Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XI. Versuch. Ueber die Grundkraft
ihn wenigstens so deutlich finden, als es nöthig ist, um diese
Folgerung zu begreifen, daß wenn zwey selbstthätige
Wesen in so genauer Vereinigung mit einander wirken,
wie die Seelen und Körper bey den Thieren, daß sie al-
lemal beide an den einzelnen Veränderungen des Ganzen,
jede durch ihre eigene Kraft, beytragen, es unendliche
Verschiedenheiten in dem Verhältnisse geben
müsse, in dem sie dazu beytragen,
und daß es
also eben so viele Stufen geben müsse, in der die erfolgte
Wirkung von der Eigenmacht der Seele allein, oder
auch des Körpers allein abhangen könne.

2.

Unter den beseelten Wesen, von dem Meerschwamm
oder von der Tremella an, bis zu den Menschen, giebt
es ohne Zweifel in Hinsicht dieser Selbstthätigkeit eine
Stufenleiter. Woferne anders diese Wesen noch für
beseelt anzusehen sind, diese Seele mag nun bestehen
worinn sie wolle, und vielleicht nicht einmal eine Seele
in dem Sinne seyn, wie sie den vollkommenen Thieren
beygeleget wird. Denn unter Seele oder Seelenwe-
sen
kann man doch im Allgemeinen bey der Betrachtung
der Thiere nichts anders verstehen, als das innere Prin-
cip der Empfindungen und eigenmächtigen Bewegungen,
die vor uns das Merkmal der thierischen Natur sind.
Dieß Princip ist Seele, wenn es nicht durch den gan-
zen organisirten Körper und dessen Theile verbreitet ist,
sondern in einem eigenen Theile desselben, dergleichen das
Gehirn ist, sich in vorzüglichster Maaße befindet, und
dadurch als ein von dem übrigen Körper unterschiedenes
und mit diesem verbundenes Wesen angesehen werden
kann. Jn einem beseelten Wesen muß es irgendwo ei-
nen Theil geben, der gleichsam der Mittelpunkt aller
thierischen Veränderungen ist, wohin die Eindrücke von
außen zusammen laufen, und von dem alle selbstthätige

Bewe-

XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft
ihn wenigſtens ſo deutlich finden, als es noͤthig iſt, um dieſe
Folgerung zu begreifen, daß wenn zwey ſelbſtthaͤtige
Weſen in ſo genauer Vereinigung mit einander wirken,
wie die Seelen und Koͤrper bey den Thieren, daß ſie al-
lemal beide an den einzelnen Veraͤnderungen des Ganzen,
jede durch ihre eigene Kraft, beytragen, es unendliche
Verſchiedenheiten in dem Verhaͤltniſſe geben
muͤſſe, in dem ſie dazu beytragen,
und daß es
alſo eben ſo viele Stufen geben muͤſſe, in der die erfolgte
Wirkung von der Eigenmacht der Seele allein, oder
auch des Koͤrpers allein abhangen koͤnne.

2.

Unter den beſeelten Weſen, von dem Meerſchwamm
oder von der Tremella an, bis zu den Menſchen, giebt
es ohne Zweifel in Hinſicht dieſer Selbſtthaͤtigkeit eine
Stufenleiter. Woferne anders dieſe Weſen noch fuͤr
beſeelt anzuſehen ſind, dieſe Seele mag nun beſtehen
worinn ſie wolle, und vielleicht nicht einmal eine Seele
in dem Sinne ſeyn, wie ſie den vollkommenen Thieren
beygeleget wird. Denn unter Seele oder Seelenwe-
ſen
kann man doch im Allgemeinen bey der Betrachtung
der Thiere nichts anders verſtehen, als das innere Prin-
cip der Empfindungen und eigenmaͤchtigen Bewegungen,
die vor uns das Merkmal der thieriſchen Natur ſind.
Dieß Princip iſt Seele, wenn es nicht durch den gan-
zen organiſirten Koͤrper und deſſen Theile verbreitet iſt,
ſondern in einem eigenen Theile deſſelben, dergleichen das
Gehirn iſt, ſich in vorzuͤglichſter Maaße befindet, und
dadurch als ein von dem uͤbrigen Koͤrper unterſchiedenes
und mit dieſem verbundenes Weſen angeſehen werden
kann. Jn einem beſeelten Weſen muß es irgendwo ei-
nen Theil geben, der gleichſam der Mittelpunkt aller
thieriſchen Veraͤnderungen iſt, wohin die Eindruͤcke von
außen zuſammen laufen, und von dem alle ſelbſtthaͤtige

