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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Scha

Wir merken über den Punkt der Stärke der Schat-
ten nur noch überhaupt an, daß durch fleißiges
und nachdenkendes Beobachten, der Mahler zu einer
beynahe vollkommenen Kenntnis der hieher gehöri-
gen Dinge kommen könne.

Weit größere Schwierigkeiten hat der zweyte
Punkt, nämlich die Art und Farbe der Schatten.
Es ist eine zuverläßige Bemerkung, daß die Ge-
mählde die beste Harmonie, und wenn das übrige
gleich ist, das angenehmste Colorit haben, deren
Schatten durchaus einerley Art der Farbe und des
Tones haben, das ist, ins gelblichte, grünlichte, oder
bräunlichte u. s. f. fallen, wenn nur bey diesem
durchgehends herrschenden Ton die Schatten nicht
durchaus einfärbig sind. Sie müssen nothwendig,
wenn sie nicht kalt, schweer oder troken seyn sollen,
eben so gut ihre Mittelfarben haben, wie die hellen
Stellen. Wie ein großer Flek von Roth auf einem
Gesichte, das nicht hinlänglich durch Mittelfarben
schattirt ist, unangenehm und hart wird; so ist es
auch ein durchaus ohne Mittelfarben brauner, oder
gelblichter Schatten. Das Warme und Leichte der
Schatten kann nicht anders, als durch Mittelfaben
und zum Theil durch hineinspielende Wiederscheine
erhalten werden. Dieses möchte wol der schweerste
Theil des Colorits seyn. Denn da würde der
Mahler, nachdem er den reichesten Vorrath von
Beobachtungen aus der Natur gesammelt hat, noch
wenig gewonnen haben. Er muß in der Ausübung
wol erfahren seyn. Es läßt sich wol bemerken, wie
in der Natur angenehme und warme Schatten ent-
stehen; aber die Farben zu finden, wodurch sie auch
im Gemählde so werden, erfodert erstaunliche Ue-
bung, oder ein besonders glükliches Gefühl. Vie-
les kann ein aufmerksamer Beobachter aus den Wer-
ken der vornehmsten Coloristen lernen. Wer viel
wol erhaltene Gemählde eines Van Dyk und andrer
großen Niederländer studiren kann, wird manchen
Vortheil über diesen Punkt entdeken. Aber denn blei-
bet doch immer noch die Schwierigkeit übrig, daß
man gar oft die ursprünglichen Farben, die sie ge-
braucht haben, schweerlich errathen kann. Denn
die Zeit selbst trägt sehr viel dazu bey, durch gewisse
Veränderungen, die die Farben dadurch erlitten ha-
ben, die Schatten weicher, oder härter zu machen.

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Scha

Hr. Cochin hat aus fleißiger Beobachtung vieler
Werke einiger Welschen Mahler Anmerkungen gezo-
gen, die hier wesentlich siud. An den Gemählden
des Luc. Giordano sind die Schatten bräunlich, und
haben eine Hauptfarbe, die mit dem braunen der Um-
bra
übereinkommt, Pet. da Cortona hat dazu durch-
gehends ein gräuliches Braun genommen; Baccino
hat gelblichte Schatten; Paul von Verona hat sie
ins Violette gemacht; Guercin bläulicht; der fran-
zösische Mahler La Fosse braunroth. (*) Derselbe Ton
der Schatten muß der guten Harmonie halber bey
allen Farben gebraucht werden, sie mögen in den
Lichtern roth, blau, grün oder andrer Art seyn.
Hiebey kann eine wichtige Bemerkung nicht über-
gangen werden, die schon da Vinci gemacht hat, und
die in unsern Zeiten von dem berühmten Hrn. von
Buffon, als eine merkwürdige Erscheinung ange-
merkt, und von Hr. Beguelin nach ihrer wahren
Ursach erklärt worden ist. (+) Da Vinci sagt, er
habe oft an weißen Körpern rothe Lichter und blaue
Schatten gesehen. Und im Jahr 1743 kündigte
der Hr. v. Buffon der Academie der Wissenschaften
in Paris als eine besonders merkwürdige Beobach-
tung an, daß bey auf und untergehender Sonne die
Schatten allemal eine bestimmte Farbe haben, und
bald grün, bald blau seyen. Wie dieses zugehe,
hat der scharfsinnige da Vinci schon überhaupt ange-
merkt; aber eine nähere Untersuchung und vollstän-
dige Erklärung der Sache hat Hr. Beguelin gege-
ben, auf die ich den Leser, Kürze halber verweise.

