die Bakairi und Paressi, sondern auch die Bororo -- und er soll sich das abstrakte "Licht" als eine Person vorstellen!
Der "Lichtgott" bringt in den amerikanischen Sagen die "Kultur" und man er- blickt darin eine Erinnerung an eine Wanderung aus dem Osten oder einen Ursprung der Kultur aus dem Osten. Es ist in der That merkwürdig, wie mächtig die Kultur schon in unvordenklichen Zeiten von dem Zug nach dem Westen er- griffen war; sollen doch auch alle die Stämme, die ihre Toten, da man ihnen keinen Kompass ins Grab legen kann, mit dem Antlitz nach Sonnenaufgang hin bestatten, von Osten herbeigezogen sein. "Wo wohnt Keri?" fragte ich Antonio. "Im Himmel." "Aber in welcher Richtung?" "Im Osten; dort bewahrt er doch die Sonne auf. Der Topf, der sie Nachts bedeckt, steht in seinem Hause." Der alte Caetano nannte Keri den "Imperador" und auch er liess ihn im Osten wohnen, nämlich in Rio de Janeiro. Ich sehe nicht den geringsten Grund, den ersten Akt im Himmel der Kerisage mit einer Wanderungssage zu verquicken. Die Sonne war vor Keri da, er hat nur ihren Lauf geregelt. Wenn er mit der Sonne geht, muss er im Osten oder im Westen wohnen, die Bakairi haben sich für den Osten entschieden und hätten nun leicht zu dem Schluss kommen können, den sie nicht gemacht haben, dass ihre Vorfahren von dorther gekommen seien. Aber die Vorfahren können nicht gut überall, wo dieser Schluss gemacht wird, im Osten gelebt haben. Dass aber Keri mit der Sonne geht, kann nicht Wunder nehmen, weil er ja nur die Person ist, die zur Sonne erklärend hinzu- gedichtet ist, und da diejenige Person hinzugedichtet ist, die den Begründer des Stammes darstellen soll und auf den die wichtigsten Errungenschaften bezogen werden, so muss der Kulturheros auch der "Lichtgott" sein.
II. Die Texte.
Die Eltern von Keri und Kame. Entstehung und Tod der Mutter. Letzterer gerächt. Sonne, Schlaf und Buriti-Hängematte. Himmel und Erde vertauscht. Feuer. Flüsse. Zum Salto des Paranatinga. Haus, Fischfang, Festtänze, Stämme. Abschied von Keri und Kame. Tabak und Baumwolle. Mandioka; Rehgeweih. Der hässliche Strauss. Keri und der Kampfuchs auf der Jagd. Der Jaguar und der Ameisenbär.
Die Originaltexte der Bakairi-Sagen habe ich in der Bakairi-Grammatik mit Interlinearübersetzung veröffentlicht. Ich will versuchen, ihren Inhalt, der zum Verständnis wesentlicher, von Antonio gelieferter Ergänzungen bedarf, hier zu erzählen. Sie selbst bestehen aus sehr kurzen Sätzen und haben eine ungemein knappe Form des Ausdrucks.
Die Eltern von Keri und Kame. Der erste Teil der Legende spielt im Himmel. Damals war ungefähr Alles vorhanden, was es jetzt auf Erden giebt. Von einer eigentlichen Schöpfung wird Nichts berichtet, es wird nur erzählt, wie die Helden Keri und Kame allerlei gute und wichtige Dinge von Andern erwerben. Waren doch selbst Bakairi immer da, wenn auch "im Anfang
die Bakaïrí und Paressí, sondern auch die Bororó — und er soll sich das abstrakte »Licht« als eine Person vorstellen!
Der »Lichtgott« bringt in den amerikanischen Sagen die »Kultur« und man er- blickt darin eine Erinnerung an eine Wanderung aus dem Osten oder einen Ursprung der Kultur aus dem Osten. Es ist in der That merkwürdig, wie mächtig die Kultur schon in unvordenklichen Zeiten von dem Zug nach dem Westen er- griffen war; sollen doch auch alle die Stämme, die ihre Toten, da man ihnen keinen Kompass ins Grab legen kann, mit dem Antlitz nach Sonnenaufgang hin bestatten, von Osten herbeigezogen sein. »Wo wohnt Keri?« fragte ich Antonio. »Im Himmel.« »Aber in welcher Richtung?« »Im Osten; dort bewahrt er doch die Sonne auf. Der Topf, der sie Nachts bedeckt, steht in seinem Hause.« Der alte Caetano nannte Keri den »Imperador« und auch er liess ihn im Osten wohnen, nämlich in Rio de Janeiro. Ich sehe nicht den geringsten Grund, den ersten Akt im Himmel der Kerisage mit einer Wanderungssage zu verquicken. Die Sonne war vor Keri da, er hat nur ihren Lauf geregelt. Wenn er mit der Sonne geht, muss er im Osten oder im Westen wohnen, die Bakaïrí haben sich für den Osten entschieden und hätten nun leicht zu dem Schluss kommen können, den sie nicht gemacht haben, dass ihre Vorfahren von dorther gekommen seien. Aber die Vorfahren können nicht gut überall, wo dieser Schluss gemacht wird, im Osten gelebt haben. Dass aber Keri mit der Sonne geht, kann nicht Wunder nehmen, weil er ja nur die Person ist, die zur Sonne erklärend hinzu- gedichtet ist, und da diejenige Person hinzugedichtet ist, die den Begründer des Stammes darstellen soll und auf den die wichtigsten Errungenschaften bezogen werden, so muss der Kulturheros auch der »Lichtgott« sein.
