war. So oft wir uns einen Zusammenhang von Wahr- heiten und Gegenständen vorstellen, so setzen wir voraus, daß der Zusammenhang der Jdeen im System so eine Beziehung auf einander sey, daß der von der Grundidee modificirte Verstand die Folgerung aus sich selbst her- vorbringen, oder doch seiner Natur gemäß zu ihr über- gehen müsse; und dieß ist ganz etwas anders, als ein bloßer Haufe in einer gewissen Ordnung neben einander liegender und auf einander folgender Jdeen. Wenn der Geometer ein Korollarium aus seinem bewiesenen Theo- rem herleitet, so ist er das erstemal schon von dem Zu- sammenhang überzeuget. Warum? Darum etwan, weil Korollarium und Theorem in unmittelbarer Folge von ihm gelesen, gehöret und vorgestellet worden, und in eine unzertrennliche Verbindung in der Phantasie getre- ten sind? So etwas geht in dem Kopf desjenigen vor, der die Geometrie auswendig erlernet; aber so ist es nicht bey dem, der sie durchgedacht und eingesehen hat. Hier ist ein fühlbarer Unterschied.
5.
Nun also das Resultat dieser Erinnerungen. Erstlich ist es wohl nicht die bloße Folge der Empfindun- gen auf einander, aus denen der Begrif von der ver- ursachenden Verknüpfung genommen wird. Es sind vielmehr gewisse besondere Arten von Jdeenassociationen, wovon er abstrahirt wird, und zwar solche, bey denen noch etwas mehr bemerket wird, als daß eine Jdee vor- hergehe, und die andere darauf folge. Wir nehmen ohne Zweifel diesen Begriff zunächst aus dem Gefühl von unserm eigenen Bestreben, und dessen Wirkungen. Es ist eine Empfindung von dem Dinge da, welches die Ursache genennet wird, und wir fühlen ein Bestreben und eine Thätigkeit bey demselben. Wir empfinden das Nachfolgende, welches Wirkung genennet wird, und
entstanden
X 2
und uͤber das Denken.
war. So oft wir uns einen Zuſammenhang von Wahr- heiten und Gegenſtaͤnden vorſtellen, ſo ſetzen wir voraus, daß der Zuſammenhang der Jdeen im Syſtem ſo eine Beziehung auf einander ſey, daß der von der Grundidee modificirte Verſtand die Folgerung aus ſich ſelbſt her- vorbringen, oder doch ſeiner Natur gemaͤß zu ihr uͤber- gehen muͤſſe; und dieß iſt ganz etwas anders, als ein bloßer Haufe in einer gewiſſen Ordnung neben einander liegender und auf einander folgender Jdeen. Wenn der Geometer ein Korollarium aus ſeinem bewieſenen Theo- rem herleitet, ſo iſt er das erſtemal ſchon von dem Zu- ſammenhang uͤberzeuget. Warum? Darum etwan, weil Korollarium und Theorem in unmittelbarer Folge von ihm geleſen, gehoͤret und vorgeſtellet worden, und in eine unzertrennliche Verbindung in der Phantaſie getre- ten ſind? So etwas geht in dem Kopf desjenigen vor, der die Geometrie auswendig erlernet; aber ſo iſt es nicht bey dem, der ſie durchgedacht und eingeſehen hat. Hier iſt ein fuͤhlbarer Unterſchied.
5.
Nun alſo das Reſultat dieſer Erinnerungen. Erſtlich iſt es wohl nicht die bloße Folge der Empfindun- gen auf einander, aus denen der Begrif von der ver- urſachenden Verknuͤpfung genommen wird. Es ſind vielmehr gewiſſe beſondere Arten von Jdeenaſſociationen, wovon er abſtrahirt wird, und zwar ſolche, bey denen noch etwas mehr bemerket wird, als daß eine Jdee vor- hergehe, und die andere darauf folge. Wir nehmen ohne Zweifel dieſen Begriff zunaͤchſt aus dem Gefuͤhl von unſerm eigenen Beſtreben, und deſſen Wirkungen. Es iſt eine Empfindung von dem Dinge da, welches die Urſache genennet wird, und wir fuͤhlen ein Beſtreben und eine Thaͤtigkeit bey demſelben. Wir empfinden das Nachfolgende, welches Wirkung genennet wird, und
entſtanden
X 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0383"n="323"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und uͤber das Denken.</hi></fw><lb/>
war. So oft wir uns einen Zuſammenhang von Wahr-<lb/>
heiten und Gegenſtaͤnden vorſtellen, ſo ſetzen wir voraus,<lb/>
daß der Zuſammenhang der Jdeen im Syſtem ſo eine<lb/>
Beziehung auf einander ſey, daß der von der Grundidee<lb/>
