III. KAPITEL. Von Cuyaba zum Independencia-Lager. II.
Marsch. Unser Zug. Aeussere Erscheinung von Herren und Kameraden. Maultiertreiber- und Holzhackerkursus. Zunehmender Stumpfsinn. Die Sonne als Zeitmesser. Freuden des Marsches. Früchte des Sertao. Nachtlager und Küche. Ankunft. Ungeziefer. "Nationalkoch" und Jagd- gerichte. Perrot's Geburtstagsfeier. Nachtstimmung. Gewohnheitstraum des Fliegens. Aufbruch am Morgen. Rondonstrasse und letzter Teil des Weges. Sertaopost. Im Kulisehu-Gebiet. Independencia. Schlachtplan.
Marsch. Die Leistungen unserer Karawane waren sehr verschieden, aber durchschnittlich galt ein Marsch von sechs Stunden als das normale Mass. In der ersten Zeit wurde es gewöhnlich, keine besonderen Hindernisse vorausgesetzt, 81/2 Uhr, bis der Aufbruch erfolgte; später gelang es um 7 Uhr fortzukommen. Am Mittag wurde häufig eine kleine Ruhepause eingeschoben, wozu irgend ein schwieriger Bachübergang den willkommenen Anlass bot.
Unser Zug sah wohl gerade nicht elegant aus, er hatte aber etwas Flottes und Originelles an sich. Perrot zu Pferde ritt im bedächtigen Schritt dem alten Schimmel mit langem Schweif und langer Mähne, der Madrinha, voraus, die nichts als am Hals ihre Glocke trug; nebenher schritt barfuss der Küchenjunge Manoel, stolz das Gewehr eines der Herren auf der Schulter, und in der Hand oder am Gewehr oder auf dem Kopf den grossen blau emaillirten Kessel. Es folgten oder folgten häufig auch nicht die sechzehn Maultiere, eins hinter dem andern, und wir und die Leute dazwischen verteilt, zumeist ein Jeder für sich allein vorwärts strebend; über die hochaufgestapelte Last der Tiere, einem Kutschen- dach ähnlich, war eine steife Ochsenhaut gespannt, auf der die alles zusammen- schnürende "Sobrecarga", ein breiter Lederriemen, nur schlechten Halt fand. Ueberall und nirgends endlich die Hunde; den Vieren hatte sich als Fünfter ein kleiner weiblicher Spitz auf einer verlassenen Ansiedelung "Fazendinha", nach der er selbst den Namen Fazendinha empfing, anschliessen dürfen. Unermüdlich flog der alte Renommist Januario auf seiner muntern Mula die Reihe entlang und sprach lobend oder tadelnd mit den Maultieren, blieb auch ab und zu ein Stück zurück und fröhnte seiner Leidenschaft, den Kamp anzuzünden, weniger um des nächtlich schönen Flammenschauspiels willen als zu dem praktischen Zweck, dass
III. KAPITEL. Von Cuyabá zum Independencia-Lager. II.
Marsch. Unser Zug. Aeussere Erscheinung von Herren und Kameraden. Maultiertreiber- und Holzhackerkursus. Zunehmender Stumpfsinn. Die Sonne als Zeitmesser. Freuden des Marsches. Früchte des Sertão. Nachtlager und Küche. Ankunft. Ungeziefer. »Nationalkoch« und Jagd- gerichte. Perrot’s Geburtstagsfeier. Nachtstimmung. Gewohnheitstraum des Fliegens. Aufbruch am Morgen. Rondonstrasse und letzter Teil des Weges. Sertãopost. Im Kulisehu-Gebiet. Independencia. Schlachtplan.
Marsch. Die Leistungen unserer Karawane waren sehr verschieden, aber durchschnittlich galt ein Marsch von sechs Stunden als das normale Mass. In der ersten Zeit wurde es gewöhnlich, keine besonderen Hindernisse vorausgesetzt, 8½ Uhr, bis der Aufbruch erfolgte; später gelang es um 7 Uhr fortzukommen. Am Mittag wurde häufig eine kleine Ruhepause eingeschoben, wozu irgend ein schwieriger Bachübergang den willkommenen Anlass bot.
