Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Nie, sagte er, Sie ließ ihre Hand sinken und sagte
nichts mehr. Er ging über den Flur der Thüre zu;
dann wandte er sich noch einmal. Sie stand bewe¬
gungslos an derselben Stelle und sah ihn mit todten
Augen an. Er that einen Schritt vorwärts und
streckte die Arme nach ihr aus. Dann kehrte er sich
gewaltsam ab, und ging zur Thür hinaus. -- Draußen
lag die Welt im frischen Morgenlichte, die Thauperlen,
die in den Spinngeweben hingen, blitzten in den ersten
Sonnenstrahlen. Er sah nicht rückwärts, er wanderte
rasch hinaus; und mehr und mehr versank hinter ihm
das stille Gehöft, und vor ihm auf stieg' die große
weite Welt.


Der Alte.

Der Mond schien nicht mehr in die Fensterscheiben,
es war dunkel geworden: der Alte aber saß noch im¬
mer mit gefalteten Händen in seinem Lehnstuhl und
blickte vor sich hin in den Raum des Zimmers. All¬
mählig verzog sich vor seinen Augen die schwarze
Dämmerung um ihn her zu einem breiten dunklen

Nie, ſagte er, Sie ließ ihre Hand ſinken und ſagte
nichts mehr. Er ging über den Flur der Thüre zu;
dann wandte er ſich noch einmal. Sie ſtand bewe¬
gungslos an derſelben Stelle und ſah ihn mit todten
Augen an. Er that einen Schritt vorwärts und
ſtreckte die Arme nach ihr aus. Dann kehrte er ſich
gewaltſam ab, und ging zur Thür hinaus. — Draußen
lag die Welt im friſchen Morgenlichte, die Thauperlen,
die in den Spinngeweben hingen, blitzten in den erſten
Sonnenſtrahlen. Er ſah nicht rückwärts, er wanderte
raſch hinaus; und mehr und mehr verſank hinter ihm
das ſtille Gehöft, und vor ihm auf ſtieg' die große
weite Welt.


Der Alte.

Der Mond ſchien nicht mehr in die Fenſterſcheiben,
es war dunkel geworden: der Alte aber ſaß noch im¬
mer mit gefalteten Händen in ſeinem Lehnſtuhl und
blickte vor ſich hin in den Raum des Zimmers. All¬
mählig verzog ſich vor ſeinen Augen die ſchwarze
Dämmerung um ihn her zu einem breiten dunklen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0066" n="60"/>
        <p>Nie, &#x017F;agte er, Sie ließ ihre Hand &#x017F;inken und &#x017F;agte<lb/>
nichts mehr. Er ging über den Flur der Thüre zu;<lb/>
dann wandte er &#x017F;ich noch einmal. Sie &#x017F;tand bewe¬<lb/>
gungslos an der&#x017F;elben Stelle und &#x017F;ah ihn mit todten<lb/>
Augen an. Er that einen Schritt vorwärts und<lb/>
&#x017F;treckte die Arme nach ihr aus. Dann kehrte er &#x017F;ich<lb/>
gewalt&#x017F;am ab, und ging zur Thür hinaus. &#x2014; Draußen<lb/>
lag die Welt im fri&#x017F;chen Morgenlichte, die Thauperlen,<lb/>
die in den Spinngeweben hingen, blitzten in den er&#x017F;ten<lb/>
Sonnen&#x017F;trahlen. Er &#x017F;ah nicht rückwärts, er wanderte<lb/>
ra&#x017F;ch hinaus; und mehr und mehr ver&#x017F;ank hinter ihm<lb/>
das &#x017F;tille Gehöft, und vor ihm auf &#x017F;tieg' die große<lb/>
weite Welt.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Der Alte.</hi><lb/>
        </head>
        <p>Der Mond &#x017F;chien nicht mehr in die Fen&#x017F;ter&#x017F;cheiben,<lb/>
es war dunkel geworden: der Alte aber &#x017F;aß noch im¬<lb/>
mer mit gefalteten Händen in &#x017F;einem Lehn&#x017F;tuhl und<lb/>
blickte vor &#x017F;ich hin in den Raum des Zimmers. All¬<lb/>
mählig verzog &#x017F;ich vor &#x017F;einen Augen die &#x017F;chwarze<lb/>
Dämmerung um ihn her zu einem breiten dunklen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0066] Nie, ſagte er, Sie ließ ihre Hand ſinken und ſagte nichts mehr. Er ging über den Flur der Thüre zu; dann wandte er ſich noch einmal. Sie ſtand bewe¬ gungslos an derſelben Stelle und ſah ihn mit todten Augen an. Er that einen Schritt vorwärts und ſtreckte die Arme nach ihr aus. Dann kehrte er ſich gewaltſam ab, und ging zur Thür hinaus. — Draußen lag die Welt im friſchen Morgenlichte, die Thauperlen, die in den Spinngeweben hingen, blitzten in den erſten Sonnenſtrahlen. Er ſah nicht rückwärts, er wanderte raſch hinaus; und mehr und mehr verſank hinter ihm das ſtille Gehöft, und vor ihm auf ſtieg' die große weite Welt. Der Alte. Der Mond ſchien nicht mehr in die Fenſterſcheiben, es war dunkel geworden: der Alte aber ſaß noch im¬ mer mit gefalteten Händen in ſeinem Lehnſtuhl und blickte vor ſich hin in den Raum des Zimmers. All¬ mählig verzog ſich vor ſeinen Augen die ſchwarze Dämmerung um ihn her zu einem breiten dunklen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Theodor Storms Novelle "Immensee" erschien zuerst… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/66
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/66>, abgerufen am 22.12.2024.