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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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mit Friedrich des Großen Krückstock, der um Friedrich's willen
berühmt wurde.

Dem "Gebt Gott die Ehre" entspricht das Moderne:
"Gebt dem Menschen die Ehre". Ich aber denke sie für Mich
zu behalten.

Indem die Kritik an den Menschen die Aufforderung er¬
gehen läßt, "menschlich" zu sein, spricht sie die nothwendige
Bedingung der Geselligkeit aus; denn nur als Mensch unter
Menschen ist man umgänglich. Hiermit giebt sie ihren so¬
cialen
Zweck kund, die Herstellung der "menschlichen Ge¬
sellschaft".

Unter den Socialtheorieen ist unstreitig die Kritik die voll¬
endetste, weil sie Alles entfernt und entwerthet, was den Men¬
schen vom Menschen trennt: alle Vorrechte bis auf das Vor¬
recht des Glaubens. In ihr kommt das Liebesprincip des
Christenthums, das wahre Socialprincip, zum reinsten Voll¬
zug, und es wird das letzte mögliche Experiment gemacht, die
Ausschließlichkeit und das Abstoßen den Menschen zu benehmen:
ein Kampf gegen den Egoismus in seiner einfachsten und
darum härtesten Form, in der Form der Einzigkeit, der Aus¬
schließlichkeit, selber.

"Wie könnt Ihr wahrhaft gesellschaftlich leben, so lange
auch nur Eine Ausschließlichkeit zwischen Euch noch besteht?"

Ich frage umgekehrt: Wie könnt Ihr wahrhaft einzig
sein, so lange auch nur Ein Zusammenhang zwischen Euch
noch besteht? Hängt Ihr zusammen, so könnt Ihr nicht von
einander, umschließt Euch ein "Band", so seid Ihr nur selb¬
ander
etwas, und Euer Zwölf machen ein Dutzend, Euer
Tausende ein Volk, Euer Millionen die Menschheit.

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mit Friedrich des Großen Krückſtock, der um Friedrich's willen
berühmt wurde.

Dem „Gebt Gott die Ehre“ entſpricht das Moderne:
„Gebt dem Menſchen die Ehre“. Ich aber denke ſie für Mich
zu behalten.

Indem die Kritik an den Menſchen die Aufforderung er¬
gehen läßt, „menſchlich“ zu ſein, ſpricht ſie die nothwendige
Bedingung der Geſelligkeit aus; denn nur als Menſch unter
Menſchen iſt man umgänglich. Hiermit giebt ſie ihren ſo¬
cialen
Zweck kund, die Herſtellung der „menſchlichen Ge¬
ſellſchaft“.

Unter den Socialtheorieen iſt unſtreitig die Kritik die voll¬
endetſte, weil ſie Alles entfernt und entwerthet, was den Men¬
ſchen vom Menſchen trennt: alle Vorrechte bis auf das Vor¬
recht des Glaubens. In ihr kommt das Liebesprincip des
Chriſtenthums, das wahre Socialprincip, zum reinſten Voll¬
zug, und es wird das letzte mögliche Experiment gemacht, die
Ausſchließlichkeit und das Abſtoßen den Menſchen zu benehmen:
ein Kampf gegen den Egoismus in ſeiner einfachſten und
darum härteſten Form, in der Form der Einzigkeit, der Aus¬
ſchließlichkeit, ſelber.

„Wie könnt Ihr wahrhaft geſellſchaftlich leben, ſo lange
auch nur Eine Ausſchließlichkeit zwiſchen Euch noch beſteht?“

Ich frage umgekehrt: Wie könnt Ihr wahrhaft einzig
ſein, ſo lange auch nur Ein Zuſammenhang zwiſchen Euch
noch beſteht? Hängt Ihr zuſammen, ſo könnt Ihr nicht von
einander, umſchließt Euch ein „Band“, ſo ſeid Ihr nur ſelb¬
ander
etwas, und Euer Zwölf machen ein Dutzend, Euer
Tauſende ein Volk, Euer Millionen die Menſchheit.

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[177/0185] mit Friedrich des Großen Krückſtock, der um Friedrich's willen berühmt wurde. Dem „Gebt Gott die Ehre“ entſpricht das Moderne: „Gebt dem Menſchen die Ehre“. Ich aber denke ſie für Mich zu behalten. Indem die Kritik an den Menſchen die Aufforderung er¬ gehen läßt, „menſchlich“ zu ſein, ſpricht ſie die nothwendige Bedingung der Geſelligkeit aus; denn nur als Menſch unter Menſchen iſt man umgänglich. Hiermit giebt ſie ihren ſo¬ cialen Zweck kund, die Herſtellung der „menſchlichen Ge¬ ſellſchaft“. Unter den Socialtheorieen iſt unſtreitig die Kritik die voll¬ endetſte, weil ſie Alles entfernt und entwerthet, was den Men¬ ſchen vom Menſchen trennt: alle Vorrechte bis auf das Vor¬ recht des Glaubens. In ihr kommt das Liebesprincip des Chriſtenthums, das wahre Socialprincip, zum reinſten Voll¬ zug, und es wird das letzte mögliche Experiment gemacht, die Ausſchließlichkeit und das Abſtoßen den Menſchen zu benehmen: ein Kampf gegen den Egoismus in ſeiner einfachſten und darum härteſten Form, in der Form der Einzigkeit, der Aus¬ ſchließlichkeit, ſelber. „Wie könnt Ihr wahrhaft geſellſchaftlich leben, ſo lange auch nur Eine Ausſchließlichkeit zwiſchen Euch noch beſteht?“ Ich frage umgekehrt: Wie könnt Ihr wahrhaft einzig ſein, ſo lange auch nur Ein Zuſammenhang zwiſchen Euch noch beſteht? Hängt Ihr zuſammen, ſo könnt Ihr nicht von einander, umſchließt Euch ein „Band“, ſo ſeid Ihr nur ſelb¬ ander etwas, und Euer Zwölf machen ein Dutzend, Euer Tauſende ein Volk, Euer Millionen die Menſchheit. 12

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/185>, abgerufen am 26.04.2024.