Das Wort bedeutet ursprünglich überhaupt, was man izt im allgemeinen Sinn Verstand, oder einen guten Kopf nennt, und ehedem nennte man einen Menschen von vorzüglichen Gaben des Geistes, einen wizigen Menschen. Gegenwärtig hat es einen et- was eingeschränktern Sinn, und man stellt sich izt, wenigstens in der gelehrten Sprache, den Wiz als eine besondere Gabe des Geistes vor, die vornehm- lich in der Fertigkeit besteht, die mancherley Bezie- hungen und Verhältnisse eines Gegenstandes gegen andere schnell einzusehen und lebhaft zu fühlen. Doch scheinet diese Erklärung den Begriff nicht be- stimmt und vollständig genug auszudrüken. Da es aber hier nicht um eine psychologische Zergliederung des Wizes zu thun ist, so begnügen wir uns den Wiz vornehmlich in Rüksicht seines Einflusses auf die Werke des Geschmaks zu betrachten.
Man kommt durchgehends darin überein, daß eine lebhafte Einbildungskraft die Grundlage des Wizes ausmache, und daß der, den man vorzüg- lich einen wizigen Kopf nennet, in seinen Vorstel- lungen mehr von einer lebhaften Phantaste, als von Verstand im eigentlichen philosophischen Sinne die- ses Worts, geleitet werde. Wie nun der Verstand überall auf deutliches und entwikeltes Denken zieh- let, so scheinet der Wiz auf sinnliche, aber lebhafte sehr klare Vorstellungen zu lenken. Der Verstand zergliedert und betrachtet jeden Begriff, jede Vor- stellung nach dem Einzelen, das darin ist, und fin- det seine Befriedigung in vollständiger Zergliede- rung; der Wiz aber faßt den Begriff gern im Gan- zen, mit sinnlicher Klarheit und bestrebt sich, ihn lebhaft zu fühlen: darum verfährt er schnell, da der Verstand langsamer geht. Die lebhafte Einbil- dungskraft des wizigen Kopfes erweket bey jedem Begriff eine Menge andrer Vorstellungen, die nach den Gesezen der Einbildungskraft einige Beziehung darauf haben. Aehnlichkeit, Contrast und jede an- dere, innere oder äußere Beziehung, bringt dem wi- zigen Kopf, indem er eine Vorstellung lebhaft em- pfindet, jene andere damit verbundene, zugleich in die Phantasie. Dadurch wird die Lebhaftigkeit der Vorstellung erhöhet; sie gefällt oder mißfällt dem wizigen Kopf mehr, als dem Menschen von Ver- stande.
[Spaltenumbruch]
Wiz
Da die Einbildungskraft sich mehr mit dem äus- serlichen Ansehen der Dinge, mit ihrer Form und Gestalt, als mit ihrer innern Beschaffenheit beschäf- tiget, so dringet der Wiz auch nicht tief in die Sa- chen hinein; der Schein befriediget ihn, wo der Verstand Würklichkeit oder Realität sucht. Jndes- sen kommt es auch hiebey auf den Grad des Scharf- sinnes an, der mit dem Wiz verbunden ist. Feh- let sie ihm, so artet dieser in Albernheit aus. Nichts ist verständigen Menschen ekelhafter und ab- geschmakter, als die Aeußerungen einer lebhaften Einbildungskraft, die ganz von Beurtheilung ver- lassen ist.
Es scheinet, daß die Hauptneigung des wizigen Kopfes darauf gehe, daß er sich mit dem, was die Dinge, die er sich vorstellt, gefallendes oder miß- fallendes haben, beschäftige. Wie die Kinder mit dem Gelde spiehlen und keinen Unterschied zwischen gemünztem Gold und den so genannten Zahl- oder Rechenpfennigen machen, gerade so geht der Hang des Wizes auf das, was die Vorstellungen an sich ergözendes haben, ohne auf den anderweitigen Ge- brauch derselben zu sehen. Eine Begebenheit, die sich auf Glük oder Unglük bezieht, und die andern ihrer Folge halber merkwürdig ist, rührt den wizigen Kopf mehr durch ihre Beschaffenheit, als durch ihre Folgen; er lacht bisweilen über das, was andern Thränen auspreßt, und ärgert sich, wo andre sich freuen. An sich selbst betrachtet ist der Wiz leicht- sinnig, indem er die Dinge nicht in ihren Folgen oder Würkungen, sondern in ihren Beziehungen auf die Beschäftigung der Einbildungskraft, beurtheilt; er ist uneigennüzig und ergözt sich an Dingen, die der nachdenkende Verstand für schädlich halten wür- de. Es ist daher nicht selten, daß bey Menschen von recht herrschenden Wiz, wenig Herz, das ist, wenig von den fonst gewöhnlichen Empfindungen zärt- licher Art, angetroffen wird.
