henpriester und Ältesten selbst bei der Verhaftung gegen- wärtig sein, und Jesum hier auf jene Weise zu ihnen sprechen, was gewiss nur Irrthum ist 10).
Nach den zwei ersten Evangelisten fliehen nun alle Jünger, wobei Markus den speciellen Zug hat, dass ein Jüngling, der eine Leinwand um den blossen Leib ge- worfen hatte, als man ihn greifen wollte, mit Zurück- lassung der Leinwand nackt davongeflohen sei. Abge- sehen von den müssigen Vermuthungen älterer und selbst neuerer Erklärer, wer dieser Jüngling gewesen sein mö- ge, hat man mit Unrecht aus dieser Notiz auf nahe Gleich- zeitigkeit des Markusevangeliums geschlossen, weil eine sol- che kleine, namenlose Anekdote nur in der Nähe der Per- sonen und Begebenheiten habe interessiren können 11): da doch dieser Zug selbst uns, in der weitesten Zeitferne, noch eine lebendige Anschauung von dem panischen Schre- eken und der schnellen Flucht der Anhänger Jesu giebt, und also dem Markus, woher er ihn auch bekommen, und wie spät auch geschrieben haben mag, willkommen sein musste.
§. 124. Jesu Verhör vor dem Hohenpriester.
Von dem Orte der Gefangennehmung lassen die Syn- optiker Jesum zum Hohenpriester, dessen Namen, Kaiphas, jedoch hier nur Matthäus nennt, Johannes aber zu Annas, dem Schwiegervater des damaligen Hohenpriesters, und von diesem erst zu Kaiphas, geführt werden (Matth. 26, 57 ff. parall. Joh. 18, 12 ff.). Und zwar wird, wie es scheint, von dem Verhör bei Kaiphas, welches den Syn- optikern zufolge das Entscheidende war, im vierten Evan- gelium nichts erzählt, nur aus der Verhandlung vor Annas
10)Schleiermacher, über den Lukas, S. 290.
11)Paulus, ex. Hdb. 3, b, S. 576.
Dritter Abschnitt.
henpriester und Ältesten selbst bei der Verhaftung gegen- wärtig sein, und Jesum hier auf jene Weise zu ihnen sprechen, was gewiſs nur Irrthum ist 10).
Nach den zwei ersten Evangelisten fliehen nun alle Jünger, wobei Markus den speciellen Zug hat, daſs ein Jüngling, der eine Leinwand um den bloſsen Leib ge- worfen hatte, als man ihn greifen wollte, mit Zurück- lassung der Leinwand nackt davongeflohen sei. Abge- sehen von den müssigen Vermuthungen älterer und selbst neuerer Erklärer, wer dieser Jüngling gewesen sein mö- ge, hat man mit Unrecht aus dieser Notiz auf nahe Gleich- zeitigkeit des Markusevangeliums geschlossen, weil eine sol- che kleine, namenlose Anekdote nur in der Nähe der Per- sonen und Begebenheiten habe interessiren können 11): da doch dieser Zug selbst uns, in der weitesten Zeitferne, noch eine lebendige Anschauung von dem panischen Schre- eken und der schnellen Flucht der Anhänger Jesu giebt, und also dem Markus, woher er ihn auch bekommen, und wie spät auch geschrieben haben mag, willkommen sein muſste.
§. 124. Jesu Verhör vor dem Hohenpriester.
Von dem Orte der Gefangennehmung lassen die Syn- optiker Jesum zum Hohenpriester, dessen Namen, Kaiphas, jedoch hier nur Matthäus nennt, Johannes aber zu Annas, dem Schwiegervater des damaligen Hohenpriesters, und von diesem erst zu Kaiphas, geführt werden (Matth. 26, 57 ff. parall. Joh. 18, 12 ff.). Und zwar wird, wie es scheint, von dem Verhör bei Kaiphas, welches den Syn- optikern zufolge das Entscheidende war, im vierten Evan- gelium nichts erzählt, nur aus der Verhandlung vor Annas
10)Schleiermacher, über den Lukas, S. 290.