II. Die Texte.
Die Eltern von Keri und Kame. Entstehung und Tod der Mutter. Letzterer gerächt. Sonne, Schlaf und Burití-Hängematte. Himmel und Erde vertauscht. Feuer. Flüsse. Zum Salto des Paranatinga. Haus, Fischfang, Festtänze, Stämme. Abschied von Keri und Kame. Tabak und Baumwolle. Mandioka; Rehgeweih. Der hässliche Strauss. Keri und der Kampfuchs auf der Jagd. Der Jaguar und der Ameisenbär.
Die Originaltexte der Bakaïrí-Sagen habe ich in der Bakaïrí-Grammatik mit Interlinearübersetzung veröffentlicht. Ich will versuchen, ihren Inhalt, der zum Verständnis wesentlicher, von Antonio gelieferter Ergänzungen bedarf, hier zu erzählen. Sie selbst bestehen aus sehr kurzen Sätzen und haben eine ungemein knappe Form des Ausdrucks.
Die Eltern von Keri und Kame. Der erste Teil der Legende spielt im Himmel. Damals war ungefähr Alles vorhanden, was es jetzt auf Erden giebt. Von einer eigentlichen Schöpfung wird Nichts berichtet, es wird nur erzählt, wie die Helden Keri und Kame allerlei gute und wichtige Dinge von Andern erwerben. Waren doch selbst Bakaïrí immer da, wenn auch »im Anfang
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0436"n="372"/>
die Bakaïrí und Paressí, sondern auch die Bororó — und er soll sich das abstrakte<lb/>
»Licht« als eine Person vorstellen!</p><lb/><p>Der »Lichtgott« bringt in den amerikanischen Sagen die »Kultur« und man er-<lb/>
blickt darin eine Erinnerung an eine Wanderung aus dem Osten oder einen Ursprung<lb/>
der Kultur aus dem Osten. Es ist in der That merkwürdig, wie mächtig die<lb/>
Kultur schon in unvordenklichen Zeiten von dem Zug nach dem Westen er-<lb/>
griffen war; sollen doch auch alle die Stämme, die ihre Toten, da man ihnen<lb/>
keinen Kompass ins Grab legen kann, mit dem Antlitz nach Sonnenaufgang hin<lb/>
bestatten, von Osten herbeigezogen sein. »Wo wohnt Keri?« fragte ich Antonio.<lb/>
»Im Himmel.« »Aber in welcher Richtung?« »Im Osten; dort bewahrt er doch<lb/>
die Sonne auf. Der Topf, der sie Nachts bedeckt, steht in seinem Hause.« Der<lb/>
alte Caetano nannte Keri den »Imperador« und auch er liess ihn im Osten<lb/>
wohnen, nämlich in Rio de Janeiro. Ich sehe nicht den geringsten Grund, den<lb/>
ersten Akt im Himmel der Kerisage mit einer Wanderungssage zu verquicken.<lb/>
Die Sonne war vor Keri da, er hat nur ihren Lauf geregelt. Wenn er mit der<lb/>
Sonne geht, muss er im Osten oder im Westen wohnen, die Bakaïrí haben sich<lb/>
für den Osten entschieden und hätten nun leicht zu dem <hirendition="#g">Schluss</hi> kommen<lb/>
können, den sie <hirendition="#g">nicht</hi> gemacht haben, dass ihre Vorfahren von dorther gekommen<lb/>
seien. Aber die Vorfahren können nicht gut überall, wo dieser Schluss gemacht<lb/>
wird, im Osten gelebt haben. Dass aber Keri mit der Sonne geht, kann nicht<lb/>
Wunder nehmen, weil er ja nur die Person ist, die zur Sonne erklärend hinzu-<lb/>
gedichtet ist, und da diejenige Person hinzugedichtet ist, die den Begründer des<lb/>
Stammes darstellen soll und auf den die wichtigsten Errungenschaften bezogen<lb/>
werden, so muss der Kulturheros auch der »Lichtgott« sein.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head><hirendition="#b">II. Die Texte.</hi></head><lb/><argument><p><hirendition="#c"><hirendition="#g">Die Eltern von Keri und Kame</hi>. Entstehung und Tod der Mutter. Letzterer gerächt.<lb/><hirendition="#g">Sonne, Schlaf</hi> und <hirendition="#g">Burití-Hängematte. Himmel</hi> und <hirendition="#g">Erde</hi> vertauscht. <hirendition="#g">Feuer. Flüsse</hi>.<lb/>
Zum Salto des Paranatinga. <hirendition="#g">Haus, Fischfang, Festtänze, Stämme. Abschied von Keri<lb/>
und Kame. Tabak und Baumwolle. Mandioka; Rehgeweih. Der hässliche Strauss.<lb/>
Keri und der Kampfuchs auf der Jagd. Der Jaguar und der Ameisenbär</hi>.</hi></p></argument><lb/><p>Die Originaltexte der Bakaïrí-Sagen habe ich in der Bakaïrí-Grammatik<lb/>
