Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Waldwinkel, Pole Poppenspäler. Novellen. Braunschweig, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

schon vom Fenster aus entgegensah. "Das Lisei ist's!" rief ich, als wir in die Stube traten, "denkt Euch, Frau Meisterin, das Lisei!"

Die gute Frau schlug die Hände über ihre Brust zusammen. "Heilige Mutter Gottes, bitt' für uns! das Lisei! - also so hat's ausgeschaut! - Aber," fuhr sie fort, "wie kommst denn du mit dem alten Sünder da zusammen?" - und sie wies mit dem ausgestreckten Finger nach dem Gefangenhause drüben - "der Paulsen hat mir doch gesagt, daß du ehrlicher Leute Kind bist!"

Gleich darauf aber zog sie das Mädchen weiter in die Stube hinein und drückte sie in ihren Lehnstuhl nieder, und als jetzt Lisei ihre Frage zu beantworten anfing, hielt sie ihr schon eine dampfende Tasse Kaffee an die Lippen.

"Nun trink einmal," sagte sie, "und komm erst wieder zu dir; die Händchen sind dir ja ganz verklommen."

Und das Lisei mußte trinken, wobei ihr zwei helle Thränen in die Tasse rollten, und dann erst durfte sie erzählen.

schon vom Fenster aus entgegensah. „Das Lisei ist's!“ rief ich, als wir in die Stube traten, „denkt Euch, Frau Meisterin, das Lisei!“

Die gute Frau schlug die Hände über ihre Brust zusammen. „Heilige Mutter Gottes, bitt' für uns! das Lisei! – also so hat's ausgeschaut! – Aber,“ fuhr sie fort, „wie kommst denn du mit dem alten Sünder da zusammen?“ – und sie wies mit dem ausgestreckten Finger nach dem Gefangenhause drüben – „der Paulsen hat mir doch gesagt, daß du ehrlicher Leute Kind bist!“

Gleich darauf aber zog sie das Mädchen weiter in die Stube hinein und drückte sie in ihren Lehnstuhl nieder, und als jetzt Lisei ihre Frage zu beantworten anfing, hielt sie ihr schon eine dampfende Tasse Kaffee an die Lippen.

„Nun trink einmal,“ sagte sie, „und komm erst wieder zu dir; die Händchen sind dir ja ganz verklommen.“

Und das Lisei mußte trinken, wobei ihr zwei helle Thränen in die Tasse rollten, und dann erst durfte sie erzählen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0189" n="185"/>
schon vom Fenster aus entgegensah. &#x201E;Das Lisei ist's!&#x201C; rief ich, als wir in die Stube traten, &#x201E;denkt Euch, Frau Meisterin, das Lisei!&#x201C;</p>
        <p>Die gute Frau schlug die Hände über ihre Brust zusammen. &#x201E;Heilige Mutter Gottes, bitt' für uns! das Lisei! &#x2013; also so hat's ausgeschaut! &#x2013; Aber,&#x201C; fuhr sie fort, &#x201E;wie kommst denn du mit dem alten Sünder da zusammen?&#x201C; &#x2013; und sie wies mit dem ausgestreckten Finger nach dem Gefangenhause drüben &#x2013; &#x201E;der Paulsen hat mir doch gesagt, daß du ehrlicher Leute Kind bist!&#x201C;</p>
        <p>Gleich darauf aber zog sie das Mädchen weiter in die Stube hinein und drückte sie in ihren Lehnstuhl nieder, und als jetzt Lisei ihre Frage zu beantworten anfing, hielt sie ihr schon eine dampfende Tasse Kaffee an die Lippen.</p>
        <p>&#x201E;Nun trink einmal,&#x201C; sagte sie, &#x201E;und komm erst wieder zu dir; die Händchen sind dir ja ganz verklommen.&#x201C;</p>
        <p>Und das Lisei mußte trinken, wobei ihr zwei helle Thränen in die Tasse rollten, und dann erst durfte sie erzählen.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0189] schon vom Fenster aus entgegensah. „Das Lisei ist's!“ rief ich, als wir in die Stube traten, „denkt Euch, Frau Meisterin, das Lisei!“ Die gute Frau schlug die Hände über ihre Brust zusammen. „Heilige Mutter Gottes, bitt' für uns! das Lisei! – also so hat's ausgeschaut! – Aber,“ fuhr sie fort, „wie kommst denn du mit dem alten Sünder da zusammen?“ – und sie wies mit dem ausgestreckten Finger nach dem Gefangenhause drüben – „der Paulsen hat mir doch gesagt, daß du ehrlicher Leute Kind bist!“ Gleich darauf aber zog sie das Mädchen weiter in die Stube hinein und drückte sie in ihren Lehnstuhl nieder, und als jetzt Lisei ihre Frage zu beantworten anfing, hielt sie ihr schon eine dampfende Tasse Kaffee an die Lippen. „Nun trink einmal,“ sagte sie, „und komm erst wieder zu dir; die Händchen sind dir ja ganz verklommen.“ Und das Lisei mußte trinken, wobei ihr zwei helle Thränen in die Tasse rollten, und dann erst durfte sie erzählen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt von Wikisource (Waldwinkel, Pole Poppenspäler).

Quelle der Scans: Wikimedia Commons.

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875/189
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Waldwinkel, Pole Poppenspäler. Novellen. Braunschweig, 1875, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875/189>, abgerufen am 26.04.2024.