Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne
lebendigen, eigenen Antheil, die Uebelthäter nur in die Hände
der Polizei und Gerichte liefert: ein theilnahmloses Ueberant¬
worten an die Obrigkeit, "die ja das Heilige aufs Beste ver¬
walten wird". Das Volk ist ganz toll darauf, gegen Alles
die Polizei zu hetzen, was ihm unsittlich, oft nur unanständig
zu sein scheint, und diese Volkswuth für das Sittliche beschützt
mehr das Polizeiinstitut, als die Regierung es nur irgend
schützen könnte.

Im Verbrechen hat sich seither der Egoist behauptet und
das Heilige verspottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder viel¬
mehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution
kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rücksichtsloses, scham¬
loses, gewissenloses, stolzes -- Verbrechen, grollt es nicht
in fernen Donnern, und siehst Du nicht, wie der Himmel
ahnungsvoll schweigt und sich trübt?


Wer sich weigert, seine Kräfte für so beengte Gesellschaf¬
ten, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der sehnt sich
immer noch nach einer würdigeren Gesellschaft und meint etwa
in der "menschlichen Gesellschaft" oder der "Menschheit" das
wahre Liebesobject gefunden zu haben, dem sich zu opfern
seine Ehre ausmache: von nun an "lebt und dient er der
Menschheit".

Volk heißt der Körper, Staat der Geist jener herr¬
schenden Person
, die seither Mich unterdrückt hat. Man
hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man
sie zur "Menschheit" und "allgemeinen Vernunft" erweiterte;
allein die Knechtschaft würde bei dieser Ausweitung nur noch

Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne
lebendigen, eigenen Antheil, die Uebelthäter nur in die Hände
der Polizei und Gerichte liefert: ein theilnahmloſes Ueberant¬
worten an die Obrigkeit, „die ja das Heilige aufs Beſte ver¬
walten wird“. Das Volk iſt ganz toll darauf, gegen Alles
die Polizei zu hetzen, was ihm unſittlich, oft nur unanſtändig
zu ſein ſcheint, und dieſe Volkswuth für das Sittliche beſchützt
mehr das Polizeiinſtitut, als die Regierung es nur irgend
ſchützen könnte.

Im Verbrechen hat ſich ſeither der Egoiſt behauptet und
das Heilige verſpottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder viel¬
mehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution
kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rückſichtsloſes, ſcham¬
loſes, gewiſſenloſes, ſtolzes — Verbrechen, grollt es nicht
in fernen Donnern, und ſiehſt Du nicht, wie der Himmel
ahnungsvoll ſchweigt und ſich trübt?


Wer ſich weigert, ſeine Kräfte für ſo beengte Geſellſchaf¬
ten, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der ſehnt ſich
immer noch nach einer würdigeren Geſellſchaft und meint etwa
in der „menſchlichen Geſellſchaft“ oder der „Menſchheit“ das
wahre Liebesobject gefunden zu haben, dem ſich zu opfern
ſeine Ehre ausmache: von nun an „lebt und dient er der
Menſchheit“.

