Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Versuch. Von der Rothwendigkeit
pfängt, dasselbige ist, so ist zu dieser Verschiedenheit nun
weiter kein Grund übrig, als in den Ursachen, welche die
Eindrücke hervorbringen. Dieß ist so nothwendig bey
der Thierseele als bey der Menschenseele. Sind also bey
uns zwo verschiedene Scheine vorhanden unter den glei-
chen Umständen, so müssen die Objekte, von dieser Seite
betrachtet, oder in so ferne sie auf diese Art in diesen be-
sondern Beschaffenheiten empfindbar sind, verschieden
seyn. Und diese unterschiedene Objekte werden, wenn
sie auf die Thierseele wirken, auf dasselbige Wesen, auf
gleiche Art modificirt, und unter gleichen Umständen,
wiederum unterschiedene Jmpressionen hervorbringen.
Das Verhältniß der Bilder ist beständig, unter
diesen Bedingungen.

7.

Bey der Anwendung dieser allgemeinen Regel auf
unsere sinnliche Vorstellungen muß manches in Betracht
gezogen werden, das ich hier nur berühren kann. Am
Ende kommen wir doch wiederum auf ein schon bekanntes
Resultat. "Es ist etwas objektivisches in dieser Art
"von Erkenntniß, aber der größte Theil bestehet nur in
"einem subjektivischen Schein."

Erstlich wird angenommen, daß die Jmpressionen
von den Objekten so beschaffen sind, daß ihre Verhältnis-
se und Beziehungen auf einander gewahrgenommen wer-
den können. Es ist etwas anders, "keine Verschieden-
heit bemerken" und ein anders "gewahrnehmen, daß
Sachen einerley sind," ob wir gleich gemeiniglich dieses
mit einander verwechseln, und der gemeine Verstand da-
her die Wassertropfen, die Grashalme, die Sandkörner
für Dinge von gleicher Gestalt und Größe hält, weil ih-
re Verschiedenheit nicht bemerket wird. Aber die besser
unterrichtete Vernunft weiß es doch, daß sie das Nicht-
zuunterscheidende
nur dann erst für Einerley halten

dörfe,

VII. Verſuch. Von der Rothwendigkeit
pfaͤngt, daſſelbige iſt, ſo iſt zu dieſer Verſchiedenheit nun
weiter kein Grund uͤbrig, als in den Urſachen, welche die
Eindruͤcke hervorbringen. Dieß iſt ſo nothwendig bey
der Thierſeele als bey der Menſchenſeele. Sind alſo bey
uns zwo verſchiedene Scheine vorhanden unter den glei-
chen Umſtaͤnden, ſo muͤſſen die Objekte, von dieſer Seite
betrachtet, oder in ſo ferne ſie auf dieſe Art in dieſen be-
ſondern Beſchaffenheiten empfindbar ſind, verſchieden
ſeyn. Und dieſe unterſchiedene Objekte werden, wenn
ſie auf die Thierſeele wirken, auf daſſelbige Weſen, auf
gleiche Art modificirt, und unter gleichen Umſtaͤnden,
wiederum unterſchiedene Jmpreſſionen hervorbringen.
Das Verhaͤltniß der Bilder iſt beſtaͤndig, unter
dieſen Bedingungen.

7.

Bey der Anwendung dieſer allgemeinen Regel auf
unſere ſinnliche Vorſtellungen muß manches in Betracht
gezogen werden, das ich hier nur beruͤhren kann. Am
Ende kommen wir doch wiederum auf ein ſchon bekanntes
Reſultat. „Es iſt etwas objektiviſches in dieſer Art
„von Erkenntniß, aber der groͤßte Theil beſtehet nur in
„einem ſubjektiviſchen Schein.‟

Erſtlich wird angenommen, daß die Jmpreſſionen
von den Objekten ſo beſchaffen ſind, daß ihre Verhaͤltniſ-
ſe und Beziehungen auf einander gewahrgenommen wer-
den koͤnnen. Es iſt etwas anders, „keine Verſchieden-
heit bemerken‟ und ein anders „gewahrnehmen, daß
Sachen einerley ſind,‟ ob wir gleich gemeiniglich dieſes
mit einander verwechſeln, und der gemeine Verſtand da-
her die Waſſertropfen, die Grashalme, die Sandkoͤrner
fuͤr Dinge von gleicher Geſtalt und Groͤße haͤlt, weil ih-
re Verſchiedenheit nicht bemerket wird. Aber die beſſer
unterrichtete Vernunft weiß es doch, daß ſie das Nicht-
zuunterſcheidende
nur dann erſt fuͤr Einerley halten

