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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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letzlichkeit aufgeben, er müsse den Angriffen der Schreibenden
sich Preis geben, ohne daß er deshalb Gefahr zu fürchten
brauche. Aber Ihr hintergeht ihn; denn es ist um seine Exi¬
stenz gethan, sobald er seine Unnahbarkeit einbüßt. Euch
freilich könnte er die Schreibefreiheit wohl gestatten, so wie Eng¬
land es gethan hat; Ihr seid Staatsgläubige und unver¬
mögend, gegen den Staat zu schreiben, so viel Ihr immer auch
an ihm zu reformiren und seinen "Mängeln abzuhelfen" haben
mögt. Aber wie, wenn Staatsgegner das freie Wort sich zu
Nutze machten, und gegen Kirche, Staat, Sitte und alles
"Heilige" mit unerbittlichen Gründen losstürmten? Ihr wäret
dann die Ersten, welche unter schrecklichen Aengsten die Sep¬
tembergesetze
ins Leben riefen. Zu spät gereute Euch dann
die Dummheit, welche Euch früher so bereit machte, den Staat
oder die Staatsregierung zu beschwatzen und zu bethören. --
Ich aber beweise durch meine That nur zweierlei. Einmal
dieß, daß die Preßfreiheit immer an "günstige Gelegenheiten"
gebunden, mithin niemals eine absolute Freiheit sein werde;
zweitens aber dieß, daß, wer sie genießen will, die günstige
Gelegenheit aufsuchen und wo möglich erschaffen muß, indem
er gegen den Staat seinen eigenen Vortheil geltend macht,
und sich und seinen Willen für mehr hält als den Staat und
jede "höhere Macht". Nicht im, sondern allein gegen den
Staat kann die Preßfreiheit durchgesetzt werden; sie ist, soll sie
hergestellt werden, nicht als Folge einer Bitte, sondern als
das Werk einer Empörung zu erlangen. Jede Bitte und
jeder Antrag auf Preßfreiheit ist schon eine, sei es bewußte
oder unbewußte, Empörung, was nur die philisterhafte Halb¬
heit sich nicht gestehen will und kann, bis sie zusammenschau¬
ernd es am Erfolge deutlich und unwiderleglich sehen wird.

letzlichkeit aufgeben, er müſſe den Angriffen der Schreibenden
ſich Preis geben, ohne daß er deshalb Gefahr zu fürchten
brauche. Aber Ihr hintergeht ihn; denn es iſt um ſeine Exi¬
ſtenz gethan, ſobald er ſeine Unnahbarkeit einbüßt. Euch
freilich könnte er die Schreibefreiheit wohl geſtatten, ſo wie Eng¬
land es gethan hat; Ihr ſeid Staatsgläubige und unver¬
mögend, gegen den Staat zu ſchreiben, ſo viel Ihr immer auch
an ihm zu reformiren und ſeinen „Mängeln abzuhelfen“ haben
mögt. Aber wie, wenn Staatsgegner das freie Wort ſich zu
Nutze machten, und gegen Kirche, Staat, Sitte und alles
„Heilige“ mit unerbittlichen Gründen losſtürmten? Ihr wäret
dann die Erſten, welche unter ſchrecklichen Aengſten die Sep¬
tembergeſetze
ins Leben riefen. Zu ſpät gereute Euch dann
die Dummheit, welche Euch früher ſo bereit machte, den Staat
oder die Staatsregierung zu beſchwatzen und zu bethören. —
Ich aber beweiſe durch meine That nur zweierlei. Einmal
dieß, daß die Preßfreiheit immer an „günſtige Gelegenheiten“
gebunden, mithin niemals eine abſolute Freiheit ſein werde;
zweitens aber dieß, daß, wer ſie genießen will, die günſtige
Gelegenheit aufſuchen und wo möglich erſchaffen muß, indem
er gegen den Staat ſeinen eigenen Vortheil geltend macht,
und ſich und ſeinen Willen für mehr hält als den Staat und
jede „höhere Macht“. Nicht im, ſondern allein gegen den
Staat kann die Preßfreiheit durchgeſetzt werden; ſie iſt, ſoll ſie
hergeſtellt werden, nicht als Folge einer Bitte, ſondern als
das Werk einer Empörung zu erlangen. Jede Bitte und
jeder Antrag auf Preßfreiheit iſt ſchon eine, ſei es bewußte
oder unbewußte, Empörung, was nur die philiſterhafte Halb¬
heit ſich nicht geſtehen will und kann, bis ſie zuſammenſchau¬
ernd es am Erfolge deutlich und unwiderleglich ſehen wird.

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[375/0383] letzlichkeit aufgeben, er müſſe den Angriffen der Schreibenden ſich Preis geben, ohne daß er deshalb Gefahr zu fürchten brauche. Aber Ihr hintergeht ihn; denn es iſt um ſeine Exi¬ ſtenz gethan, ſobald er ſeine Unnahbarkeit einbüßt. Euch freilich könnte er die Schreibefreiheit wohl geſtatten, ſo wie Eng¬ land es gethan hat; Ihr ſeid Staatsgläubige und unver¬ mögend, gegen den Staat zu ſchreiben, ſo viel Ihr immer auch an ihm zu reformiren und ſeinen „Mängeln abzuhelfen“ haben mögt. Aber wie, wenn Staatsgegner das freie Wort ſich zu Nutze machten, und gegen Kirche, Staat, Sitte und alles „Heilige“ mit unerbittlichen Gründen losſtürmten? Ihr wäret dann die Erſten, welche unter ſchrecklichen Aengſten die Sep¬ tembergeſetze ins Leben riefen. Zu ſpät gereute Euch dann die Dummheit, welche Euch früher ſo bereit machte, den Staat oder die Staatsregierung zu beſchwatzen und zu bethören. — Ich aber beweiſe durch meine That nur zweierlei. Einmal dieß, daß die Preßfreiheit immer an „günſtige Gelegenheiten“ gebunden, mithin niemals eine abſolute Freiheit ſein werde; zweitens aber dieß, daß, wer ſie genießen will, die günſtige Gelegenheit aufſuchen und wo möglich erſchaffen muß, indem er gegen den Staat ſeinen eigenen Vortheil geltend macht, und ſich und ſeinen Willen für mehr hält als den Staat und jede „höhere Macht“. Nicht im, ſondern allein gegen den Staat kann die Preßfreiheit durchgeſetzt werden; ſie iſt, ſoll ſie hergeſtellt werden, nicht als Folge einer Bitte, ſondern als das Werk einer Empörung zu erlangen. Jede Bitte und jeder Antrag auf Preßfreiheit iſt ſchon eine, ſei es bewußte oder unbewußte, Empörung, was nur die philiſterhafte Halb¬ heit ſich nicht geſtehen will und kann, bis ſie zuſammenſchau¬ ernd es am Erfolge deutlich und unwiderleglich ſehen wird.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/383>, abgerufen am 26.04.2024.