Volk heißt der Körper, Staat der Geiſt jener herr¬
ſchenden Perſon
, die ſeither Mich unterdrückt hat. Man
hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man
ſie zur „Menſchheit“ und „allgemeinen Vernunft“ erweiterte;
allein die Knechtſchaft würde bei dieſer Ausweitung nur noch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0327" n="319"/>
Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne<lb/>
lebendigen, eigenen Antheil, die Uebelthäter nur in die Hände<lb/>
der Polizei und Gerichte liefert: ein theilnahmlo&#x017F;es Ueberant¬<lb/>
worten an die Obrigkeit, &#x201E;die ja das Heilige aufs Be&#x017F;te ver¬<lb/>
walten wird&#x201C;. Das Volk i&#x017F;t ganz toll darauf, gegen Alles<lb/>
die Polizei zu hetzen, was ihm un&#x017F;ittlich, oft nur unan&#x017F;tändig<lb/>
zu &#x017F;ein &#x017F;cheint, und die&#x017F;e Volkswuth für das Sittliche be&#x017F;chützt<lb/>
mehr das Polizeiin&#x017F;titut, als die Regierung es nur irgend<lb/>
&#x017F;chützen könnte.</p><lb/>
            <p>Im Verbrechen hat &#x017F;ich &#x017F;either der Egoi&#x017F;t behauptet und<lb/>
das Heilige ver&#x017F;pottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder viel¬<lb/>
mehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution<lb/>
kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rück&#x017F;ichtslo&#x017F;es, &#x017F;cham¬<lb/>
lo&#x017F;es, gewi&#x017F;&#x017F;enlo&#x017F;es, &#x017F;tolzes &#x2014; <hi rendition="#g">Verbrechen</hi>, grollt es nicht<lb/>
in fernen Donnern, und &#x017F;ieh&#x017F;t Du nicht, wie der Himmel<lb/>
ahnungsvoll &#x017F;chweigt und &#x017F;ich trübt?</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Wer &#x017F;ich weigert, &#x017F;eine Kräfte für &#x017F;o beengte Ge&#x017F;ell&#x017F;chaf¬<lb/>
ten, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der &#x017F;ehnt &#x017F;ich<lb/>
immer noch nach einer würdigeren Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und meint etwa<lb/>
in der &#x201E;men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft&#x201C; oder der &#x201E;Men&#x017F;chheit&#x201C; das<lb/>
wahre Liebesobject gefunden zu haben, dem &#x017F;ich zu opfern<lb/>
&#x017F;eine Ehre ausmache: von nun an &#x201E;lebt und dient er der<lb/><hi rendition="#g">Men&#x017F;chheit</hi>&#x201C;.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Volk</hi> heißt der Körper, <hi rendition="#g">Staat</hi> der Gei&#x017F;t jener <hi rendition="#g">herr¬<lb/>
&#x017F;chenden Per&#x017F;on</hi>, die &#x017F;either Mich unterdrückt hat. Man<lb/>
hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man<lb/>
&#x017F;ie zur &#x201E;Men&#x017F;chheit&#x201C; und &#x201E;allgemeinen Vernunft&#x201C; erweiterte;<lb/>
allein die Knecht&#x017F;chaft würde bei die&#x017F;er Ausweitung nur noch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0327] Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne lebendigen, eigenen Antheil, die Uebelthäter nur in die Hände der Polizei und Gerichte liefert: ein theilnahmloſes Ueberant¬ worten an die Obrigkeit, „die ja das Heilige aufs Beſte ver¬ walten wird“. Das Volk iſt ganz toll darauf, gegen Alles die Polizei zu hetzen, was ihm unſittlich, oft nur unanſtändig zu ſein ſcheint, und dieſe Volkswuth für das Sittliche beſchützt mehr das Polizeiinſtitut, als die Regierung es nur irgend ſchützen könnte. Im Verbrechen hat ſich ſeither der Egoiſt behauptet und das Heilige verſpottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder viel¬ mehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rückſichtsloſes, ſcham¬ loſes, gewiſſenloſes, ſtolzes — Verbrechen, grollt es nicht in fernen Donnern, und ſiehſt Du nicht, wie der Himmel ahnungsvoll ſchweigt und ſich trübt? Wer ſich weigert, ſeine Kräfte für ſo beengte Geſellſchaf¬ ten, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der ſehnt ſich immer noch nach einer würdigeren Geſellſchaft und meint etwa in der „menſchlichen Geſellſchaft“ oder der „Menſchheit“ das wahre Liebesobject gefunden zu haben, dem ſich zu opfern ſeine Ehre ausmache: von nun an „lebt und dient er der Menſchheit“. Volk heißt der Körper, Staat der Geiſt jener herr¬ ſchenden Perſon, die ſeither Mich unterdrückt hat. Man hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man ſie zur „Menſchheit“ und „allgemeinen Vernunft“ erweiterte; allein die Knechtſchaft würde bei dieſer Ausweitung nur noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/327
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/327>, abgerufen am 26.04.2024.