arm zu bringen.

Dieſe letztere Art der zufaͤlligen organiſchen Verbin-
dungen zeiget alſo auch deutlich, daß in dem Koͤrper
ſelbſt gewiſſe Leichtigkeiten zu handeln aus vorherge-
henden Handlungen entſtehen, und ſich miteinander
verbinden. Bey den natuͤrlich nothwendigen Aktionen
entſteht die nachfolgende Bewegung aus ihrem vorherge-
henden Reize das zweytemal wie das erſtemal, weil ſie
in einer urſachlichen beſtimmten Verknuͤpfung ſind; aber
bey jenen wird etwas erlernet, wie die vorzuͤgliche Ge-
ſchicklichkeit die rechte Hand zu gebrauchen. Anfangs
war in dem linken Arm eben ſowohl ein Weg, wo die
bewegende Kraft hinfließen konnte, als in dem rechten;
aber die oͤftere Uebung mit dem letztern machte ihn fuͤr
den Durchfluß der Lebensgeiſter offener und leichter.

8.

Alſo giebt es hier eine organiſche Reihe von
Bewegungen
in dem Koͤrper, die in dem Koͤrper
unter ſich verbunden ſind, aber auch zugleich mittelſt ei-

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[332/0362] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen ein enthaupteter Menſch, dem man einen Degen durch die Bruſt ſtoͤßt, die Arme auf die naͤmliche Art zuſam- menſchlaͤgt, wie einer, der ſich beklaget: ſo deucht mich, dieſer Vorfall gehoͤre gleichfalls zu denen, welche die Wirklichkeit ſolcher Aſſociationen in dem Koͤrper auſ- ſer Zweifel ſetzen. Aber wenn das Beyſpiel von Karl dem Zwoͤlften angefuͤhrt wird, der die Hand an den Degen legte, als die Kugel ihn toͤdtete: ſo kann man hier wie in manchen andern Faͤllen vermuthen, daß die- ſe Bewegung des Arms keine bloß organiſche Hand- lung, ſondern eine wahre Seelenaͤußerung in dem Au- genblick des Sterbens geweſen ſey. Denn ſo ſchnell der Tod auch ihn uͤberraſchte, ſo fand doch die Seele noch Zeit genug, die gewohnte Vorſtellung vom Ver- theidigen in ſich zu erwecken, und den dazu gehoͤrigen Druck in den Arm zu bringen. Dieſe letztere Art der zufaͤlligen organiſchen Verbin- dungen zeiget alſo auch deutlich, daß in dem Koͤrper ſelbſt gewiſſe Leichtigkeiten zu handeln aus vorherge- henden Handlungen entſtehen, und ſich miteinander verbinden. Bey den natuͤrlich nothwendigen Aktionen entſteht die nachfolgende Bewegung aus ihrem vorherge- henden Reize das zweytemal wie das erſtemal, weil ſie in einer urſachlichen beſtimmten Verknuͤpfung ſind; aber bey jenen wird etwas erlernet, wie die vorzuͤgliche Ge- ſchicklichkeit die rechte Hand zu gebrauchen. Anfangs war in dem linken Arm eben ſowohl ein Weg, wo die bewegende Kraft hinfließen konnte, als in dem rechten; aber die oͤftere Uebung mit dem letztern machte ihn fuͤr den Durchfluß der Lebensgeiſter offener und leichter. 8. Alſo giebt es hier eine organiſche Reihe von Bewegungen in dem Koͤrper, die in dem Koͤrper unter ſich verbunden ſind, aber auch zugleich mittelſt ei- ner

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/362>, abgerufen am 21.11.2024.