Zwölfter Versuch. Ueber die Selbstthätigkeit und Freyheit.
I. Einleitung. Schwierigkeiten bey dieser Unter- suchung.
Die Freyheit der Seele oder ihre Selbstmacht über sich ist dem Psychologen und Moralisten, jenem, in so fern er ihre Natur erforschen, die- sem, in so ferne er sie erhöhen und verstärken will, ein eben so interessanter, und auch eben so schwer zu bear- beitender Gegenstand, als die bürgerliche Freyheit für den Politiker. Jene ist auch in der That, in Hin- sicht des innern Menschen und seiner Seelenvermögen dasselbige, was die letztere bey dem Bürger in seinem rechtlichen Vermögen ist; und jene macht die Größe des Menschen, wie diese die Größe des Bürgers, aus. Welchen selbstdenkenden Philosophen hat nicht wohl die Untersuchung über die Natur unserer Freyheit Anstren- gung des Verstandes gekostet? Sie wird auch vermuth- lich den künftigen dergleichen noch kosten, da sie wegen ihrer Wichtigkeit nicht übersehen, und ihrer Dunkelheit und Verwirrung wegen nicht leicht hell und bestimmt genug gefaßt werden kann.
Es ist indessen von verschiedenen schon erinnert wor- den, daß der Punkt in dieser Lehre, der am meisten zwi-
schen
II.Theil. A
Zwoͤlfter Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit und Freyheit.
I. Einleitung. Schwierigkeiten bey dieſer Unter- ſuchung.
Die Freyheit der Seele oder ihre Selbſtmacht uͤber ſich iſt dem Pſychologen und Moraliſten, jenem, in ſo fern er ihre Natur erforſchen, die- ſem, in ſo ferne er ſie erhoͤhen und verſtaͤrken will, ein eben ſo intereſſanter, und auch eben ſo ſchwer zu bear- beitender Gegenſtand, als die buͤrgerliche Freyheit fuͤr den Politiker. Jene iſt auch in der That, in Hin- ſicht des innern Menſchen und ſeiner Seelenvermoͤgen daſſelbige, was die letztere bey dem Buͤrger in ſeinem rechtlichen Vermoͤgen iſt; und jene macht die Groͤße des Menſchen, wie dieſe die Groͤße des Buͤrgers, aus. Welchen ſelbſtdenkenden Philoſophen hat nicht wohl die Unterſuchung uͤber die Natur unſerer Freyheit Anſtren- gung des Verſtandes gekoſtet? Sie wird auch vermuth- lich den kuͤnftigen dergleichen noch koſten, da ſie wegen ihrer Wichtigkeit nicht uͤberſehen, und ihrer Dunkelheit und Verwirrung wegen nicht leicht hell und beſtimmt genug gefaßt werden kann.
Es iſt indeſſen von verſchiedenen ſchon erinnert wor- den, daß der Punkt in dieſer Lehre, der am meiſten zwi-
ſchen
II.Theil. A
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[[1]/0031]
Zwoͤlfter Verſuch.
Ueber die Selbſtthaͤtigkeit und Freyheit.
I.
Einleitung. Schwierigkeiten bey dieſer Unter-
ſuchung.
Die Freyheit der Seele oder ihre Selbſtmacht
uͤber ſich iſt dem Pſychologen und Moraliſten,
jenem, in ſo fern er ihre Natur erforſchen, die-
ſem, in ſo ferne er ſie erhoͤhen und verſtaͤrken will, ein
eben ſo intereſſanter, und auch eben ſo ſchwer zu bear-
beitender Gegenſtand, als die buͤrgerliche Freyheit
fuͤr den Politiker. Jene iſt auch in der That, in Hin-
ſicht des innern Menſchen und ſeiner Seelenvermoͤgen
daſſelbige, was die letztere bey dem Buͤrger in ſeinem
rechtlichen Vermoͤgen iſt; und jene macht die Groͤße
des Menſchen, wie dieſe die Groͤße des Buͤrgers, aus.
Welchen ſelbſtdenkenden Philoſophen hat nicht wohl die
Unterſuchung uͤber die Natur unſerer Freyheit Anſtren-
gung des Verſtandes gekoſtet? Sie wird auch vermuth-
lich den kuͤnftigen dergleichen noch koſten, da ſie wegen
ihrer Wichtigkeit nicht uͤberſehen, und ihrer Dunkelheit
und Verwirrung wegen nicht leicht hell und beſtimmt
genug gefaßt werden kann.
Es iſt indeſſen von verſchiedenen ſchon erinnert wor-
den, daß der Punkt in dieſer Lehre, der am meiſten zwi-
ſchen
II. Theil. A
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/31>, abgerufen am 03.12.2024.
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