modificirte Verſtand die Folgerung aus ſich ſelbſt her-<lb/>
vorbringen, oder doch ſeiner Natur gemaͤß zu ihr uͤber-<lb/>
gehen muͤſſe; und dieß iſt ganz etwas anders, als ein<lb/>
bloßer Haufe in einer gewiſſen Ordnung neben einander<lb/>
liegender und auf einander folgender Jdeen. Wenn der<lb/>
Geometer ein Korollarium aus ſeinem bewieſenen Theo-<lb/>
rem herleitet, ſo iſt er das erſtemal ſchon von dem Zu-<lb/>ſammenhang uͤberzeuget. Warum? Darum etwan,<lb/>
weil Korollarium und Theorem in unmittelbarer Folge<lb/>
von ihm geleſen, gehoͤret und vorgeſtellet worden, und in<lb/>
eine unzertrennliche Verbindung in der Phantaſie getre-<lb/>
ten ſind? So etwas geht in dem Kopf desjenigen vor,<lb/>
der die Geometrie auswendig erlernet; aber ſo iſt es<lb/>
nicht bey dem, der ſie durchgedacht und eingeſehen hat.<lb/>
Hier iſt ein fuͤhlbarer Unterſchied.</p></div><lb/><divn="3"><head>5.</head><lb/><p>Nun alſo das Reſultat dieſer Erinnerungen. Erſtlich<lb/>
iſt es wohl nicht die <hirendition="#fr">bloße Folge der Empfindun-<lb/>
gen</hi> auf einander, aus denen der Begrif von der <hirendition="#fr">ver-<lb/>
urſachenden</hi> Verknuͤpfung genommen wird. Es ſind<lb/>
vielmehr gewiſſe beſondere Arten von Jdeenaſſociationen,<lb/>
wovon er abſtrahirt wird, und zwar ſolche, bey denen<lb/>
noch etwas mehr bemerket wird, als daß eine Jdee vor-<lb/>
hergehe, und die andere darauf folge. Wir nehmen<lb/>
ohne Zweifel dieſen Begriff zunaͤchſt aus dem Gefuͤhl von<lb/>
unſerm eigenen Beſtreben, und deſſen Wirkungen. Es<lb/>
iſt eine Empfindung von dem Dinge da, welches die<lb/><hirendition="#fr">Urſache</hi> genennet wird, und wir fuͤhlen ein <hirendition="#fr">Beſtreben</hi><lb/>
und eine Thaͤtigkeit bey demſelben. Wir empfinden das<lb/>
Nachfolgende, welches <hirendition="#fr">Wirkung</hi> genennet wird, und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">X 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">entſtanden</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[323/0383]
und uͤber das Denken.
war. So oft wir uns einen Zuſammenhang von Wahr-
heiten und Gegenſtaͤnden vorſtellen, ſo ſetzen wir voraus,
daß der Zuſammenhang der Jdeen im Syſtem ſo eine
Beziehung auf einander ſey, daß der von der Grundidee
modificirte Verſtand die Folgerung aus ſich ſelbſt her-
vorbringen, oder doch ſeiner Natur gemaͤß zu ihr uͤber-
gehen muͤſſe; und dieß iſt ganz etwas anders, als ein
bloßer Haufe in einer gewiſſen Ordnung neben einander
liegender und auf einander folgender Jdeen. Wenn der
Geometer ein Korollarium aus ſeinem bewieſenen Theo-
rem herleitet, ſo iſt er das erſtemal ſchon von dem Zu-
ſammenhang uͤberzeuget. Warum? Darum etwan,
weil Korollarium und Theorem in unmittelbarer Folge
von ihm geleſen, gehoͤret und vorgeſtellet worden, und in
eine unzertrennliche Verbindung in der Phantaſie getre-
ten ſind? So etwas geht in dem Kopf desjenigen vor,
der die Geometrie auswendig erlernet; aber ſo iſt es
nicht bey dem, der ſie durchgedacht und eingeſehen hat.
Hier iſt ein fuͤhlbarer Unterſchied.
5.
Nun alſo das Reſultat dieſer Erinnerungen. Erſtlich
iſt es wohl nicht die bloße Folge der Empfindun-
gen auf einander, aus denen der Begrif von der ver-
urſachenden Verknuͤpfung genommen wird. Es ſind
vielmehr gewiſſe beſondere Arten von Jdeenaſſociationen,
wovon er abſtrahirt wird, und zwar ſolche, bey denen
noch etwas mehr bemerket wird, als daß eine Jdee vor-
hergehe, und die andere darauf folge. Wir nehmen
ohne Zweifel dieſen Begriff zunaͤchſt aus dem Gefuͤhl von
unſerm eigenen Beſtreben, und deſſen Wirkungen. Es
iſt eine Empfindung von dem Dinge da, welches die
Urſache genennet wird, und wir fuͤhlen ein Beſtreben
und eine Thaͤtigkeit bey demſelben. Wir empfinden das
Nachfolgende, welches Wirkung genennet wird, und
entſtanden
X 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/383>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.