Wenn zwey Gegenstände gewahrgenommen, und überdieß auf einander bezogen werden, so werden sie im Verhältniß gedacht. Dieß ist das sinnliche Urtheil über gewahrgenommene Sachen. Der gemeine Verstand, der die Jdee von der Sonne, und die Jdee von dem Tageslicht hat, denket nothwendig diese beiden Sachen in einer ursachlichen Beziehung; aber dieß ist noch nicht der Gedanke von ihrem Verhält- nisse, sondern nur ihre ursachliche Beziehung auf ein- ander.
4.
Es ist oben in der Betrachtung über die ursprüngli- chen Denkarten bemerket worden, es sey ganz wohl mög- lich, daß ein Gedanke von den Verhältnissen und Be- ziehungen der Dinge, von ihrer ursachlichen Verbindung, von ihrer Koexistenz, auch von ihrer Aehnlichkeit und Verschiedenheit, nicht nur zugleich entstehen könne, wenn das Gewahrnehmen der bezogenen Dinge selbst zu Stande kommt, sondern daß jene Verhältnißideen auch wohl noch vor dem Gewahrnehmen der auf ein- ander bezogenen Sachen vorhergehen, und zuweilen al- lein ohne dieß letztere vorhanden seyn können. Hier lässet sich nun die Art und Weise davon begreifen. Diese Betrachtung empfehle ich den Philosophen zur Ueberle- gung, weil sie uns am deutlichsten die Entstehungsart der Begriffe von Raum und Zeit vorleget.
Ohne Vorstellungen von Sachen ist kein Bezie- hen der Vorstellungen möglich, folglich auch kein Ge- wahrnehmen ihrer Beziehung, kein Gedanke von ihrem Verhältniß. Aber das letztere läßt sich wohl gedenken, ohne daß die Vorstellungen, die auf einander bezogen werden, selbst gewahrgenommene Vorstellungen oder Jdeen sind. Wir fühlen es oft genug, daß Verände- rungen, Vorstellungen, Bewegungen u. s. f. in uns auf
einander
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und uͤber das Denken.
Wenn zwey Gegenſtaͤnde gewahrgenommen, und uͤberdieß auf einander bezogen werden, ſo werden ſie im Verhaͤltniß gedacht. Dieß iſt das ſinnliche Urtheil uͤber gewahrgenommene Sachen. Der gemeine Verſtand, der die Jdee von der Sonne, und die Jdee von dem Tageslicht hat, denket nothwendig dieſe beiden Sachen in einer urſachlichen Beziehung; aber dieß iſt noch nicht der Gedanke von ihrem Verhaͤlt- niſſe, ſondern nur ihre urſachliche Beziehung auf ein- ander.
4.
Es iſt oben in der Betrachtung uͤber die urſpruͤngli- chen Denkarten bemerket worden, es ſey ganz wohl moͤg- lich, daß ein Gedanke von den Verhaͤltniſſen und Be- ziehungen der Dinge, von ihrer urſachlichen Verbindung, von ihrer Koexiſtenz, auch von ihrer Aehnlichkeit und Verſchiedenheit, nicht nur zugleich entſtehen koͤnne, wenn das Gewahrnehmen der bezogenen Dinge ſelbſt zu Stande kommt, ſondern daß jene Verhaͤltnißideen auch wohl noch vor dem Gewahrnehmen der auf ein- ander bezogenen Sachen vorhergehen, und zuweilen al- lein ohne dieß letztere vorhanden ſeyn koͤnnen. Hier laͤſſet ſich nun die Art und Weiſe davon begreifen. Dieſe Betrachtung empfehle ich den Philoſophen zur Ueberle- gung, weil ſie uns am deutlichſten die Entſtehungsart der Begriffe von Raum und Zeit vorleget.
Ohne Vorſtellungen von Sachen iſt kein Bezie- hen der Vorſtellungen moͤglich, folglich auch kein Ge- wahrnehmen ihrer Beziehung, kein Gedanke von ihrem Verhaͤltniß. Aber das letztere laͤßt ſich wohl gedenken, ohne daß die Vorſtellungen, die auf einander bezogen werden, ſelbſt gewahrgenommene Vorſtellungen oder Jdeen ſind. Wir fuͤhlen es oft genug, daß Veraͤnde- rungen, Vorſtellungen, Bewegungen u. ſ. f. in uns auf
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und uͤber das Denken.
Wenn zwey Gegenſtaͤnde gewahrgenommen, und
uͤberdieß auf einander bezogen werden, ſo werden ſie
im Verhaͤltniß gedacht. Dieß iſt das ſinnliche
Urtheil uͤber gewahrgenommene Sachen. Der
gemeine Verſtand, der die Jdee von der Sonne, und
die Jdee von dem Tageslicht hat, denket nothwendig
dieſe beiden Sachen in einer urſachlichen Beziehung;
aber dieß iſt noch nicht der Gedanke von ihrem Verhaͤlt-
niſſe, ſondern nur ihre urſachliche Beziehung auf ein-
ander.
4.
Es iſt oben in der Betrachtung uͤber die urſpruͤngli-
chen Denkarten bemerket worden, es ſey ganz wohl moͤg-
lich, daß ein Gedanke von den Verhaͤltniſſen und Be-
ziehungen der Dinge, von ihrer urſachlichen Verbindung,
von ihrer Koexiſtenz, auch von ihrer Aehnlichkeit und
Verſchiedenheit, nicht nur zugleich entſtehen koͤnne,
wenn das Gewahrnehmen der bezogenen Dinge ſelbſt
zu Stande kommt, ſondern daß jene Verhaͤltnißideen
auch wohl noch vor dem Gewahrnehmen der auf ein-
ander bezogenen Sachen vorhergehen, und zuweilen al-
lein ohne dieß letztere vorhanden ſeyn koͤnnen. Hier laͤſſet
ſich nun die Art und Weiſe davon begreifen. Dieſe
Betrachtung empfehle ich den Philoſophen zur Ueberle-
gung, weil ſie uns am deutlichſten die Entſtehungsart
der Begriffe von Raum und Zeit vorleget.
Ohne Vorſtellungen von Sachen iſt kein Bezie-
hen der Vorſtellungen moͤglich, folglich auch kein Ge-
wahrnehmen ihrer Beziehung, kein Gedanke von ihrem
Verhaͤltniß. Aber das letztere laͤßt ſich wohl gedenken,
ohne daß die Vorſtellungen, die auf einander bezogen
werden, ſelbſt gewahrgenommene Vorſtellungen oder
Jdeen ſind. Wir fuͤhlen es oft genug, daß Veraͤnde-
rungen, Vorſtellungen, Bewegungen u. ſ. f. in uns auf
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/417>, abgerufen am 21.11.2024.
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