Dieser starke Hang jedes Ding in dem, was es in seiner Beschaffenheit oder Form lustiges, gefäl- liges oder ergözendes hat, zu betrachten und zu genießen, macht den Wiz erfinderisch bey jeder Vorstellung, aus dem ganzen Vorrath der in der Einbildungskraft liegenden Begriffe, alles herbey zu rufen, was zur Belebung der Hauptvorstel- lung dienet. Daher kommen die vielen Bilder, die mannigfaltigen Vergleichungen, die Nebenbe-
griffe
[Spaltenumbruch]
Wiz
Wiz. (Schoͤne Kuͤnſte.)
Das Wort bedeutet urſpruͤnglich uͤberhaupt, was man izt im allgemeinen Sinn Verſtand, oder einen guten Kopf nennt, und ehedem nennte man einen Menſchen von vorzuͤglichen Gaben des Geiſtes, einen wizigen Menſchen. Gegenwaͤrtig hat es einen et- was eingeſchraͤnktern Sinn, und man ſtellt ſich izt, wenigſtens in der gelehrten Sprache, den Wiz als eine beſondere Gabe des Geiſtes vor, die vornehm- lich in der Fertigkeit beſteht, die mancherley Bezie- hungen und Verhaͤltniſſe eines Gegenſtandes gegen andere ſchnell einzuſehen und lebhaft zu fuͤhlen. Doch ſcheinet dieſe Erklaͤrung den Begriff nicht be- ſtimmt und vollſtaͤndig genug auszudruͤken. Da es aber hier nicht um eine pſychologiſche Zergliederung des Wizes zu thun iſt, ſo begnuͤgen wir uns den Wiz vornehmlich in Ruͤkſicht ſeines Einfluſſes auf die Werke des Geſchmaks zu betrachten.
Man kommt durchgehends darin uͤberein, daß eine lebhafte Einbildungskraft die Grundlage des Wizes ausmache, und daß der, den man vorzuͤg- lich einen wizigen Kopf nennet, in ſeinen Vorſtel- lungen mehr von einer lebhaften Phantaſte, als von Verſtand im eigentlichen philoſophiſchen Sinne die- ſes Worts, geleitet werde. Wie nun der Verſtand uͤberall auf deutliches und entwikeltes Denken zieh- let, ſo ſcheinet der Wiz auf ſinnliche, aber lebhafte ſehr klare Vorſtellungen zu lenken. Der Verſtand zergliedert und betrachtet jeden Begriff, jede Vor- ſtellung nach dem Einzelen, das darin iſt, und fin- det ſeine Befriedigung in vollſtaͤndiger Zergliede- rung; der Wiz aber faßt den Begriff gern im Gan- zen, mit ſinnlicher Klarheit und beſtrebt ſich, ihn lebhaft zu fuͤhlen: darum verfaͤhrt er ſchnell, da der Verſtand langſamer geht. Die lebhafte Einbil- dungskraft des wizigen Kopfes erweket bey jedem Begriff eine Menge andrer Vorſtellungen, die nach den Geſezen der Einbildungskraft einige Beziehung darauf haben. Aehnlichkeit, Contraſt und jede an- dere, innere oder aͤußere Beziehung, bringt dem wi- zigen Kopf, indem er eine Vorſtellung lebhaft em- pfindet, jene andere damit verbundene, zugleich in die Phantaſie. Dadurch wird die Lebhaftigkeit der Vorſtellung erhoͤhet; ſie gefaͤllt oder mißfaͤllt dem wizigen Kopf mehr, als dem Menſchen von Ver- ſtande.