11)Paulus, ex. Hdb. 3, b, S. 576.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0499"n="480"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Dritter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
henpriester und Ältesten selbst bei der Verhaftung gegen-<lb/>
wärtig sein, und Jesum hier auf jene Weise zu ihnen<lb/>
sprechen, was gewiſs nur Irrthum ist <noteplace="foot"n="10)"><hirendition="#k">Schleiermacher</hi>, über den Lukas, S. 290.</note>.</p><lb/><p>Nach den zwei ersten Evangelisten fliehen nun alle<lb/>
Jünger, wobei Markus den speciellen Zug hat, daſs ein<lb/>
Jüngling, der eine Leinwand um den bloſsen Leib ge-<lb/>
worfen hatte, als man ihn greifen wollte, mit Zurück-<lb/>
lassung der Leinwand nackt davongeflohen sei. Abge-<lb/>
sehen von den müssigen Vermuthungen älterer und selbst<lb/>
neuerer Erklärer, wer dieser Jüngling gewesen sein mö-<lb/>
ge, hat man mit Unrecht aus dieser Notiz auf nahe Gleich-<lb/>
zeitigkeit des Markusevangeliums geschlossen, weil eine sol-<lb/>
che kleine, namenlose Anekdote nur in der Nähe der Per-<lb/>
sonen und Begebenheiten habe interessiren können <noteplace="foot"n="11)"><hirendition="#k">Paulus</hi>, ex. Hdb. 3, b, S. 576.</note>: da<lb/>
doch dieser Zug selbst uns, in der weitesten Zeitferne,<lb/>
noch eine lebendige Anschauung von dem panischen Schre-<lb/>
eken und der schnellen Flucht der Anhänger Jesu giebt,<lb/>
und also dem Markus, woher er ihn auch bekommen, und<lb/>
wie spät auch geschrieben haben mag, willkommen sein<lb/>
muſste.</p></div><lb/><divn="2"><head>§. 124.<lb/>
Jesu Verhör vor dem Hohenpriester.</head><lb/><p>Von dem Orte der Gefangennehmung lassen die Syn-<lb/>
optiker Jesum zum Hohenpriester, dessen Namen, Kaiphas,<lb/>
jedoch hier nur Matthäus nennt, Johannes aber zu Annas,<lb/>
dem Schwiegervater des damaligen Hohenpriesters, und<lb/>
von diesem erst zu Kaiphas, geführt werden (Matth. 26,<lb/>
57 ff. parall. Joh. 18, 12 ff.). Und zwar wird, wie es<lb/>
scheint, von dem Verhör bei Kaiphas, welches den Syn-<lb/>
optikern zufolge das Entscheidende war, im vierten Evan-<lb/>
gelium nichts erzählt, nur aus der Verhandlung vor Annas<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[480/0499]
Dritter Abschnitt.
henpriester und Ältesten selbst bei der Verhaftung gegen-
wärtig sein, und Jesum hier auf jene Weise zu ihnen
sprechen, was gewiſs nur Irrthum ist 10).
Nach den zwei ersten Evangelisten fliehen nun alle
Jünger, wobei Markus den speciellen Zug hat, daſs ein
Jüngling, der eine Leinwand um den bloſsen Leib ge-
worfen hatte, als man ihn greifen wollte, mit Zurück-
lassung der Leinwand nackt davongeflohen sei. Abge-
sehen von den müssigen Vermuthungen älterer und selbst
neuerer Erklärer, wer dieser Jüngling gewesen sein mö-
ge, hat man mit Unrecht aus dieser Notiz auf nahe Gleich-
zeitigkeit des Markusevangeliums geschlossen, weil eine sol-
che kleine, namenlose Anekdote nur in der Nähe der Per-
sonen und Begebenheiten habe interessiren können 11): da
doch dieser Zug selbst uns, in der weitesten Zeitferne,
noch eine lebendige Anschauung von dem panischen Schre-
eken und der schnellen Flucht der Anhänger Jesu giebt,
und also dem Markus, woher er ihn auch bekommen, und
wie spät auch geschrieben haben mag, willkommen sein
muſste.
§. 124.
Jesu Verhör vor dem Hohenpriester.
Von dem Orte der Gefangennehmung lassen die Syn-
optiker Jesum zum Hohenpriester, dessen Namen, Kaiphas,
jedoch hier nur Matthäus nennt, Johannes aber zu Annas,
dem Schwiegervater des damaligen Hohenpriesters, und
von diesem erst zu Kaiphas, geführt werden (Matth. 26,
57 ff. parall. Joh. 18, 12 ff.). Und zwar wird, wie es
scheint, von dem Verhör bei Kaiphas, welches den Syn-
optikern zufolge das Entscheidende war, im vierten Evan-
gelium nichts erzählt, nur aus der Verhandlung vor Annas
10) Schleiermacher, über den Lukas, S. 290.
11) Paulus, ex. Hdb. 3, b, S. 576.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/499>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.