Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
II. Versuch. Ueber das Gefühl,
4.

Diese Anmerkungen sind Grundsätze in der Optik
des Gemüths. Wenden wir uns mit ihnen versehen
nunmehr zu den Erscheinungen, in der Absicht, die Em-
pfindungen, die ihrer Natur nach und ursprünglich
Empfindnisse sind,
auszumerken; so zeiget sich bald,
daß die körperlichen äußern Empfindungen der
Zeitordnung nach bey dem Menschen die Ersten unter
ihnen sind. Gefühl, Geschmack sind bey dem Kinde die
Sinne, deren Empfindungen zuerst angenehm oder wi-
drig sind. Es beweiset sich dieses in ihren Bestrebun-
gen, von einigen Dingen sich zu entfernen, und zu andern
sich hinzu zu nähern. Der Geruch ist ein Sinn, der
schon weniger bestimmt ist, und vielleicht, ehe er durch
Uebung verfeinert wird, der gleichgültigste. Diese Em-
pfindungen sind auch die gröbsten, dunkelsten und stärk-
sten. Auf die Eindrücke, die das Gehör und das Ge-
sicht empfangen, wird das Kind schon mehr durch die
Amme von außen her aufmerksam gemacht, indem sie
ihm allerley glänzende Gegenstände vorhält, und durch
einen lebhaften Ausdruck ihres eigenen Vergnügens oder
Verdrußes, zu einer ähnlichen sympathetischen Empfind-
niß es zu reizen suchet. Eben so machet man es mit ge-
wissen Schallarten der Klapperbüchse und Schellen.
Und dann sieht man erst nachher, daß das Kind eine
Auswahl anstellet, und dadurch zu erkennen giebt, daß
ihm eine Art von Bildern und von Tönen angenehmer
geworden sey, als eine andere.

Das innere Selbstgefühl, das Gefühl eige-
ner Thätigkeiten,
der Phantasie, der Denkkraft, des
Herzens u. s. f. entwickelt sich zwar zwischendurch mit
den äußern Sinnen, aber es ist doch immer, so zu
sagen, um einen Schritt zurück. Da es schon bey den
feinern Empfindungen der äußern Sinne erfodert wird,

durch
II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
4.

Dieſe Anmerkungen ſind Grundſaͤtze in der Optik
des Gemuͤths. Wenden wir uns mit ihnen verſehen
nunmehr zu den Erſcheinungen, in der Abſicht, die Em-
pfindungen, die ihrer Natur nach und urſpruͤnglich
Empfindniſſe ſind,
auszumerken; ſo zeiget ſich bald,
daß die koͤrperlichen aͤußern Empfindungen der
Zeitordnung nach bey dem Menſchen die Erſten unter
ihnen ſind. Gefuͤhl, Geſchmack ſind bey dem Kinde die
Sinne, deren Empfindungen zuerſt angenehm oder wi-
drig ſind. Es beweiſet ſich dieſes in ihren Beſtrebun-
gen, von einigen Dingen ſich zu entfernen, und zu andern
ſich hinzu zu naͤhern. Der Geruch iſt ein Sinn, der
ſchon weniger beſtimmt iſt, und vielleicht, ehe er durch
Uebung verfeinert wird, der gleichguͤltigſte. Dieſe Em-
pfindungen ſind auch die groͤbſten, dunkelſten und ſtaͤrk-
ſten. Auf die Eindruͤcke, die das Gehoͤr und das Ge-
ſicht empfangen, wird das Kind ſchon mehr durch die
Amme von außen her aufmerkſam gemacht, indem ſie
ihm allerley glaͤnzende Gegenſtaͤnde vorhaͤlt, und durch
einen lebhaften Ausdruck ihres eigenen Vergnuͤgens oder
Verdrußes, zu einer aͤhnlichen ſympathetiſchen Empfind-
niß es zu reizen ſuchet. Eben ſo machet man es mit ge-
wiſſen Schallarten der Klapperbuͤchſe und Schellen.
Und dann ſieht man erſt nachher, daß das Kind eine
Auswahl anſtellet, und dadurch zu erkennen giebt, daß
ihm eine Art von Bildern und von Toͤnen angenehmer
geworden ſey, als eine andere.

Das innere Selbſtgefuͤhl, das Gefuͤhl eige-
ner Thaͤtigkeiten,
der Phantaſie, der Denkkraft, des
Herzens u. ſ. f. entwickelt ſich zwar zwiſchendurch mit
den aͤußern Sinnen, aber es iſt doch immer, ſo zu
ſagen, um einen Schritt zuruͤck. Da es ſchon bey den
feinern Empfindungen der aͤußern Sinne erfodert wird,