Von den Schlagschatten sprechen wir in einem
besondern Artikel.

Schattirung.
(Mahlerey.)

Durch dieses Wort verstehen wir die Veränderun-
gen, die eine Farbe nach den verschiedenen Graden
der Stärke des darauf fallenden Lichts leidet, aber
nur in so weit sie noch immer dieselbe Art, oder den
Namen ihrer Gattung, roth, blau, gelb u. s. f. be-
hält. Hieraus entstehet die große Mannigfaltigkeit
der Mittelfarben, von deren vollkommenen Behand-
lung ein großer Theil des Colorits abhängt. Da-
von aber ist bereits besonders gesprochen worden. (*)

Schau-
(*) Voya-
ge d'Ital.
T. I. p.

201.
(+) [Spaltenumbruch]
S. Traitte de peinture par L. da Vinci Chap.
CLVIII. Memoires de l'Academie roy. des sciences de
[Spaltenumbruch] Paris Ann. 1743. Mem. de l'Acad. roy. des sc. de Ber-
lin An.
1767.
(*) S.
Mittelfar-
ben.
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[Spaltenumbruch]
Scha

Wir merken uͤber den Punkt der Staͤrke der Schat-
ten nur noch uͤberhaupt an, daß durch fleißiges
und nachdenkendes Beobachten, der Mahler zu einer
beynahe vollkommenen Kenntnis der hieher gehoͤri-
gen Dinge kommen koͤnne.

Weit groͤßere Schwierigkeiten hat der zweyte
Punkt, naͤmlich die Art und Farbe der Schatten.
Es iſt eine zuverlaͤßige Bemerkung, daß die Ge-
maͤhlde die beſte Harmonie, und wenn das uͤbrige
gleich iſt, das angenehmſte Colorit haben, deren
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Tones haben, das iſt, ins gelblichte, gruͤnlichte, oder
braͤunlichte u. ſ. f. fallen, wenn nur bey dieſem
durchgehends herrſchenden Ton die Schatten nicht
durchaus einfaͤrbig ſind. Sie muͤſſen nothwendig,
wenn ſie nicht kalt, ſchweer oder troken ſeyn ſollen,
eben ſo gut ihre Mittelfarben haben, wie die hellen
Stellen. Wie ein großer Flek von Roth auf einem
Geſichte, das nicht hinlaͤnglich durch Mittelfarben
ſchattirt iſt, unangenehm und hart wird; ſo iſt es
auch ein durchaus ohne Mittelfarben brauner, oder
gelblichter Schatten. Das Warme und Leichte der
Schatten kann nicht anders, als durch Mittelfaben
und zum Theil durch hineinſpielende Wiederſcheine
erhalten werden. Dieſes moͤchte wol der ſchweerſte
Theil des Colorits ſeyn. Denn da wuͤrde der
Mahler, nachdem er den reicheſten Vorrath von
Beobachtungen aus der Natur geſammelt hat, noch
wenig gewonnen haben. Er muß in der Ausuͤbung
wol erfahren ſeyn. Es laͤßt ſich wol bemerken, wie
in der Natur angenehme und warme Schatten ent-
ſtehen; aber die Farben zu finden, wodurch ſie auch
im Gemaͤhlde ſo werden, erfodert erſtaunliche Ue-
bung, oder ein beſonders gluͤkliches Gefuͤhl. Vie-
les kann ein aufmerkſamer Beobachter aus den Wer-
ken der vornehmſten Coloriſten lernen. Wer viel
wol erhaltene Gemaͤhlde eines Van Dyk und andrer
großen Niederlaͤnder ſtudiren kann, wird manchen
Vortheil uͤber dieſen Punkt entdeken. Aber denn blei-
bet doch immer noch die Schwierigkeit uͤbrig, daß
man gar oft die urſpruͤnglichen Farben, die ſie ge-
braucht haben, ſchweerlich errathen kann. Denn
die Zeit ſelbſt traͤgt ſehr viel dazu bey, durch gewiſſe
Veraͤnderungen, die die Farben dadurch erlitten ha-
ben, die Schatten weicher, oder haͤrter zu machen.

