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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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"Der Verbrecher ist des Staates eigenstes Verbrechen!"
sagt Bettina*). Man kann dieses Wort gelten lassen, wenn
auch Bettina selbst es nicht gerade so versteht. Im Staate
vermag nämlich das zügellose Ich, Ich, wie Ich Mir allein
angehöre, nicht zu meiner Erfüllung und Verwirklichung zu
kommen. Jedes Ich ist von Geburt schon ein Verbrecher
gegen das Volk, den Staat. Daher überwacht er auch wirk¬
lich Alle, er sieht in Jedem einen -- Egoisten, und vor dem
Egoisten fürchtet er sich. Er setzt von Jedem das Schlimmste
voraus, und hat Acht, polizeilich Acht, daß "dem Staat kein
Schaden geschieht", ne quid respublica detrimenti capiat.
Das zügellose Ich -- und das sind Wir ursprünglich, und in
unserem geheimen Inneren bleiben Wir's stets -- ist der nie
aufhörende Verbrecher im Staate. Der Mensch, den seine
Kühnheit, sein Wille, seine Rücksichtslosigkeit und Furchtlosig¬
keit leitet, der wird vom Staate, vom Volke mit Spionen
umstellt. Ich sage, vom Volke! Das Volk -- Ihr guther¬
zigen Leute, denkt Wunder, was Ihr an ihm habt -- das Volk
steckt durch und durch voll Polizeigesinnung. -- Nur wer sein
Ich verleugnet, wer "Selbstverleugnung" übt, ist dem Volke
angenehm.

Bettina ist im angeführten Buche durchweg gutmüthig
genug, den Staat nur für krank zu halten und auf seine Ge¬
nesung zu hoffen, eine Genesung, welche sie durch die "Dema¬
gogen" **)bewirken will; allein er ist nicht krank, sondern in
voller Kraft, wenn er die Demagogen, die für die Einzelnen,
für "Alle" etwas erwerben wollen, von sich weist. Er ist in

*) Dieß Buch gehört dem König. S. 376.
**) S. 376.

„Der Verbrecher iſt des Staates eigenſtes Verbrechen!“
ſagt Bettina*). Man kann dieſes Wort gelten laſſen, wenn
auch Bettina ſelbſt es nicht gerade ſo verſteht. Im Staate
vermag nämlich das zügelloſe Ich, Ich, wie Ich Mir allein
angehöre, nicht zu meiner Erfüllung und Verwirklichung zu
kommen. Jedes Ich iſt von Geburt ſchon ein Verbrecher
gegen das Volk, den Staat. Daher überwacht er auch wirk¬
lich Alle, er ſieht in Jedem einen — Egoiſten, und vor dem
Egoiſten fürchtet er ſich. Er ſetzt von Jedem das Schlimmſte
voraus, und hat Acht, polizeilich Acht, daß „dem Staat kein
Schaden geſchieht“, ne quid respublica detrimenti capiat.
Das zügelloſe Ich — und das ſind Wir urſprünglich, und in
unſerem geheimen Inneren bleiben Wir's ſtets — iſt der nie
aufhörende Verbrecher im Staate. Der Menſch, den ſeine
Kühnheit, ſein Wille, ſeine Rückſichtsloſigkeit und Furchtloſig¬
keit leitet, der wird vom Staate, vom Volke mit Spionen
umſtellt. Ich ſage, vom Volke! Das Volk — Ihr guther¬
zigen Leute, denkt Wunder, was Ihr an ihm habt — das Volk
ſteckt durch und durch voll Polizeigeſinnung. — Nur wer ſein
Ich verleugnet, wer „Selbſtverleugnung“ übt, iſt dem Volke
angenehm.

Bettina iſt im angeführten Buche durchweg gutmüthig
genug, den Staat nur für krank zu halten und auf ſeine Ge¬
neſung zu hoffen, eine Geneſung, welche ſie durch die „Dema¬
gogen“ **)bewirken will; allein er iſt nicht krank, ſondern in
voller Kraft, wenn er die Demagogen, die für die Einzelnen,
für „Alle“ etwas erwerben wollen, von ſich weiſt. Er iſt in

*) Dieß Buch gehört dem König. S. 376.
**) S. 376.
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[263/0271] „Der Verbrecher iſt des Staates eigenſtes Verbrechen!“ ſagt Bettina *). Man kann dieſes Wort gelten laſſen, wenn auch Bettina ſelbſt es nicht gerade ſo verſteht. Im Staate vermag nämlich das zügelloſe Ich, Ich, wie Ich Mir allein angehöre, nicht zu meiner Erfüllung und Verwirklichung zu kommen. Jedes Ich iſt von Geburt ſchon ein Verbrecher gegen das Volk, den Staat. Daher überwacht er auch wirk¬ lich Alle, er ſieht in Jedem einen — Egoiſten, und vor dem Egoiſten fürchtet er ſich. Er ſetzt von Jedem das Schlimmſte voraus, und hat Acht, polizeilich Acht, daß „dem Staat kein Schaden geſchieht“, ne quid respublica detrimenti capiat. Das zügelloſe Ich — und das ſind Wir urſprünglich, und in unſerem geheimen Inneren bleiben Wir's ſtets — iſt der nie aufhörende Verbrecher im Staate. Der Menſch, den ſeine Kühnheit, ſein Wille, ſeine Rückſichtsloſigkeit und Furchtloſig¬ keit leitet, der wird vom Staate, vom Volke mit Spionen umſtellt. Ich ſage, vom Volke! Das Volk — Ihr guther¬ zigen Leute, denkt Wunder, was Ihr an ihm habt — das Volk ſteckt durch und durch voll Polizeigeſinnung. — Nur wer ſein Ich verleugnet, wer „Selbſtverleugnung“ übt, iſt dem Volke angenehm. Bettina iſt im angeführten Buche durchweg gutmüthig genug, den Staat nur für krank zu halten und auf ſeine Ge¬ neſung zu hoffen, eine Geneſung, welche ſie durch die „Dema¬ gogen“ **)bewirken will; allein er iſt nicht krank, ſondern in voller Kraft, wenn er die Demagogen, die für die Einzelnen, für „Alle“ etwas erwerben wollen, von ſich weiſt. Er iſt in *) Dieß Buch gehört dem König. S. 376. **) S. 376.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/271>, abgerufen am 26.04.2024.