[Spaltenumbruch]
Wiz
Da die Einbildungskraft ſich mehr mit dem aͤuſ- ſerlichen Anſehen der Dinge, mit ihrer Form und Geſtalt, als mit ihrer innern Beſchaffenheit beſchaͤf- tiget, ſo dringet der Wiz auch nicht tief in die Sa- chen hinein; der Schein befriediget ihn, wo der Verſtand Wuͤrklichkeit oder Realitaͤt ſucht. Jndeſ- ſen kommt es auch hiebey auf den Grad des Scharf- ſinnes an, der mit dem Wiz verbunden iſt. Feh- let ſie ihm, ſo artet dieſer in Albernheit aus. Nichts iſt verſtaͤndigen Menſchen ekelhafter und ab- geſchmakter, als die Aeußerungen einer lebhaften Einbildungskraft, die ganz von Beurtheilung ver- laſſen iſt.
Es ſcheinet, daß die Hauptneigung des wizigen Kopfes darauf gehe, daß er ſich mit dem, was die Dinge, die er ſich vorſtellt, gefallendes oder miß- fallendes haben, beſchaͤftige. Wie die Kinder mit dem Gelde ſpiehlen und keinen Unterſchied zwiſchen gemuͤnztem Gold und den ſo genannten Zahl- oder Rechenpfennigen machen, gerade ſo geht der Hang des Wizes auf das, was die Vorſtellungen an ſich ergoͤzendes haben, ohne auf den anderweitigen Ge- brauch derſelben zu ſehen. Eine Begebenheit, die ſich auf Gluͤk oder Ungluͤk bezieht, und die andern ihrer Folge halber merkwuͤrdig iſt, ruͤhrt den wizigen Kopf mehr durch ihre Beſchaffenheit, als durch ihre Folgen; er lacht bisweilen uͤber das, was andern Thraͤnen auspreßt, und aͤrgert ſich, wo andre ſich freuen. An ſich ſelbſt betrachtet iſt der Wiz leicht- ſinnig, indem er die Dinge nicht in ihren Folgen oder Wuͤrkungen, ſondern in ihren Beziehungen auf die Beſchaͤftigung der Einbildungskraft, beurtheilt; er iſt uneigennuͤzig und ergoͤzt ſich an Dingen, die der nachdenkende Verſtand fuͤr ſchaͤdlich halten wuͤr- de. Es iſt daher nicht ſelten, daß bey Menſchen von recht herrſchenden Wiz, wenig Herz, das iſt, wenig von den fonſt gewoͤhnlichen Empfindungen zaͤrt- licher Art, angetroffen wird.
Dieſer ſtarke Hang jedes Ding in dem, was es in ſeiner Beſchaffenheit oder Form luſtiges, gefaͤl- liges oder ergoͤzendes hat, zu betrachten und zu genießen, macht den Wiz erfinderiſch bey jeder Vorſtellung, aus dem ganzen Vorrath der in der Einbildungskraft liegenden Begriffe, alles herbey zu rufen, was zur Belebung der Hauptvorſtel- lung dienet. Daher kommen die vielen Bilder, die mannigfaltigen Vergleichungen, die Nebenbe-
griffe
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0703"n="1274[1256]"/><cb/></div><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Wiz</hi></fw><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Wiz</hi>.</hi><lb/>
(Schoͤne Kuͤnſte.)</head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>as Wort bedeutet urſpruͤnglich uͤberhaupt, was<lb/>
man izt im allgemeinen Sinn Verſtand, oder einen<lb/>
guten Kopf nennt, und ehedem nennte man einen<lb/>
Menſchen von vorzuͤglichen Gaben des Geiſtes, einen<lb/>
wizigen Menſchen. Gegenwaͤrtig hat es einen et-<lb/>