mit Interlinearübersetzung veröffentlicht. Ich will versuchen, ihren Inhalt, der<lb/>
zum Verständnis wesentlicher, von Antonio gelieferter Ergänzungen bedarf, hier<lb/>
zu erzählen. Sie selbst bestehen aus sehr kurzen Sätzen und haben eine ungemein<lb/>
knappe Form des Ausdrucks.</p><lb/><p><hirendition="#b">Die Eltern von Keri und Kame.</hi> Der erste Teil der Legende spielt<lb/>
im <hirendition="#g">Himmel</hi>. Damals war ungefähr Alles vorhanden, was es jetzt auf Erden<lb/>
giebt. Von einer eigentlichen <hirendition="#g">Schöpfung</hi> wird <hirendition="#g">Nichts</hi> berichtet, es wird nur<lb/>
erzählt, wie die Helden Keri und Kame allerlei gute und wichtige Dinge von<lb/>
Andern erwerben. Waren doch selbst Bakaïrí immer da, wenn auch »im Anfang<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[372/0436]
die Bakaïrí und Paressí, sondern auch die Bororó — und er soll sich das abstrakte
»Licht« als eine Person vorstellen!
Der »Lichtgott« bringt in den amerikanischen Sagen die »Kultur« und man er-
blickt darin eine Erinnerung an eine Wanderung aus dem Osten oder einen Ursprung
der Kultur aus dem Osten. Es ist in der That merkwürdig, wie mächtig die
Kultur schon in unvordenklichen Zeiten von dem Zug nach dem Westen er-
griffen war; sollen doch auch alle die Stämme, die ihre Toten, da man ihnen
keinen Kompass ins Grab legen kann, mit dem Antlitz nach Sonnenaufgang hin
bestatten, von Osten herbeigezogen sein. »Wo wohnt Keri?« fragte ich Antonio.
»Im Himmel.« »Aber in welcher Richtung?« »Im Osten; dort bewahrt er doch
die Sonne auf. Der Topf, der sie Nachts bedeckt, steht in seinem Hause.« Der
alte Caetano nannte Keri den »Imperador« und auch er liess ihn im Osten
wohnen, nämlich in Rio de Janeiro. Ich sehe nicht den geringsten Grund, den
ersten Akt im Himmel der Kerisage mit einer Wanderungssage zu verquicken.
Die Sonne war vor Keri da, er hat nur ihren Lauf geregelt. Wenn er mit der
Sonne geht, muss er im Osten oder im Westen wohnen, die Bakaïrí haben sich
für den Osten entschieden und hätten nun leicht zu dem Schluss kommen
können, den sie nicht gemacht haben, dass ihre Vorfahren von dorther gekommen
seien. Aber die Vorfahren können nicht gut überall, wo dieser Schluss gemacht
wird, im Osten gelebt haben. Dass aber Keri mit der Sonne geht, kann nicht
Wunder nehmen, weil er ja nur die Person ist, die zur Sonne erklärend hinzu-
gedichtet ist, und da diejenige Person hinzugedichtet ist, die den Begründer des
Stammes darstellen soll und auf den die wichtigsten Errungenschaften bezogen
werden, so muss der Kulturheros auch der »Lichtgott« sein.
II. Die Texte.
Die Eltern von Keri und Kame. Entstehung und Tod der Mutter. Letzterer gerächt.
Sonne, Schlaf und Burití-Hängematte. Himmel und Erde vertauscht. Feuer. Flüsse.
Zum Salto des Paranatinga. Haus, Fischfang, Festtänze, Stämme. Abschied von Keri
und Kame. Tabak und Baumwolle. Mandioka; Rehgeweih. Der hässliche Strauss.
Keri und der Kampfuchs auf der Jagd. Der Jaguar und der Ameisenbär.
Die Originaltexte der Bakaïrí-Sagen habe ich in der Bakaïrí-Grammatik
mit Interlinearübersetzung veröffentlicht. Ich will versuchen, ihren Inhalt, der
zum Verständnis wesentlicher, von Antonio gelieferter Ergänzungen bedarf, hier
zu erzählen. Sie selbst bestehen aus sehr kurzen Sätzen und haben eine ungemein
knappe Form des Ausdrucks.
Die Eltern von Keri und Kame. Der erste Teil der Legende spielt
im Himmel. Damals war ungefähr Alles vorhanden, was es jetzt auf Erden
giebt. Von einer eigentlichen Schöpfung wird Nichts berichtet, es wird nur
erzählt, wie die Helden Keri und Kame allerlei gute und wichtige Dinge von
Andern erwerben. Waren doch selbst Bakaïrí immer da, wenn auch »im Anfang
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/436>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.