sagen, "ihre Grundkraft sey die, welche den Keim der Grundvermögen zum Fühlen, zum Vorstellen, zum Wollen in sich enthalte?" Wir fühlen sie, wir wirken im entwickelten Zustande, indem wir uns selbst fühlen. Vielleicht verhalten sich also die uns bekannten Grund- vermögen zu der Urkraft der Seele, wie das Vermögen zum Lachen, sich zu den entferntern Vermögen der Seele und des Leibes verhält, von denen es eine Folge und Wir- kung ist. Vielleicht ist die Urkraft der Seele noch wei- ter entfernt.
3.
Man gebe dieser Schwierigkeit nach, und halte sich von der dunklen Tiefe, in der die Grundkraft der Seele lieget, zurück. Will man sich aber nicht abschrecken lassen, so weit hineinzugehen, als man sich fortzufühlen im Stande ist, so wird man doch auf einige nützliche Betrachtungen kommen, und manches besser sehen, wenn gleich das nicht entdecket wird, was man aufsuchte. Zuerst bietet sie die von so manchen schon angenommene Hypothese dar, "das Gefühl selbst sey der Unterschei- dungscharakter der Urkraft der Seele von andern Urkräf- ten. Diese Jdee hat einiges für sich, das sie wahr- scheinlich machet; aber auch nur einiges, denn an völli- ger Evidenz muß da nothwendig vieles fehlen, wo das Licht der Beobachtungen verlischt, und nur ein schwa- cher Schimmer der Analogie zur Leuchte dienet. Die Spekulation aus Begriffen sollte hier als ein sicherer Wegweiser zutreten. Aber bey der thut sie dieß in me- taphysischen Untersuchungen sehr selten, theils weil sie nicht kann, und theils auch, weil ihre Beyhülfe so oft nicht gesuchet, und gar von der Hand gewiesen wird.
Es verlohnt sich doch der Mühe, die Gründe der er- wähnten Hypothese genauer anzusehen. Fühlen oder Empfinden -- so eine Jdee davon vorausgesetzt,
wie
XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft
ſagen, „ihre Grundkraft ſey die, welche den Keim der Grundvermoͤgen zum Fuͤhlen, zum Vorſtellen, zum Wollen in ſich enthalte?‟ Wir fuͤhlen ſie, wir wirken im entwickelten Zuſtande, indem wir uns ſelbſt fuͤhlen. Vielleicht verhalten ſich alſo die uns bekannten Grund- vermoͤgen zu der Urkraft der Seele, wie das Vermoͤgen zum Lachen, ſich zu den entferntern Vermoͤgen der Seele und des Leibes verhaͤlt, von denen es eine Folge und Wir- kung iſt. Vielleicht iſt die Urkraft der Seele noch wei- ter entfernt.
3.
Man gebe dieſer Schwierigkeit nach, und halte ſich von der dunklen Tiefe, in der die Grundkraft der Seele lieget, zuruͤck. Will man ſich aber nicht abſchrecken laſſen, ſo weit hineinzugehen, als man ſich fortzufuͤhlen im Stande iſt, ſo wird man doch auf einige nuͤtzliche Betrachtungen kommen, und manches beſſer ſehen, wenn gleich das nicht entdecket wird, was man aufſuchte. Zuerſt bietet ſie die von ſo manchen ſchon angenommene Hypotheſe dar, „das Gefuͤhl ſelbſt ſey der Unterſchei- dungscharakter der Urkraft der Seele von andern Urkraͤf- ten. Dieſe Jdee hat einiges fuͤr ſich, das ſie wahr- ſcheinlich machet; aber auch nur einiges, denn an voͤlli- ger Evidenz muß da nothwendig vieles fehlen, wo das Licht der Beobachtungen verliſcht, und nur ein ſchwa- cher Schimmer der Analogie zur Leuchte dienet. Die Spekulation aus Begriffen ſollte hier als ein ſicherer Wegweiſer zutreten. Aber bey der thut ſie dieß in me- taphyſiſchen Unterſuchungen ſehr ſelten, theils weil ſie nicht kann, und theils auch, weil ihre Beyhuͤlfe ſo oft nicht geſuchet, und gar von der Hand gewieſen wird.
Es verlohnt ſich doch der Muͤhe, die Gruͤnde der er- waͤhnten Hypotheſe genauer anzuſehen. Fuͤhlen oder Empfinden — ſo eine Jdee davon vorausgeſetzt,
wie
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XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft
ſagen, „ihre Grundkraft ſey die, welche den Keim der
Grundvermoͤgen zum Fuͤhlen, zum Vorſtellen, zum
Wollen in ſich enthalte?‟ Wir fuͤhlen ſie, wir wirken
im entwickelten Zuſtande, indem wir uns ſelbſt fuͤhlen.
Vielleicht verhalten ſich alſo die uns bekannten Grund-
vermoͤgen zu der Urkraft der Seele, wie das Vermoͤgen
zum Lachen, ſich zu den entferntern Vermoͤgen der Seele
und des Leibes verhaͤlt, von denen es eine Folge und Wir-
kung iſt. Vielleicht iſt die Urkraft der Seele noch wei-
ter entfernt.
3.
Man gebe dieſer Schwierigkeit nach, und halte ſich
von der dunklen Tiefe, in der die Grundkraft der Seele
lieget, zuruͤck. Will man ſich aber nicht abſchrecken
laſſen, ſo weit hineinzugehen, als man ſich fortzufuͤhlen
im Stande iſt, ſo wird man doch auf einige nuͤtzliche
Betrachtungen kommen, und manches beſſer ſehen,
wenn gleich das nicht entdecket wird, was man aufſuchte.
Zuerſt bietet ſie die von ſo manchen ſchon angenommene
Hypotheſe dar, „das Gefuͤhl ſelbſt ſey der Unterſchei-
dungscharakter der Urkraft der Seele von andern Urkraͤf-
ten. Dieſe Jdee hat einiges fuͤr ſich, das ſie wahr-
ſcheinlich machet; aber auch nur einiges, denn an voͤlli-
ger Evidenz muß da nothwendig vieles fehlen, wo das
Licht der Beobachtungen verliſcht, und nur ein ſchwa-
cher Schimmer der Analogie zur Leuchte dienet. Die
Spekulation aus Begriffen ſollte hier als ein ſicherer
Wegweiſer zutreten. Aber bey der thut ſie dieß in me-
taphyſiſchen Unterſuchungen ſehr ſelten, theils weil ſie
nicht kann, und theils auch, weil ihre Beyhuͤlfe ſo oft
nicht geſuchet, und gar von der Hand gewieſen wird.
Es verlohnt ſich doch der Muͤhe, die Gruͤnde der er-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 734. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/794>, abgerufen am 21.12.2024.
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