was eingeſchraͤnktern Sinn, und man ſtellt ſich izt,<lb/>
wenigſtens in der gelehrten Sprache, den Wiz als<lb/>
eine beſondere Gabe des Geiſtes vor, die vornehm-<lb/>
lich in der Fertigkeit beſteht, die mancherley Bezie-<lb/>
hungen und Verhaͤltniſſe eines Gegenſtandes gegen<lb/>
andere ſchnell einzuſehen und lebhaft zu fuͤhlen.<lb/>
Doch ſcheinet dieſe Erklaͤrung den Begriff nicht be-<lb/>ſtimmt und vollſtaͤndig genug auszudruͤken. Da es<lb/>
aber hier nicht um eine pſychologiſche Zergliederung<lb/>
des Wizes zu thun iſt, ſo begnuͤgen wir uns den<lb/>
Wiz vornehmlich in Ruͤkſicht ſeines Einfluſſes auf<lb/>
die Werke des Geſchmaks zu betrachten.</p><lb/><p>Man kommt durchgehends darin uͤberein, daß<lb/>
eine lebhafte Einbildungskraft die Grundlage des<lb/>
Wizes ausmache, und daß der, den man vorzuͤg-<lb/>
lich einen wizigen Kopf nennet, in ſeinen Vorſtel-<lb/>
lungen mehr von einer lebhaften Phantaſte, als von<lb/>
Verſtand im eigentlichen philoſophiſchen Sinne die-<lb/>ſes Worts, geleitet werde. Wie nun der Verſtand<lb/>
uͤberall auf deutliches und entwikeltes Denken zieh-<lb/>
let, ſo ſcheinet der Wiz auf ſinnliche, aber lebhafte<lb/>ſehr klare Vorſtellungen zu lenken. Der Verſtand<lb/>
zergliedert und betrachtet jeden Begriff, jede Vor-<lb/>ſtellung nach dem Einzelen, das darin iſt, und fin-<lb/>
det ſeine Befriedigung in vollſtaͤndiger Zergliede-<lb/>
rung; der Wiz aber faßt den Begriff gern im Gan-<lb/>
zen, mit ſinnlicher Klarheit und beſtrebt ſich, ihn<lb/>
lebhaft zu fuͤhlen: darum verfaͤhrt er ſchnell, da<lb/>
der Verſtand langſamer geht. Die lebhafte Einbil-<lb/>
dungskraft des wizigen Kopfes erweket bey jedem<lb/>
Begriff eine Menge andrer Vorſtellungen, die nach<lb/>
den Geſezen der Einbildungskraft einige Beziehung<lb/>
darauf haben. Aehnlichkeit, Contraſt und jede an-<lb/>
dere, innere oder aͤußere Beziehung, bringt dem wi-<lb/>
zigen Kopf, indem er eine Vorſtellung lebhaft em-<lb/>
pfindet, jene andere damit verbundene, zugleich in<lb/>
die Phantaſie. Dadurch wird die Lebhaftigkeit der<lb/>
Vorſtellung erhoͤhet; ſie gefaͤllt oder mißfaͤllt dem<lb/>
wizigen Kopf mehr, als dem Menſchen von Ver-<lb/>ſtande.</p><lb/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Wiz</hi></fw><lb/><p>Da die Einbildungskraft ſich mehr mit dem aͤuſ-<lb/>ſerlichen Anſehen der Dinge, mit ihrer Form und<lb/>
Geſtalt, als mit ihrer innern Beſchaffenheit beſchaͤf-<lb/>
tiget, ſo dringet der Wiz auch nicht tief in die Sa-<lb/>
chen hinein; der Schein befriediget ihn, wo der<lb/>
Verſtand Wuͤrklichkeit oder Realitaͤt ſucht. Jndeſ-<lb/>ſen kommt es auch hiebey auf den Grad des Scharf-<lb/>ſinnes an, der mit dem Wiz verbunden iſt. Feh-<lb/>
let ſie ihm, ſo artet dieſer in Albernheit aus.<lb/>
Nichts iſt verſtaͤndigen Menſchen ekelhafter und ab-<lb/>
geſchmakter, als die Aeußerungen einer lebhaften<lb/>
Einbildungskraft, die ganz von Beurtheilung ver-<lb/>
