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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
terschieden ist, und daß es auch den ganzen Jnbegriff
unserer Organe nicht ausmachen könne. Die äußern
Werkzeuge der Empfindung, so weit wir sie kennen,
sind auf solche Art mit einander nicht verbunden, daß
nicht jedes seine sinnlichen Modifikationen für sich haben
könne. Der Eindruck von dem Licht ist in dem Auge,
wenn wir sehen, aber dieser Eindruck ist keine Verände-
rung in den Ohren. Denken wir uns unter dem Be-
griffe von Werkzeugen solche Theile des Körpers, die
zu besondern Arten von Veränderungen ausschlies-
sungsweise
gehören, so ist das Jch von allen diesen
Organen zusammengenommen, so weit unterschieden,
als das beseelte Gehirn von den äußern Gliedmaßen des
Körpers ist. Aber freylich kann auch diese Jdee von
Seelenwerkzeugen erweitert werden. Denn wir können
auch solche körperliche Theile darunter verstehen, die zu
eigenen Arten von Veränderungen nur in so weit gehö-
ren, als sie es sind, die solche unmittelbar aufneh-
men, obgleich ihre Vereinigung so innig ist, daß jeder
sogleich jedem andern sich völlig kommunicire. Wenn
dieß so ist, so könnte das Ganze dieser Organe, auch
wenn es von dem Jch unterschieden ist, als ein allge-
meines Organ,
oder als ein sensorium commune
gedacht werden. Jm Fall aber dieß Ganze mit dem
gesammten Seelenwesen einerley ist, so müßte das,
was wir für besondere Organe ansehen, die zu eigenen
Gattungen von Eindrücken gehören, mehr für gewisse
Seiten der Seele und besondere Theile von ihr, als für
Organe, zu halten seyn.

4.

Diese Einheit unsers Jchs ist noch das nicht, was
die Jmmaterialisten durch ihre Beweise darzuthun ge-
sucht haben. Laßt uns die Seelenäußerungen in ihre
einfachen Aktus zerlegen, in welche sie durch die schärf-

ste

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
terſchieden iſt, und daß es auch den ganzen Jnbegriff
unſerer Organe nicht ausmachen koͤnne. Die aͤußern
Werkzeuge der Empfindung, ſo weit wir ſie kennen,
ſind auf ſolche Art mit einander nicht verbunden, daß
nicht jedes ſeine ſinnlichen Modifikationen fuͤr ſich haben
koͤnne. Der Eindruck von dem Licht iſt in dem Auge,
wenn wir ſehen, aber dieſer Eindruck iſt keine Veraͤnde-
rung in den Ohren. Denken wir uns unter dem Be-
griffe von Werkzeugen ſolche Theile des Koͤrpers, die
zu beſondern Arten von Veraͤnderungen ausſchlieſ-
ſungsweiſe
gehoͤren, ſo iſt das Jch von allen dieſen
Organen zuſammengenommen, ſo weit unterſchieden,
als das beſeelte Gehirn von den aͤußern Gliedmaßen des
Koͤrpers iſt. Aber freylich kann auch dieſe Jdee von
Seelenwerkzeugen erweitert werden. Denn wir koͤnnen
auch ſolche koͤrperliche Theile darunter verſtehen, die zu
eigenen Arten von Veraͤnderungen nur in ſo weit gehoͤ-
ren, als ſie es ſind, die ſolche unmittelbar aufneh-
men, obgleich ihre Vereinigung ſo innig iſt, daß jeder
ſogleich jedem andern ſich voͤllig kommunicire. Wenn
dieß ſo iſt, ſo koͤnnte das Ganze dieſer Organe, auch
wenn es von dem Jch unterſchieden iſt, als ein allge-
meines Organ,
oder als ein ſenſorium commune
gedacht werden. Jm Fall aber dieß Ganze mit dem
geſammten Seelenweſen einerley iſt, ſo muͤßte das,
was wir fuͤr beſondere Organe anſehen, die zu eigenen
Gattungen von Eindruͤcken gehoͤren, mehr fuͤr gewiſſe
Seiten der Seele und beſondere Theile von ihr, als fuͤr
Organe, zu halten ſeyn.

4.

Dieſe Einheit unſers Jchs iſt noch das nicht, was
die Jmmaterialiſten durch ihre Beweiſe darzuthun ge-
ſucht haben. Laßt uns die Seelenaͤußerungen in ihre
einfachen Aktus zerlegen, in welche ſie durch die ſchaͤrf-

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[194/0224] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen terſchieden iſt, und daß es auch den ganzen Jnbegriff unſerer Organe nicht ausmachen koͤnne. Die aͤußern Werkzeuge der Empfindung, ſo weit wir ſie kennen, ſind auf ſolche Art mit einander nicht verbunden, daß nicht jedes ſeine ſinnlichen Modifikationen fuͤr ſich haben koͤnne. Der Eindruck von dem Licht iſt in dem Auge, wenn wir ſehen, aber dieſer Eindruck iſt keine Veraͤnde- rung in den Ohren. Denken wir uns unter dem Be- griffe von Werkzeugen ſolche Theile des Koͤrpers, die zu beſondern Arten von Veraͤnderungen ausſchlieſ- ſungsweiſe gehoͤren, ſo iſt das Jch von allen dieſen Organen zuſammengenommen, ſo weit unterſchieden, als das beſeelte Gehirn von den aͤußern Gliedmaßen des Koͤrpers iſt. Aber freylich kann auch dieſe Jdee von Seelenwerkzeugen erweitert werden. Denn wir koͤnnen auch ſolche koͤrperliche Theile darunter verſtehen, die zu eigenen Arten von Veraͤnderungen nur in ſo weit gehoͤ- ren, als ſie es ſind, die ſolche unmittelbar aufneh- men, obgleich ihre Vereinigung ſo innig iſt, daß jeder ſogleich jedem andern ſich voͤllig kommunicire. Wenn dieß ſo iſt, ſo koͤnnte das Ganze dieſer Organe, auch wenn es von dem Jch unterſchieden iſt, als ein allge- meines Organ, oder als ein ſenſorium commune gedacht werden. Jm Fall aber dieß Ganze mit dem geſammten Seelenweſen einerley iſt, ſo muͤßte das, was wir fuͤr beſondere Organe anſehen, die zu eigenen Gattungen von Eindruͤcken gehoͤren, mehr fuͤr gewiſſe Seiten der Seele und beſondere Theile von ihr, als fuͤr Organe, zu halten ſeyn. 4. Dieſe Einheit unſers Jchs iſt noch das nicht, was die Jmmaterialiſten durch ihre Beweiſe darzuthun ge- ſucht haben. Laßt uns die Seelenaͤußerungen in ihre einfachen Aktus zerlegen, in welche ſie durch die ſchaͤrf- ſte

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/224>, abgerufen am 23.11.2024.