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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der allgem. Vernunftwahrheiten, etc.
recht gut, ob es gleich in besondern Fällen schwer ist, die
eigentliche Verschiedenheit anzugeben.

Uebrigens ist es nicht zu längnen, daß unsere Ur-
theile über das Schöne und Gute von eben der Natur
sind, als die von den physischen Beschaffenheiten. Sie
beruhen auf Vergleichungen. Das blos Subjektivische
in jenen hat dieselbigen Gründe, wie in diesen; nur sind
sie dorten häufiger und stärker, als hier. Was die
Kenntnisse zu bloßen Relationen macht, macht auch die
Empfindungen von dem Schönen dazu, wie das Gefühl
der Wahrheit, das nicht die Wahrheit selbst ist; nur ist
des blos Subjektivischen in den letztern mehr vorhanden,
als in der Art von Kenntnissen, die wir für objektivische
Wahrheit ansehen.

9.

Dieß sind die Bedingungen noch nicht alle, unter
welchen nur unsere Erkenntniß objektivisch ist. Die
äußern Umstände, die Mittelursachen, die Sinnglieder,
die Lage der Gegenstände, und was sonsten unter der Be-
nennung äußerer Erfordernisse, begriffen werden
mag, muß bey den Jmpressionen, die wir in uns ver-
gleichen, dasselbige seyn. Hiezu gehöret sehr vieles, wie
bekannt ist.

Aber wo das alles bey mehreren Jmpressionen von
wirklichen Gegenständen einerley ist, vorausgesetzt daß
in Hinsicht der übrigen Erfodernisse nichts zu erinnern
sey, da sind wir auch sicher, daß die Verhältnisse unse-
rer eigenen Jmpressionen beständige und objektivi-
sche
Verhältnisse sind. Mag gleich das Auge der Ka-
tze alles länglicher und runder sich vorstellen, als das unse-
rige, und das gelbsüchtige alle Farben mit einem gelben
Anstrich überziehen, so wird doch die Jmpression von
der viereckten Stubenthür in jenem, von der von einer
runden Figur eben so wohl verschieden seyn, als sie bey

uns

der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
recht gut, ob es gleich in beſondern Faͤllen ſchwer iſt, die
eigentliche Verſchiedenheit anzugeben.

Uebrigens iſt es nicht zu laͤngnen, daß unſere Ur-
theile uͤber das Schoͤne und Gute von eben der Natur
ſind, als die von den phyſiſchen Beſchaffenheiten. Sie
beruhen auf Vergleichungen. Das blos Subjektiviſche
in jenen hat dieſelbigen Gruͤnde, wie in dieſen; nur ſind
ſie dorten haͤufiger und ſtaͤrker, als hier. Was die
Kenntniſſe zu bloßen Relationen macht, macht auch die
Empfindungen von dem Schoͤnen dazu, wie das Gefuͤhl
der Wahrheit, das nicht die Wahrheit ſelbſt iſt; nur iſt
des blos Subjektiviſchen in den letztern mehr vorhanden,
als in der Art von Kenntniſſen, die wir fuͤr objektiviſche
Wahrheit anſehen.

9.

Dieß ſind die Bedingungen noch nicht alle, unter
welchen nur unſere Erkenntniß objektiviſch iſt. Die
aͤußern Umſtaͤnde, die Mittelurſachen, die Sinnglieder,
die Lage der Gegenſtaͤnde, und was ſonſten unter der Be-
nennung aͤußerer Erforderniſſe, begriffen werden
mag, muß bey den Jmpreſſionen, die wir in uns ver-
gleichen, daſſelbige ſeyn. Hiezu gehoͤret ſehr vieles, wie
bekannt iſt.

Aber wo das alles bey mehreren Jmpreſſionen von
wirklichen Gegenſtaͤnden einerley iſt, vorausgeſetzt daß
in Hinſicht der uͤbrigen Erfoderniſſe nichts zu erinnern
ſey, da ſind wir auch ſicher, daß die Verhaͤltniſſe unſe-
rer eigenen Jmpreſſionen beſtaͤndige und objektivi-
ſche
Verhaͤltniſſe ſind. Mag gleich das Auge der Ka-
tze alles laͤnglicher und runder ſich vorſtellen, als das unſe-
rige, und das gelbſuͤchtige alle Farben mit einem gelben
Anſtrich uͤberziehen, ſo wird doch die Jmpreſſion von
der viereckten Stubenthuͤr in jenem, von der von einer
runden Figur eben ſo wohl verſchieden ſeyn, als ſie bey

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[559/0619] der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c. recht gut, ob es gleich in beſondern Faͤllen ſchwer iſt, die eigentliche Verſchiedenheit anzugeben. Uebrigens iſt es nicht zu laͤngnen, daß unſere Ur- theile uͤber das Schoͤne und Gute von eben der Natur ſind, als die von den phyſiſchen Beſchaffenheiten. Sie beruhen auf Vergleichungen. Das blos Subjektiviſche in jenen hat dieſelbigen Gruͤnde, wie in dieſen; nur ſind ſie dorten haͤufiger und ſtaͤrker, als hier. Was die Kenntniſſe zu bloßen Relationen macht, macht auch die Empfindungen von dem Schoͤnen dazu, wie das Gefuͤhl der Wahrheit, das nicht die Wahrheit ſelbſt iſt; nur iſt des blos Subjektiviſchen in den letztern mehr vorhanden, als in der Art von Kenntniſſen, die wir fuͤr objektiviſche Wahrheit anſehen. 9. Dieß ſind die Bedingungen noch nicht alle, unter welchen nur unſere Erkenntniß objektiviſch iſt. Die aͤußern Umſtaͤnde, die Mittelurſachen, die Sinnglieder, die Lage der Gegenſtaͤnde, und was ſonſten unter der Be- nennung aͤußerer Erforderniſſe, begriffen werden mag, muß bey den Jmpreſſionen, die wir in uns ver- gleichen, daſſelbige ſeyn. Hiezu gehoͤret ſehr vieles, wie bekannt iſt. Aber wo das alles bey mehreren Jmpreſſionen von wirklichen Gegenſtaͤnden einerley iſt, vorausgeſetzt daß in Hinſicht der uͤbrigen Erfoderniſſe nichts zu erinnern ſey, da ſind wir auch ſicher, daß die Verhaͤltniſſe unſe- rer eigenen Jmpreſſionen beſtaͤndige und objektivi- ſche Verhaͤltniſſe ſind. Mag gleich das Auge der Ka- tze alles laͤnglicher und runder ſich vorſtellen, als das unſe- rige, und das gelbſuͤchtige alle Farben mit einem gelben Anſtrich uͤberziehen, ſo wird doch die Jmpreſſion von der viereckten Stubenthuͤr in jenem, von der von einer runden Figur eben ſo wohl verſchieden ſeyn, als ſie bey uns

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/619>, abgerufen am 21.12.2024.