Bewe-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0814" n="754"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XI.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Grundkraft</hi></fw><lb/>
ihn wenig&#x017F;tens &#x017F;o deutlich finden, als es no&#x0364;thig i&#x017F;t, um die&#x017F;e<lb/>
Folgerung zu begreifen, daß wenn <hi rendition="#fr">zwey &#x017F;elb&#x017F;ttha&#x0364;tige</hi><lb/>
We&#x017F;en in &#x017F;o genauer Vereinigung mit einander wirken,<lb/>
wie die Seelen und Ko&#x0364;rper bey den Thieren, daß &#x017F;ie al-<lb/>
lemal beide an den einzelnen Vera&#x0364;nderungen des Ganzen,<lb/>
jede durch ihre eigene Kraft, beytragen, es <hi rendition="#fr">unendliche<lb/>
Ver&#x017F;chiedenheiten in dem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e geben<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, in dem &#x017F;ie dazu beytragen,</hi> und daß es<lb/>
al&#x017F;o eben &#x017F;o viele Stufen geben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, in der die erfolgte<lb/>
Wirkung von der Eigenmacht der Seele allein, oder<lb/>
auch des Ko&#x0364;rpers allein abhangen ko&#x0364;nne.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>2.</head><lb/>
            <p>Unter den be&#x017F;eelten We&#x017F;en, von dem Meer&#x017F;chwamm<lb/>
oder von der Tremella an, bis zu den Men&#x017F;chen, giebt<lb/>
es ohne Zweifel in Hin&#x017F;icht die&#x017F;er Selb&#x017F;ttha&#x0364;tigkeit eine<lb/>
Stufenleiter. Woferne anders die&#x017F;e We&#x017F;en noch fu&#x0364;r<lb/>
be&#x017F;eelt anzu&#x017F;ehen &#x017F;ind, die&#x017F;e Seele mag nun be&#x017F;tehen<lb/>
worinn &#x017F;ie wolle, und vielleicht nicht einmal eine Seele<lb/>
in dem Sinne &#x017F;eyn, wie &#x017F;ie den vollkommenen Thieren<lb/>
beygeleget wird. Denn unter Seele oder <hi rendition="#fr">Seelenwe-<lb/>
&#x017F;en</hi> kann man doch im Allgemeinen bey der Betrachtung<lb/>
der Thiere nichts anders ver&#x017F;tehen, als das innere Prin-<lb/>
cip der Empfindungen und eigenma&#x0364;chtigen Bewegungen,<lb/>
die vor uns das Merkmal der thieri&#x017F;chen Natur &#x017F;ind.<lb/>
Dieß Princip i&#x017F;t Seele, wenn es nicht durch den gan-<lb/>
zen organi&#x017F;irten Ko&#x0364;rper und de&#x017F;&#x017F;en Theile verbreitet i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ondern in einem eigenen Theile de&#x017F;&#x017F;elben, dergleichen das<lb/>
Gehirn i&#x017F;t, &#x017F;ich in vorzu&#x0364;glich&#x017F;ter Maaße befindet, und<lb/>
dadurch als ein von dem u&#x0364;brigen Ko&#x0364;rper unter&#x017F;chiedenes<lb/>
und mit die&#x017F;em verbundenes We&#x017F;en ange&#x017F;ehen werden<lb/>
kann. Jn einem be&#x017F;eelten We&#x017F;en muß es irgendwo ei-<lb/>
nen Theil geben, der gleich&#x017F;am der Mittelpunkt aller<lb/>
thieri&#x017F;chen Vera&#x0364;nderungen i&#x017F;t, wohin die Eindru&#x0364;cke von<lb/>
außen zu&#x017F;ammen laufen, und von dem alle &#x017F;elb&#x017F;ttha&#x0364;tige<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Bewe-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[754/0814] XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft ihn wenigſtens ſo deutlich finden, als es noͤthig iſt, um dieſe Folgerung zu begreifen, daß wenn zwey ſelbſtthaͤtige Weſen in ſo genauer Vereinigung mit einander wirken, wie die Seelen und Koͤrper bey den Thieren, daß ſie al- lemal beide an den einzelnen Veraͤnderungen des Ganzen, jede durch ihre eigene Kraft, beytragen, es unendliche Verſchiedenheiten in dem Verhaͤltniſſe geben muͤſſe, in dem ſie dazu beytragen, und daß es alſo eben ſo viele Stufen geben muͤſſe, in der die erfolgte Wirkung von der Eigenmacht der Seele allein, oder auch des Koͤrpers allein abhangen koͤnne. 2. Unter den beſeelten Weſen, von dem Meerſchwamm oder von der Tremella an, bis zu den Menſchen, giebt es ohne Zweifel in Hinſicht dieſer Selbſtthaͤtigkeit eine Stufenleiter. Woferne anders dieſe Weſen noch fuͤr beſeelt anzuſehen ſind, dieſe Seele mag nun beſtehen worinn ſie wolle, und vielleicht nicht einmal eine Seele in dem Sinne ſeyn, wie ſie den vollkommenen Thieren beygeleget wird. Denn unter Seele oder Seelenwe- ſen kann man doch im Allgemeinen bey der Betrachtung der Thiere nichts anders verſtehen, als das innere Prin- cip der Empfindungen und eigenmaͤchtigen Bewegungen, die vor uns das Merkmal der thieriſchen Natur ſind. Dieß Princip iſt Seele, wenn es nicht durch den gan- zen organiſirten Koͤrper und deſſen Theile verbreitet iſt, ſondern in einem eigenen Theile deſſelben, dergleichen das Gehirn iſt, ſich in vorzuͤglichſter Maaße befindet, und dadurch als ein von dem uͤbrigen Koͤrper unterſchiedenes und mit dieſem verbundenes Weſen angeſehen werden kann. Jn einem beſeelten Weſen muß es irgendwo ei- nen Theil geben, der gleichſam der Mittelpunkt aller thieriſchen Veraͤnderungen iſt, wohin die Eindruͤcke von außen zuſammen laufen, und von dem alle ſelbſtthaͤtige Bewe-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/814
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 754. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/814>, abgerufen am 21.12.2024.