kann sie auch der gemeine Menschenverstand sehen; aber die subtilern Jdeen der Spekulation in dem Kopf ge- gen einander zu halten, sie gleichsam in der Phantasie gegen einander abzuwägen, und ihre kleinsten Verschie- denheiten, eigentlich, die kleinsten Veränderungen bey dem Uebergang von einer zur andern zu empfinden, und solche lebhaft zu empfinden, dazu gehöret etwas mehr. Ein feines und schärferes Selbstgefühl bey den Vorstel- lungen, ist ein wesentliches Erforderniß zur Scharfsin- nigkeit des Verstandes.
V. Erfahrungen, aus denen zu folgen scheint, daß die Aktus der Denkkraft wesentlich von den Aeußerungen des Gefühls und der vorstellenden Kraft unterschieden sind.
1) Empfinden, Vorstellen und Denken schei- net sich einander auszuschließen. 2) Das Gefühl der Verhältnisse ist oft leb- haft, ohne daß die Gewahrnehmung der Verhältnisse es auch sey. 3) Die Aeußerungen der vorstellenden Kraft bey dem Beziehen der Vorstellungen auf einander, scheinet nicht allemal den zwee- ten Aktus des Denkens, nemlich das Ge- wahrnehmen des Verhältnisses, in glei- cher Maaße mit sich verbunden zu haben.
1.
Von jener Seite scheinet es allerdings so, als wenn das Denken dasselbige Princip habe mit dem Em- pfinden und Vorstellen. Aber ehe man entscheidet, werfe
man
P p 4
des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.
kann ſie auch der gemeine Menſchenverſtand ſehen; aber die ſubtilern Jdeen der Spekulation in dem Kopf ge- gen einander zu halten, ſie gleichſam in der Phantaſie gegen einander abzuwaͤgen, und ihre kleinſten Verſchie- denheiten, eigentlich, die kleinſten Veraͤnderungen bey dem Uebergang von einer zur andern zu empfinden, und ſolche lebhaft zu empfinden, dazu gehoͤret etwas mehr. Ein feines und ſchaͤrferes Selbſtgefuͤhl bey den Vorſtel- lungen, iſt ein weſentliches Erforderniß zur Scharfſin- nigkeit des Verſtandes.
V. Erfahrungen, aus denen zu folgen ſcheint, daß die Aktus der Denkkraft weſentlich von den Aeußerungen des Gefuͤhls und der vorſtellenden Kraft unterſchieden ſind.
1) Empfinden, Vorſtellen und Denken ſchei- net ſich einander auszuſchließen. 2) Das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe iſt oft leb- haft, ohne daß die Gewahrnehmung der Verhaͤltniſſe es auch ſey. 3) Die Aeußerungen der vorſtellenden Kraft bey dem Beziehen der Vorſtellungen auf einander, ſcheinet nicht allemal den zwee- ten Aktus des Denkens, nemlich das Ge- wahrnehmen des Verhaͤltniſſes, in glei- cher Maaße mit ſich verbunden zu haben.
1.
Von jener Seite ſcheinet es allerdings ſo, als wenn das Denken daſſelbige Princip habe mit dem Em- pfinden und Vorſtellen. Aber ehe man entſcheidet, werfe
man
P p 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0659"n="599"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.</hi></fw><lb/>
kann ſie auch der gemeine Menſchenverſtand ſehen; aber<lb/>
die ſubtilern Jdeen der Spekulation in dem Kopf ge-<lb/>
gen einander zu halten, ſie gleichſam in der Phantaſie<lb/>
gegen einander abzuwaͤgen, und ihre kleinſten Verſchie-<lb/>
denheiten, eigentlich, die kleinſten Veraͤnderungen bey<lb/>
dem Uebergang von einer zur andern zu empfinden, und<lb/>ſolche lebhaft zu empfinden, dazu gehoͤret etwas mehr.<lb/>
Ein feines und ſchaͤrferes Selbſtgefuͤhl bey den Vorſtel-<lb/>
lungen, iſt ein weſentliches Erforderniß zur Scharfſin-<lb/>
nigkeit des Verſtandes.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#aq">V.</hi><lb/>
Erfahrungen, aus denen zu folgen ſcheint,<lb/>
daß die Aktus der Denkkraft weſentlich<lb/>
von den Aeußerungen des Gefuͤhls und<lb/>
der vorſtellenden Kraft unterſchieden ſind.</head><lb/><argument><p><list><item>1) <hirendition="#fr">Empfinden, Vorſtellen und Denken ſchei-<lb/>
net ſich einander auszuſchließen.</hi></item><lb/><item>2) <hirendition="#fr">Das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe iſt oft leb-<lb/>
haft, ohne daß die Gewahrnehmung der<lb/>
Verhaͤltniſſe es auch ſey.</hi></item><lb/><item>3) <hirendition="#fr">Die Aeußerungen der vorſtellenden Kraft<lb/>
bey dem Beziehen der Vorſtellungen auf<lb/>
einander, ſcheinet nicht allemal den zwee-<lb/>
ten Aktus des Denkens, nemlich das Ge-<lb/>
wahrnehmen des Verhaͤltniſſes, in glei-<lb/>
cher Maaße mit ſich verbunden zu haben.</hi></item></list></p></argument><lb/><divn="3"><head>1.</head><lb/><p><hirendition="#in">V</hi>on jener Seite ſcheinet es allerdings ſo, als wenn<lb/>
das <hirendition="#fr">Denken</hi> daſſelbige Princip habe mit dem Em-<lb/>
pfinden und Vorſtellen. Aber ehe man entſcheidet, werfe<lb/><fwplace="bottom"type="sig">P p 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">man</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[599/0659]
des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.
kann ſie auch der gemeine Menſchenverſtand ſehen; aber
die ſubtilern Jdeen der Spekulation in dem Kopf ge-
gen einander zu halten, ſie gleichſam in der Phantaſie
gegen einander abzuwaͤgen, und ihre kleinſten Verſchie-
denheiten, eigentlich, die kleinſten Veraͤnderungen bey
dem Uebergang von einer zur andern zu empfinden, und
ſolche lebhaft zu empfinden, dazu gehoͤret etwas mehr.
Ein feines und ſchaͤrferes Selbſtgefuͤhl bey den Vorſtel-
lungen, iſt ein weſentliches Erforderniß zur Scharfſin-
nigkeit des Verſtandes.
V.
Erfahrungen, aus denen zu folgen ſcheint,
daß die Aktus der Denkkraft weſentlich
von den Aeußerungen des Gefuͤhls und
der vorſtellenden Kraft unterſchieden ſind.
1) Empfinden, Vorſtellen und Denken ſchei-
net ſich einander auszuſchließen.
2) Das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe iſt oft leb-
haft, ohne daß die Gewahrnehmung der
Verhaͤltniſſe es auch ſey.
3) Die Aeußerungen der vorſtellenden Kraft
bey dem Beziehen der Vorſtellungen auf
einander, ſcheinet nicht allemal den zwee-
ten Aktus des Denkens, nemlich das Ge-
wahrnehmen des Verhaͤltniſſes, in glei-
cher Maaße mit ſich verbunden zu haben.
1.
Von jener Seite ſcheinet es allerdings ſo, als wenn
das Denken daſſelbige Princip habe mit dem Em-
pfinden und Vorſtellen. Aber ehe man entſcheidet, werfe
man
P p 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/659>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.