durch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0298" n="238"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber das Gefu&#x0364;hl,</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>4.</head><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Anmerkungen &#x017F;ind Grund&#x017F;a&#x0364;tze in der Optik<lb/>
des Gemu&#x0364;ths. Wenden wir uns mit ihnen ver&#x017F;ehen<lb/>
nunmehr zu den Er&#x017F;cheinungen, in der Ab&#x017F;icht, die Em-<lb/>
pfindungen, die ihrer Natur nach und <hi rendition="#fr">ur&#x017F;pru&#x0364;nglich<lb/>
Empfindni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ind,</hi> auszumerken; &#x017F;o zeiget &#x017F;ich bald,<lb/>
daß die <hi rendition="#fr">ko&#x0364;rperlichen a&#x0364;ußern Empfindungen</hi> der<lb/>
Zeitordnung nach bey dem Men&#x017F;chen die <hi rendition="#fr">Er&#x017F;ten</hi> unter<lb/>
ihnen &#x017F;ind. Gefu&#x0364;hl, Ge&#x017F;chmack &#x017F;ind bey dem Kinde die<lb/>
Sinne, deren Empfindungen zuer&#x017F;t angenehm oder wi-<lb/>
drig &#x017F;ind. Es bewei&#x017F;et &#x017F;ich die&#x017F;es in ihren Be&#x017F;trebun-<lb/>
gen, von einigen Dingen &#x017F;ich zu entfernen, und zu andern<lb/>
&#x017F;ich hinzu zu na&#x0364;hern. Der Geruch i&#x017F;t ein Sinn, der<lb/>
&#x017F;chon weniger be&#x017F;timmt i&#x017F;t, und vielleicht, ehe er durch<lb/>
Uebung verfeinert wird, der gleichgu&#x0364;ltig&#x017F;te. Die&#x017F;e Em-<lb/>
pfindungen &#x017F;ind auch die gro&#x0364;b&#x017F;ten, dunkel&#x017F;ten und &#x017F;ta&#x0364;rk-<lb/>
&#x017F;ten. Auf die Eindru&#x0364;cke, die das Geho&#x0364;r und das Ge-<lb/>
&#x017F;icht empfangen, wird das Kind &#x017F;chon mehr durch die<lb/>
Amme von außen her aufmerk&#x017F;am gemacht, indem &#x017F;ie<lb/>
ihm allerley gla&#x0364;nzende Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde vorha&#x0364;lt, und durch<lb/>
einen lebhaften Ausdruck ihres eigenen Vergnu&#x0364;gens oder<lb/>
Verdrußes, zu einer a&#x0364;hnlichen &#x017F;ympatheti&#x017F;chen Empfind-<lb/>
niß es zu reizen &#x017F;uchet. Eben &#x017F;o machet man es mit ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Schallarten der Klapperbu&#x0364;ch&#x017F;e und Schellen.<lb/>
Und dann &#x017F;ieht man er&#x017F;t nachher, daß das Kind eine<lb/>
Auswahl an&#x017F;tellet, und dadurch zu erkennen giebt, daß<lb/>
ihm eine Art von Bildern und von To&#x0364;nen angenehmer<lb/>
geworden &#x017F;ey, als eine andere.</p><lb/>
            <p>Das <hi rendition="#fr">innere Selb&#x017F;tgefu&#x0364;hl, das Gefu&#x0364;hl eige-<lb/>
ner Tha&#x0364;tigkeiten,</hi> der Phanta&#x017F;ie, der Denkkraft, des<lb/>
Herzens u. &#x017F;. f. entwickelt &#x017F;ich zwar zwi&#x017F;chendurch mit<lb/>
den a&#x0364;ußern Sinnen, aber es i&#x017F;t doch immer, &#x017F;o zu<lb/>
&#x017F;agen, um einen Schritt zuru&#x0364;ck. Da es &#x017F;chon bey den<lb/>
feinern Empfindungen der a&#x0364;ußern Sinne erfodert wird,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">durch</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0298] II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl, 4. Dieſe Anmerkungen ſind Grundſaͤtze in der Optik des Gemuͤths. Wenden wir uns mit ihnen verſehen nunmehr zu den Erſcheinungen, in der Abſicht, die Em- pfindungen, die ihrer Natur nach und urſpruͤnglich Empfindniſſe ſind, auszumerken; ſo zeiget ſich bald, daß die koͤrperlichen aͤußern Empfindungen der Zeitordnung nach bey dem Menſchen die Erſten unter ihnen ſind. Gefuͤhl, Geſchmack ſind bey dem Kinde die Sinne, deren Empfindungen zuerſt angenehm oder wi- drig ſind. Es beweiſet ſich dieſes in ihren Beſtrebun- gen, von einigen Dingen ſich zu entfernen, und zu andern ſich hinzu zu naͤhern. Der Geruch iſt ein Sinn, der ſchon weniger beſtimmt iſt, und vielleicht, ehe er durch Uebung verfeinert wird, der gleichguͤltigſte. Dieſe Em- pfindungen ſind auch die groͤbſten, dunkelſten und ſtaͤrk- ſten. Auf die Eindruͤcke, die das Gehoͤr und das Ge- ſicht empfangen, wird das Kind ſchon mehr durch die Amme von außen her aufmerkſam gemacht, indem ſie ihm allerley glaͤnzende Gegenſtaͤnde vorhaͤlt, und durch einen lebhaften Ausdruck ihres eigenen Vergnuͤgens oder Verdrußes, zu einer aͤhnlichen ſympathetiſchen Empfind- niß es zu reizen ſuchet. Eben ſo machet man es mit ge- wiſſen Schallarten der Klapperbuͤchſe und Schellen. Und dann ſieht man erſt nachher, daß das Kind eine Auswahl anſtellet, und dadurch zu erkennen giebt, daß ihm eine Art von Bildern und von Toͤnen angenehmer geworden ſey, als eine andere. Das innere Selbſtgefuͤhl, das Gefuͤhl eige- ner Thaͤtigkeiten, der Phantaſie, der Denkkraft, des Herzens u. ſ. f. entwickelt ſich zwar zwiſchendurch mit den aͤußern Sinnen, aber es iſt doch immer, ſo zu ſagen, um einen Schritt zuruͤck. Da es ſchon bey den feinern Empfindungen der aͤußern Sinne erfodert wird, durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/298
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/298>, abgerufen am 21.12.2024.