[Spaltenumbruch]
Scha

Hr. Cochin hat aus fleißiger Beobachtung vieler
Werke einiger Welſchen Mahler Anmerkungen gezo-
gen, die hier weſentlich ſiud. An den Gemaͤhlden
des Luc. Giordano ſind die Schatten braͤunlich, und
haben eine Hauptfarbe, die mit dem braunen der Um-
bra
uͤbereinkommt, Pet. da Cortona hat dazu durch-
gehends ein graͤuliches Braun genommen; Baccino
hat gelblichte Schatten; Paul von Verona hat ſie
ins Violette gemacht; Guercin blaͤulicht; der fran-
zoͤſiſche Mahler La Foſſe braunroth. (*) Derſelbe Ton
der Schatten muß der guten Harmonie halber bey
allen Farben gebraucht werden, ſie moͤgen in den
Lichtern roth, blau, gruͤn oder andrer Art ſeyn.
Hiebey kann eine wichtige Bemerkung nicht uͤber-
gangen werden, die ſchon da Vinci gemacht hat, und
die in unſern Zeiten von dem beruͤhmten Hrn. von
Buffon, als eine merkwuͤrdige Erſcheinung ange-
merkt, und von Hr. Beguelin nach ihrer wahren
Urſach erklaͤrt worden iſt. (†) Da Vinci ſagt, er
habe oft an weißen Koͤrpern rothe Lichter und blaue
Schatten geſehen. Und im Jahr 1743 kuͤndigte
der Hr. v. Buffon der Academie der Wiſſenſchaften
in Paris als eine beſonders merkwuͤrdige Beobach-
tung an, daß bey auf und untergehender Sonne die
Schatten allemal eine beſtimmte Farbe haben, und
bald gruͤn, bald blau ſeyen. Wie dieſes zugehe,
hat der ſcharfſinnige da Vinci ſchon uͤberhaupt ange-
merkt; aber eine naͤhere Unterſuchung und vollſtaͤn-
dige Erklaͤrung der Sache hat Hr. Beguelin gege-
ben, auf die ich den Leſer, Kuͤrze halber verweiſe.

Von den Schlagſchatten ſprechen wir in einem
beſondern Artikel.

Schattirung.
(Mahlerey.)

Durch dieſes Wort verſtehen wir die Veraͤnderun-
gen, die eine Farbe nach den verſchiedenen Graden
der Staͤrke des darauf fallenden Lichts leidet, aber
nur in ſo weit ſie noch immer dieſelbe Art, oder den
Namen ihrer Gattung, roth, blau, gelb u. ſ. f. be-
haͤlt. Hieraus entſtehet die große Mannigfaltigkeit
der Mittelfarben, von deren vollkommenen Behand-
lung ein großer Theil des Colorits abhaͤngt. Da-
von aber iſt bereits beſonders geſprochen worden. (*)

Schau-
(*) Voya-
ge d’Ital.
T. I. p.