laſſen iſt.</p><lb/><p>Es ſcheinet, daß die Hauptneigung des wizigen<lb/>
Kopfes darauf gehe, daß er ſich mit dem, was die<lb/>
Dinge, die er ſich vorſtellt, gefallendes oder miß-<lb/>
fallendes haben, beſchaͤftige. Wie die Kinder mit<lb/>
dem Gelde ſpiehlen und keinen Unterſchied zwiſchen<lb/>
gemuͤnztem Gold und den ſo genannten Zahl- oder<lb/>
Rechenpfennigen machen, gerade ſo geht der Hang<lb/>
des Wizes auf das, was die Vorſtellungen an ſich<lb/>
ergoͤzendes haben, ohne auf den anderweitigen Ge-<lb/>
brauch derſelben zu ſehen. Eine Begebenheit, die<lb/>ſich auf Gluͤk oder Ungluͤk bezieht, und die andern<lb/>
ihrer Folge halber merkwuͤrdig iſt, ruͤhrt den wizigen<lb/>
Kopf mehr durch ihre Beſchaffenheit, als durch ihre<lb/>
Folgen; er lacht bisweilen uͤber das, was andern<lb/>
Thraͤnen auspreßt, und aͤrgert ſich, wo andre ſich<lb/>
freuen. An ſich ſelbſt betrachtet iſt der Wiz leicht-<lb/>ſinnig, indem er die Dinge nicht in ihren Folgen<lb/>
oder Wuͤrkungen, ſondern in ihren Beziehungen auf<lb/>
die Beſchaͤftigung der Einbildungskraft, beurtheilt;<lb/>
er iſt uneigennuͤzig und ergoͤzt ſich an Dingen, die<lb/>
der nachdenkende Verſtand fuͤr ſchaͤdlich halten wuͤr-<lb/>
de. Es iſt daher nicht ſelten, daß bey Menſchen<lb/>
von recht herrſchenden Wiz, wenig Herz, das iſt,<lb/>
wenig von den fonſt gewoͤhnlichen Empfindungen zaͤrt-<lb/>
licher Art, angetroffen wird.</p><lb/><p>Dieſer ſtarke Hang jedes Ding in dem, was es<lb/>
in ſeiner Beſchaffenheit oder Form luſtiges, gefaͤl-<lb/>
liges oder ergoͤzendes hat, zu betrachten und zu<lb/>
genießen, macht den Wiz erfinderiſch bey jeder<lb/>
Vorſtellung, aus dem ganzen Vorrath der in der<lb/>
Einbildungskraft liegenden Begriffe, alles herbey<lb/>
zu rufen, was zur Belebung der Hauptvorſtel-<lb/>
lung dienet. Daher kommen die vielen Bilder,<lb/>
die mannigfaltigen Vergleichungen, die Nebenbe-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">griffe</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[1274[1256]/0703]
Wiz
Wiz
Wiz.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Das Wort bedeutet urſpruͤnglich uͤberhaupt, was
man izt im allgemeinen Sinn Verſtand, oder einen
guten Kopf nennt, und ehedem nennte man einen
Menſchen von vorzuͤglichen Gaben des Geiſtes, einen
wizigen Menſchen. Gegenwaͤrtig hat es einen et-
was eingeſchraͤnktern Sinn, und man ſtellt ſich izt,
wenigſtens in der gelehrten Sprache, den Wiz als
eine beſondere Gabe des Geiſtes vor, die vornehm-
lich in der Fertigkeit beſteht, die mancherley Bezie-
hungen und Verhaͤltniſſe eines Gegenſtandes gegen
andere ſchnell einzuſehen und lebhaft zu fuͤhlen.
Doch ſcheinet dieſe Erklaͤrung den Begriff nicht be-
ſtimmt und vollſtaͤndig genug auszudruͤken. Da es
aber hier nicht um eine pſychologiſche Zergliederung
des Wizes zu thun iſt, ſo begnuͤgen wir uns den
Wiz vornehmlich in Ruͤkſicht ſeines Einfluſſes auf
die Werke des Geſchmaks zu betrachten.
