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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Ich's nicht, so werden diese Götter stets gegen Mich im Rechte
und in der Macht bleiben, Ich aber werde Mich vor ihrem
Rechte und ihrer Macht fürchten in ohnmächtiger "Gottes¬
furcht", werde ihre Gebote halten und in Allem, was Ich
nach ihrem Rechte thue, Recht zu thun glauben, wie etwa
die russischen Grenzwächter sich für berechtigt halten, die ent¬
rinnenden Verdächtigen todt zu schießen, indem sie "auf höhere
Autorität", d. h. "mit Recht" morden. Ich aber bin durch
Mich berechtigt zu morden, wenn Ich Mir's selbst nicht ver¬
biete, wenn Ich selbst Mich nicht vorm Morde als vor einem
"Unrecht" fürchte. Diese Anschauung liegt Chamisso's Ge¬
dichte "das Mordthal" zu Grunde, wo der ergraute indianische
Mörder dem Weißen, dessen Mitbrüder er gemordet, Ehrfurcht
abzwingt. Ich bin nur zu Dem nicht berechtigt, was Ich
nicht mit freiem Muthe thue, d. h. wozu Ich Mich nicht
berechtige.

Ich entscheide, ob es in Mir das Rechte ist; außer
Mir giebt es kein Recht. Ist es Mir recht, so ist es recht.
Möglich, daß es darum den Andern noch nicht recht ist; das
ist ihre Sorge, nicht meine: sie mögen sich wehren. Und
wäre etwas der ganzen Welt nicht recht, Mir aber wäre
es recht, d. h. Ich wollte es, so früge Ich nach der ganzen
Welt nichts. So macht es Jeder, der sich zu schätzen weiß,
Jeder in dem Grade, als er Egoist ist, denn Gewalt geht vor
Recht, und zwar -- mit vollem Rechte.

Weil Ich "von Natur" ein Mensch bin, habe Ich ein
gleiches Recht auf den Genuß aller Güter, sagt Babeuf.
Müßte er nicht auch sagen: weil Ich "von Natur" ein erst¬
geborener Prinz bin, habe Ich ein Recht auf den Thron?
Die Menschenrechte und die "wohlerworbenen Rechte" kommen

Ich's nicht, ſo werden dieſe Götter ſtets gegen Mich im Rechte
und in der Macht bleiben, Ich aber werde Mich vor ihrem
Rechte und ihrer Macht fürchten in ohnmächtiger „Gottes¬
furcht“, werde ihre Gebote halten und in Allem, was Ich
nach ihrem Rechte thue, Recht zu thun glauben, wie etwa
die ruſſiſchen Grenzwächter ſich für berechtigt halten, die ent¬
rinnenden Verdächtigen todt zu ſchießen, indem ſie „auf höhere
Autorität“, d. h. „mit Recht“ morden. Ich aber bin durch
Mich berechtigt zu morden, wenn Ich Mir's ſelbſt nicht ver¬
biete, wenn Ich ſelbſt Mich nicht vorm Morde als vor einem
„Unrecht“ fürchte. Dieſe Anſchauung liegt Chamiſſo's Ge¬
dichte „das Mordthal“ zu Grunde, wo der ergraute indianiſche
Mörder dem Weißen, deſſen Mitbrüder er gemordet, Ehrfurcht
abzwingt. Ich bin nur zu Dem nicht berechtigt, was Ich
nicht mit freiem Muthe thue, d. h. wozu Ich Mich nicht
berechtige.

Ich entſcheide, ob es in Mir das Rechte iſt; außer
Mir giebt es kein Recht. Iſt es Mir recht, ſo iſt es recht.
Möglich, daß es darum den Andern noch nicht recht iſt; das
iſt ihre Sorge, nicht meine: ſie mögen ſich wehren. Und
wäre etwas der ganzen Welt nicht recht, Mir aber wäre
es recht, d. h. Ich wollte es, ſo früge Ich nach der ganzen
Welt nichts. So macht es Jeder, der ſich zu ſchätzen weiß,
Jeder in dem Grade, als er Egoiſt iſt, denn Gewalt geht vor
Recht, und zwar — mit vollem Rechte.

Weil Ich „von Natur“ ein Menſch bin, habe Ich ein
gleiches Recht auf den Genuß aller Güter, ſagt Babeuf.
Müßte er nicht auch ſagen: weil Ich „von Natur“ ein erſt¬
geborener Prinz bin, habe Ich ein Recht auf den Thron?
Die Menſchenrechte und die „wohlerworbenen Rechte“ kommen

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[249/0257] Ich's nicht, ſo werden dieſe Götter ſtets gegen Mich im Rechte und in der Macht bleiben, Ich aber werde Mich vor ihrem Rechte und ihrer Macht fürchten in ohnmächtiger „Gottes¬ furcht“, werde ihre Gebote halten und in Allem, was Ich nach ihrem Rechte thue, Recht zu thun glauben, wie etwa die ruſſiſchen Grenzwächter ſich für berechtigt halten, die ent¬ rinnenden Verdächtigen todt zu ſchießen, indem ſie „auf höhere Autorität“, d. h. „mit Recht“ morden. Ich aber bin durch Mich berechtigt zu morden, wenn Ich Mir's ſelbſt nicht ver¬ biete, wenn Ich ſelbſt Mich nicht vorm Morde als vor einem „Unrecht“ fürchte. Dieſe Anſchauung liegt Chamiſſo's Ge¬ dichte „das Mordthal“ zu Grunde, wo der ergraute indianiſche Mörder dem Weißen, deſſen Mitbrüder er gemordet, Ehrfurcht abzwingt. Ich bin nur zu Dem nicht berechtigt, was Ich nicht mit freiem Muthe thue, d. h. wozu Ich Mich nicht berechtige. Ich entſcheide, ob es in Mir das Rechte iſt; außer Mir giebt es kein Recht. Iſt es Mir recht, ſo iſt es recht. Möglich, daß es darum den Andern noch nicht recht iſt; das iſt ihre Sorge, nicht meine: ſie mögen ſich wehren. Und wäre etwas der ganzen Welt nicht recht, Mir aber wäre es recht, d. h. Ich wollte es, ſo früge Ich nach der ganzen Welt nichts. So macht es Jeder, der ſich zu ſchätzen weiß, Jeder in dem Grade, als er Egoiſt iſt, denn Gewalt geht vor Recht, und zwar — mit vollem Rechte. Weil Ich „von Natur“ ein Menſch bin, habe Ich ein gleiches Recht auf den Genuß aller Güter, ſagt Babeuf. Müßte er nicht auch ſagen: weil Ich „von Natur“ ein erſt¬ geborener Prinz bin, habe Ich ein Recht auf den Thron? Die Menſchenrechte und die „wohlerworbenen Rechte“ kommen

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/257>, abgerufen am 27.04.2024.