Unser Zug sah wohl gerade nicht elegant aus, er hatte aber etwas Flottes und Originelles an sich. Perrot zu Pferde ritt im bedächtigen Schritt dem alten Schimmel mit langem Schweif und langer Mähne, der Madrinha, voraus, die nichts als am Hals ihre Glocke trug; nebenher schritt barfuss der Küchenjunge Manoel, stolz das Gewehr eines der Herren auf der Schulter, und in der Hand oder am Gewehr oder auf dem Kopf den grossen blau emaillirten Kessel. Es folgten oder folgten häufig auch nicht die sechzehn Maultiere, eins hinter dem andern, und wir und die Leute dazwischen verteilt, zumeist ein Jeder für sich allein vorwärts strebend; über die hochaufgestapelte Last der Tiere, einem Kutschen- dach ähnlich, war eine steife Ochsenhaut gespannt, auf der die alles zusammen- schnürende »Sobrecarga«, ein breiter Lederriemen, nur schlechten Halt fand. Ueberall und nirgends endlich die Hunde; den Vieren hatte sich als Fünfter ein kleiner weiblicher Spitz auf einer verlassenen Ansiedelung »Fazendinha«, nach der er selbst den Namen Fazendinha empfing, anschliessen dürfen. Unermüdlich flog der alte Renommist Januario auf seiner muntern Mula die Reihe entlang und sprach lobend oder tadelnd mit den Maultieren, blieb auch ab und zu ein Stück zurück und fröhnte seiner Leidenschaft, den Kamp anzuzünden, weniger um des nächtlich schönen Flammenschauspiels willen als zu dem praktischen Zweck, dass
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Von Cuyabá zum Independencia-Lager. II.
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Holzhackerkursus. Zunehmender Stumpfsinn. Die Sonne als Zeitmesser. Freuden des Marsches.
Früchte des Sertão. Nachtlager und Küche. Ankunft. Ungeziefer. »Nationalkoch« und Jagd-
gerichte. Perrot’s Geburtstagsfeier. Nachtstimmung. Gewohnheitstraum des Fliegens. Aufbruch
am Morgen. Rondonstrasse und letzter Teil des Weges. Sertãopost. Im Kulisehu-Gebiet.
Independencia. Schlachtplan.
Marsch. Die Leistungen unserer Karawane waren sehr verschieden, aber
durchschnittlich galt ein Marsch von sechs Stunden als das normale Mass. In
der ersten Zeit wurde es gewöhnlich, keine besonderen Hindernisse vorausgesetzt,
8½ Uhr, bis der Aufbruch erfolgte; später gelang es um 7 Uhr fortzukommen.
Am Mittag wurde häufig eine kleine Ruhepause eingeschoben, wozu irgend ein
schwieriger Bachübergang den willkommenen Anlass bot.
Unser Zug sah wohl gerade nicht elegant aus, er hatte aber etwas Flottes
und Originelles an sich. Perrot zu Pferde ritt im bedächtigen Schritt dem alten
Schimmel mit langem Schweif und langer Mähne, der Madrinha, voraus, die nichts
als am Hals ihre Glocke trug; nebenher schritt barfuss der Küchenjunge Manoel,
stolz das Gewehr eines der Herren auf der Schulter, und in der Hand oder am
Gewehr oder auf dem Kopf den grossen blau emaillirten Kessel. Es folgten
oder folgten häufig auch nicht die sechzehn Maultiere, eins hinter dem andern,
und wir und die Leute dazwischen verteilt, zumeist ein Jeder für sich allein
vorwärts strebend; über die hochaufgestapelte Last der Tiere, einem Kutschen-
dach ähnlich, war eine steife Ochsenhaut gespannt, auf der die alles zusammen-
schnürende »Sobrecarga«, ein breiter Lederriemen, nur schlechten Halt fand.
Ueberall und nirgends endlich die Hunde; den Vieren hatte sich als Fünfter ein
kleiner weiblicher Spitz auf einer verlassenen Ansiedelung »Fazendinha«, nach der
er selbst den Namen Fazendinha empfing, anschliessen dürfen. Unermüdlich
flog der alte Renommist Januario auf seiner muntern Mula die Reihe entlang und
sprach lobend oder tadelnd mit den Maultieren, blieb auch ab und zu ein Stück
zurück und fröhnte seiner Leidenschaft, den Kamp anzuzünden, weniger um des
nächtlich schönen Flammenschauspiels willen als zu dem praktischen Zweck, dass
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. [26]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/50>, abgerufen am 21.11.2024.
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