doͤrfe,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0612" n="552"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Ver&#x017F;uch. Von der Rothwendigkeit</hi></fw><lb/>
pfa&#x0364;ngt, da&#x017F;&#x017F;elbige i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t zu die&#x017F;er Ver&#x017F;chiedenheit nun<lb/>
weiter kein Grund u&#x0364;brig, als in den Ur&#x017F;achen, welche die<lb/>
Eindru&#x0364;cke hervorbringen. Dieß i&#x017F;t &#x017F;o nothwendig bey<lb/>
der Thier&#x017F;eele als bey der Men&#x017F;chen&#x017F;eele. Sind al&#x017F;o bey<lb/>
uns zwo ver&#x017F;chiedene Scheine vorhanden unter den glei-<lb/>
chen Um&#x017F;ta&#x0364;nden, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die Objekte, von die&#x017F;er Seite<lb/>
betrachtet, oder in &#x017F;o ferne &#x017F;ie auf die&#x017F;e Art in die&#x017F;en be-<lb/>
&#x017F;ondern Be&#x017F;chaffenheiten empfindbar &#x017F;ind, ver&#x017F;chieden<lb/>
&#x017F;eyn. Und die&#x017F;e unter&#x017F;chiedene Objekte werden, wenn<lb/>
&#x017F;ie auf die Thier&#x017F;eele wirken, auf da&#x017F;&#x017F;elbige We&#x017F;en, auf<lb/>
gleiche Art modificirt, und unter gleichen Um&#x017F;ta&#x0364;nden,<lb/>
wiederum unter&#x017F;chiedene Jmpre&#x017F;&#x017F;ionen hervorbringen.<lb/><hi rendition="#fr">Das Verha&#x0364;ltniß der Bilder i&#x017F;t be&#x017F;ta&#x0364;ndig, unter<lb/>
die&#x017F;en Bedingungen.</hi></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>7.</head><lb/>
            <p>Bey der Anwendung die&#x017F;er allgemeinen Regel auf<lb/>
un&#x017F;ere &#x017F;innliche Vor&#x017F;tellungen muß manches in Betracht<lb/>
gezogen werden, das ich hier nur beru&#x0364;hren kann. Am<lb/>
Ende kommen wir doch wiederum auf ein &#x017F;chon bekanntes<lb/>
Re&#x017F;ultat. &#x201E;Es i&#x017F;t etwas objektivi&#x017F;ches in die&#x017F;er Art<lb/>
&#x201E;von Erkenntniß, aber der gro&#x0364;ßte Theil be&#x017F;tehet nur in<lb/>
&#x201E;einem &#x017F;ubjektivi&#x017F;chen Schein.&#x201F;</p><lb/>
            <p>Er&#x017F;tlich wird angenommen, daß die Jmpre&#x017F;&#x017F;ionen<lb/>
von den Objekten &#x017F;o be&#x017F;chaffen &#x017F;ind, daß ihre Verha&#x0364;ltni&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e und Beziehungen auf einander gewahrgenommen wer-<lb/>
den ko&#x0364;nnen. Es i&#x017F;t etwas anders, &#x201E;keine Ver&#x017F;chieden-<lb/>
heit bemerken&#x201F; und ein anders &#x201E;gewahrnehmen, daß<lb/>
Sachen einerley &#x017F;ind,&#x201F; ob wir gleich gemeiniglich die&#x017F;es<lb/>
mit einander verwech&#x017F;eln, und der gemeine Ver&#x017F;tand da-<lb/>
her die Wa&#x017F;&#x017F;ertropfen, die Grashalme, die Sandko&#x0364;rner<lb/>
fu&#x0364;r Dinge von gleicher Ge&#x017F;talt und Gro&#x0364;ße ha&#x0364;lt, weil ih-<lb/>
re Ver&#x017F;chiedenheit nicht bemerket wird. Aber die be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
unterrichtete Vernunft weiß es doch, daß &#x017F;ie das <hi rendition="#fr">Nicht-<lb/>
zuunter&#x017F;cheidende</hi> nur dann er&#x017F;t fu&#x0364;r <hi rendition="#fr">Einerley</hi> halten<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">do&#x0364;rfe,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[552/0612] VII. Verſuch. Von der Rothwendigkeit pfaͤngt, daſſelbige iſt, ſo iſt zu dieſer Verſchiedenheit nun weiter kein Grund uͤbrig, als in den Urſachen, welche die Eindruͤcke hervorbringen. Dieß iſt ſo nothwendig bey der Thierſeele als bey der Menſchenſeele. Sind alſo bey uns zwo verſchiedene Scheine vorhanden unter den glei- chen Umſtaͤnden, ſo muͤſſen die Objekte, von dieſer Seite betrachtet, oder in ſo ferne ſie auf dieſe Art in dieſen be- ſondern Beſchaffenheiten empfindbar ſind, verſchieden ſeyn. Und dieſe unterſchiedene Objekte werden, wenn ſie auf die Thierſeele wirken, auf daſſelbige Weſen, auf gleiche Art modificirt, und unter gleichen Umſtaͤnden, wiederum unterſchiedene Jmpreſſionen hervorbringen. Das Verhaͤltniß der Bilder iſt beſtaͤndig, unter dieſen Bedingungen. 7. Bey der Anwendung dieſer allgemeinen Regel auf unſere ſinnliche Vorſtellungen muß manches in Betracht gezogen werden, das ich hier nur beruͤhren kann. Am Ende kommen wir doch wiederum auf ein ſchon bekanntes Reſultat. „Es iſt etwas objektiviſches in dieſer Art „von Erkenntniß, aber der groͤßte Theil beſtehet nur in „einem ſubjektiviſchen Schein.‟ Erſtlich wird angenommen, daß die Jmpreſſionen von den Objekten ſo beſchaffen ſind, daß ihre Verhaͤltniſ- ſe und Beziehungen auf einander gewahrgenommen wer- den koͤnnen. Es iſt etwas anders, „keine Verſchieden- heit bemerken‟ und ein anders „gewahrnehmen, daß Sachen einerley ſind,‟ ob wir gleich gemeiniglich dieſes mit einander verwechſeln, und der gemeine Verſtand da- her die Waſſertropfen, die Grashalme, die Sandkoͤrner fuͤr Dinge von gleicher Geſtalt und Groͤße haͤlt, weil ih- re Verſchiedenheit nicht bemerket wird. Aber die beſſer unterrichtete Vernunft weiß es doch, daß ſie das Nicht- zuunterſcheidende nur dann erſt fuͤr Einerley halten doͤrfe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/612
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/612>, abgerufen am 21.12.2024.