Man kommt durchgehends darin uͤberein, daß
eine lebhafte Einbildungskraft die Grundlage des
Wizes ausmache, und daß der, den man vorzuͤg-
lich einen wizigen Kopf nennet, in ſeinen Vorſtel-
lungen mehr von einer lebhaften Phantaſte, als von
Verſtand im eigentlichen philoſophiſchen Sinne die-
ſes Worts, geleitet werde. Wie nun der Verſtand
uͤberall auf deutliches und entwikeltes Denken zieh-
let, ſo ſcheinet der Wiz auf ſinnliche, aber lebhafte
ſehr klare Vorſtellungen zu lenken. Der Verſtand
zergliedert und betrachtet jeden Begriff, jede Vor-
ſtellung nach dem Einzelen, das darin iſt, und fin-
det ſeine Befriedigung in vollſtaͤndiger Zergliede-
rung; der Wiz aber faßt den Begriff gern im Gan-
zen, mit ſinnlicher Klarheit und beſtrebt ſich, ihn
lebhaft zu fuͤhlen: darum verfaͤhrt er ſchnell, da
der Verſtand langſamer geht. Die lebhafte Einbil-
dungskraft des wizigen Kopfes erweket bey jedem
Begriff eine Menge andrer Vorſtellungen, die nach
den Geſezen der Einbildungskraft einige Beziehung
darauf haben. Aehnlichkeit, Contraſt und jede an-
dere, innere oder aͤußere Beziehung, bringt dem wi-
zigen Kopf, indem er eine Vorſtellung lebhaft em-
pfindet, jene andere damit verbundene, zugleich in
die Phantaſie. Dadurch wird die Lebhaftigkeit der
Vorſtellung erhoͤhet; ſie gefaͤllt oder mißfaͤllt dem
wizigen Kopf mehr, als dem Menſchen von Ver-
ſtande.
Da die Einbildungskraft ſich mehr mit dem aͤuſ-
ſerlichen Anſehen der Dinge, mit ihrer Form und
Geſtalt, als mit ihrer innern Beſchaffenheit beſchaͤf-
tiget, ſo dringet der Wiz auch nicht tief in die Sa-
chen hinein; der Schein befriediget ihn, wo der
Verſtand Wuͤrklichkeit oder Realitaͤt ſucht. Jndeſ-
ſen kommt es auch hiebey auf den Grad des Scharf-
ſinnes an, der mit dem Wiz verbunden iſt. Feh-
let ſie ihm, ſo artet dieſer in Albernheit aus.
Nichts iſt verſtaͤndigen Menſchen ekelhafter und ab-
geſchmakter, als die Aeußerungen einer lebhaften
Einbildungskraft, die ganz von Beurtheilung ver-
laſſen iſt.
Es ſcheinet, daß die Hauptneigung des wizigen
Kopfes darauf gehe, daß er ſich mit dem, was die
Dinge, die er ſich vorſtellt, gefallendes oder miß-
fallendes haben, beſchaͤftige. Wie die Kinder mit
dem Gelde ſpiehlen und keinen Unterſchied zwiſchen
gemuͤnztem Gold und den ſo genannten Zahl- oder
Rechenpfennigen machen, gerade ſo geht der Hang
des Wizes auf das, was die Vorſtellungen an ſich
ergoͤzendes haben, ohne auf den anderweitigen Ge-
brauch derſelben zu ſehen. Eine Begebenheit, die
ſich auf Gluͤk oder Ungluͤk bezieht, und die andern
ihrer Folge halber merkwuͤrdig iſt, ruͤhrt den wizigen
Kopf mehr durch ihre Beſchaffenheit, als durch ihre
Folgen; er lacht bisweilen uͤber das, was andern
Thraͤnen auspreßt, und aͤrgert ſich, wo andre ſich
freuen. An ſich ſelbſt betrachtet iſt der Wiz leicht-
ſinnig, indem er die Dinge nicht in ihren Folgen
oder Wuͤrkungen, ſondern in ihren Beziehungen auf
die Beſchaͤftigung der Einbildungskraft, beurtheilt;
er iſt uneigennuͤzig und ergoͤzt ſich an Dingen, die
der nachdenkende Verſtand fuͤr ſchaͤdlich halten wuͤr-
de. Es iſt daher nicht ſelten, daß bey Menſchen
von recht herrſchenden Wiz, wenig Herz, das iſt,
wenig von den fonſt gewoͤhnlichen Empfindungen zaͤrt-
licher Art, angetroffen wird.
Dieſer ſtarke Hang jedes Ding in dem, was es
in ſeiner Beſchaffenheit oder Form luſtiges, gefaͤl-
liges oder ergoͤzendes hat, zu betrachten und zu
genießen, macht den Wiz erfinderiſch bey jeder
Vorſtellung, aus dem ganzen Vorrath der in der
Einbildungskraft liegenden Begriffe, alles herbey
zu rufen, was zur Belebung der Hauptvorſtel-
lung dienet. Daher kommen die vielen Bilder,
die mannigfaltigen Vergleichungen, die Nebenbe-
griffe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1274[1256]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/703>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.