201.
(†) [Spaltenumbruch]
S. Traitté de peinture par L. da Vinci Chap.
CLVIII. Memoires de l’Academie roy. des ſciences de
[Spaltenumbruch] Paris Ann. 1743. Mem. de l’Acad. roy. des ſc. de Ber-
lin An.
1767.
(*) S.
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[1015[997]/0444] Scha Scha Wir merken uͤber den Punkt der Staͤrke der Schat- ten nur noch uͤberhaupt an, daß durch fleißiges und nachdenkendes Beobachten, der Mahler zu einer beynahe vollkommenen Kenntnis der hieher gehoͤri- gen Dinge kommen koͤnne. Weit groͤßere Schwierigkeiten hat der zweyte Punkt, naͤmlich die Art und Farbe der Schatten. Es iſt eine zuverlaͤßige Bemerkung, daß die Ge- maͤhlde die beſte Harmonie, und wenn das uͤbrige gleich iſt, das angenehmſte Colorit haben, deren Schatten durchaus einerley Art der Farbe und des Tones haben, das iſt, ins gelblichte, gruͤnlichte, oder braͤunlichte u. ſ. f. fallen, wenn nur bey dieſem durchgehends herrſchenden Ton die Schatten nicht durchaus einfaͤrbig ſind. Sie muͤſſen nothwendig, wenn ſie nicht kalt, ſchweer oder troken ſeyn ſollen, eben ſo gut ihre Mittelfarben haben, wie die hellen Stellen. Wie ein großer Flek von Roth auf einem Geſichte, das nicht hinlaͤnglich durch Mittelfarben ſchattirt iſt, unangenehm und hart wird; ſo iſt es auch ein durchaus ohne Mittelfarben brauner, oder gelblichter Schatten. Das Warme und Leichte der Schatten kann nicht anders, als durch Mittelfaben und zum Theil durch hineinſpielende Wiederſcheine erhalten werden. Dieſes moͤchte wol der ſchweerſte Theil des Colorits ſeyn. Denn da wuͤrde der Mahler, nachdem er den reicheſten Vorrath von Beobachtungen aus der Natur geſammelt hat, noch wenig gewonnen haben. Er muß in der Ausuͤbung wol erfahren ſeyn. Es laͤßt ſich wol bemerken, wie in der Natur angenehme und warme Schatten ent- ſtehen; aber die Farben zu finden, wodurch ſie auch im Gemaͤhlde ſo werden, erfodert erſtaunliche Ue- bung, oder ein beſonders gluͤkliches Gefuͤhl. Vie- les kann ein aufmerkſamer Beobachter aus den Wer- ken der vornehmſten Coloriſten lernen. Wer viel wol erhaltene Gemaͤhlde eines Van Dyk und andrer großen Niederlaͤnder ſtudiren kann, wird manchen Vortheil uͤber dieſen Punkt entdeken. Aber denn blei- bet doch immer noch die Schwierigkeit uͤbrig, daß man gar oft die urſpruͤnglichen Farben, die ſie ge- braucht haben, ſchweerlich errathen kann. Denn die Zeit ſelbſt traͤgt ſehr viel dazu bey, durch gewiſſe Veraͤnderungen, die die Farben dadurch erlitten ha- ben, die Schatten weicher, oder haͤrter zu machen. Hr. Cochin hat aus fleißiger Beobachtung vieler Werke einiger Welſchen Mahler Anmerkungen gezo- gen, die hier weſentlich ſiud. An den Gemaͤhlden des Luc. Giordano ſind die Schatten braͤunlich, und haben eine Hauptfarbe, die mit dem braunen der Um- bra uͤbereinkommt, Pet. da Cortona hat dazu durch- gehends ein graͤuliches Braun genommen; Baccino hat gelblichte Schatten; Paul von Verona hat ſie ins Violette gemacht; Guercin blaͤulicht; der fran- zoͤſiſche Mahler La Foſſe braunroth. (*) Derſelbe Ton der Schatten muß der guten Harmonie halber bey allen Farben gebraucht werden, ſie moͤgen in den Lichtern roth, blau, gruͤn oder andrer Art ſeyn. Hiebey kann eine wichtige Bemerkung nicht uͤber- gangen werden, die ſchon da Vinci gemacht hat, und die in unſern Zeiten von dem beruͤhmten Hrn. von Buffon, als eine merkwuͤrdige Erſcheinung ange- merkt, und von Hr. Beguelin nach ihrer wahren Urſach erklaͤrt worden iſt. (†) Da Vinci ſagt, er habe oft an weißen Koͤrpern rothe Lichter und blaue Schatten geſehen. Und im Jahr 1743 kuͤndigte der Hr. v. Buffon der Academie der Wiſſenſchaften in Paris als eine beſonders merkwuͤrdige Beobach- tung an, daß bey auf und untergehender Sonne die Schatten allemal eine beſtimmte Farbe haben, und bald gruͤn, bald blau ſeyen. Wie dieſes zugehe, hat der ſcharfſinnige da Vinci ſchon uͤberhaupt ange- merkt; aber eine naͤhere Unterſuchung und vollſtaͤn- dige Erklaͤrung der Sache hat Hr. Beguelin gege- ben, auf die ich den Leſer, Kuͤrze halber verweiſe. Von den Schlagſchatten ſprechen wir in einem beſondern Artikel. Schattirung. (Mahlerey.) Durch dieſes Wort verſtehen wir die Veraͤnderun- gen, die eine Farbe nach den verſchiedenen Graden der Staͤrke des darauf fallenden Lichts leidet, aber nur in ſo weit ſie noch immer dieſelbe Art, oder den Namen ihrer Gattung, roth, blau, gelb u. ſ. f. be- haͤlt. Hieraus entſtehet die große Mannigfaltigkeit der Mittelfarben, von deren vollkommenen Behand- lung ein großer Theil des Colorits abhaͤngt. Da- von aber iſt bereits beſonders geſprochen worden. (*) Schau- (*) Voya- ge d’Ital. T. I. p. 201. (†) S. Traitté de peinture par L. da Vinci Chap. CLVIII. Memoires de l’Academie roy. des ſciences de Paris Ann. 1743. Mem. de l’Acad. roy. des ſc. de Ber- lin An. 1767. (*) S. Mittelfar- ben. K k k k k k 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1015[997]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/444>, abgerufen am 21.12.2024.