I. KAPITEL. Reise nach Cuyaba und Aufbruch der Expedition.
Rio de Janeiro. "Cholera im Matogrosso". Bei D. Pedro II. Nach St. Catharina. Sambakis. Deutsche Kolonieen. Nach Buenos Aires. Museum in La Plata. Nach Cuyaba. Ver- änderungen seit 1884. Der gute und der böse Hauptmann. Martyrios-Expeditionen. Die neuen Reisegefährten. Ausrüstung. Abmarsch.
Rio de Janeiro war noch viel schöner als vor drei Jahren. Als wir damals Abschied nehmen mussten, waren wir vom Fieber erschöpft und abgespannt an Geist und Körper; in unserm Zustand reizbarer Schwäche schwelgten wir zwar mit vielleicht gesteigerter Erregung in dem traumhaft schimmernden Bilde der "vielbesungenen Inselbucht", aber der Rest von Energie, den wir noch besassen, setzte sich doch in das ungeduldige Verlangen um, dem verderblichen Zauber- kreis der Tropenglut so rasch wie möglich zu entrinnen. Jetzt kehrten wir zurück, neugestärkt in der heimatlichen Erde, eine wieder normale Milz und einen guten Vorrat von Arsenikpillen mitbringend, vor Allem aber geschwellt von froher Unternehmungslust. Entzückt genossen wir das wundervolle Schauspiel der Einfahrt und grüssten auch ihren gewaltigen Wächter, den steil aus der Meerflut aufragenden Granitturm des Zuckerhuts, mit herzlicher Vertraulichkeit, als ob er die ganze Zeit hindurch nur auf uns gewartet hätte.
Schon war ein minder unzugänglicher Freund dienstfertig zur Stelle und hiess uns noch an Bord willkommen, Herr Weber, unser stets getreuer Berater. Er entführte mich in seine gastliche Lagunen-Wohnung draussen vor dem bo- tanischen Garten am Fuss des Corcovado, des grotesken, selbst die jähen Ab- stürze empor von ewigem Waldgrün umhüllten Bergkolosses. Nebenan in dem reizendsten Junggesellenheim, das die Erde zwischen den Wendekreisen kennt, nahmen die Nachbarn meinen Vetter Wilhelm auf und liessen ihm ein urkräftiges Tahaha! Tahaha! entgegenschallen, das noch unvergessene Empfangsgebrüll unserer Suya-Indianer von 1884. Vogel und Ehrenreich richteten sich in einem Pensionat an der Praia de Botafogo häuslich ein.
Schlechte Nachrichten waren uns vorbehalten. Im Matogrosso, dem zu- künftigen Schauplatz unserer Thaten, herrschte die Cholera. Die Dampferver- bindung mit der fernen Binnenprovinz -- über Buenos Aires den La Plata-
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 1
I. KAPITEL. Reise nach Cuyabá und Aufbruch der Expedition.
Rio de Janeiro. »Cholera im Matogrosso«. Bei D. Pedro II. Nach St. Catharina. Sambakís. Deutsche Kolonieen. Nach Buenos Aires. Museum in La Plata. Nach Cuyabá. Ver- änderungen seit 1884. Der gute und der böse Hauptmann. Martyrios-Expeditionen. Die neuen Reisegefährten. Ausrüstung. Abmarsch.
Rio de Janeiro war noch viel schöner als vor drei Jahren. Als wir damals Abschied nehmen mussten, waren wir vom Fieber erschöpft und abgespannt an Geist und Körper; in unserm Zustand reizbarer Schwäche schwelgten wir zwar mit vielleicht gesteigerter Erregung in dem traumhaft schimmernden Bilde der »vielbesungenen Inselbucht«, aber der Rest von Energie, den wir noch besassen, setzte sich doch in das ungeduldige Verlangen um, dem verderblichen Zauber- kreis der Tropenglut so rasch wie möglich zu entrinnen. Jetzt kehrten wir zurück, neugestärkt in der heimatlichen Erde, eine wieder normale Milz und einen guten Vorrat von Arsenikpillen mitbringend, vor Allem aber geschwellt von froher Unternehmungslust. Entzückt genossen wir das wundervolle Schauspiel der Einfahrt und grüssten auch ihren gewaltigen Wächter, den steil aus der Meerflut aufragenden Granitturm des Zuckerhuts, mit herzlicher Vertraulichkeit, als ob er die ganze Zeit hindurch nur auf uns gewartet hätte.
Schon war ein minder unzugänglicher Freund dienstfertig zur Stelle und hiess uns noch an Bord willkommen, Herr Weber, unser stets getreuer Berater. Er entführte mich in seine gastliche Lagunen-Wohnung draussen vor dem bo- tanischen Garten am Fuss des Corcovado, des grotesken, selbst die jähen Ab- stürze empor von ewigem Waldgrün umhüllten Bergkolosses. Nebenan in dem reizendsten Junggesellenheim, das die Erde zwischen den Wendekreisen kennt, nahmen die Nachbarn meinen Vetter Wilhelm auf und liessen ihm ein urkräftiges Tahahá! Tahahá! entgegenschallen, das noch unvergessene Empfangsgebrüll unserer Suyá-Indianer von 1884. Vogel und Ehrenreich richteten sich in einem Pensionat an der Praia de Botafogo häuslich ein.
Schlechte Nachrichten waren uns vorbehalten. Im Matogrosso, dem zu- künftigen Schauplatz unserer Thaten, herrschte die Cholera. Die Dampferver- bindung mit der fernen Binnenprovinz — über Buenos Aires den La Plata-
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Reise nach Cuyabá und Aufbruch der Expedition.
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Deutsche Kolonieen. Nach Buenos Aires. Museum in La Plata. Nach Cuyabá. Ver-
änderungen seit 1884. Der gute und der böse Hauptmann. Martyrios-Expeditionen. Die
neuen Reisegefährten. Ausrüstung. Abmarsch.
Rio de Janeiro war noch viel schöner als vor drei Jahren. Als wir damals
Abschied nehmen mussten, waren wir vom Fieber erschöpft und abgespannt an
Geist und Körper; in unserm Zustand reizbarer Schwäche schwelgten wir zwar
mit vielleicht gesteigerter Erregung in dem traumhaft schimmernden Bilde der
»vielbesungenen Inselbucht«, aber der Rest von Energie, den wir noch besassen,
setzte sich doch in das ungeduldige Verlangen um, dem verderblichen Zauber-
kreis der Tropenglut so rasch wie möglich zu entrinnen. Jetzt kehrten wir
zurück, neugestärkt in der heimatlichen Erde, eine wieder normale Milz und
einen guten Vorrat von Arsenikpillen mitbringend, vor Allem aber geschwellt
von froher Unternehmungslust. Entzückt genossen wir das wundervolle Schauspiel
der Einfahrt und grüssten auch ihren gewaltigen Wächter, den steil aus der
Meerflut aufragenden Granitturm des Zuckerhuts, mit herzlicher Vertraulichkeit,
als ob er die ganze Zeit hindurch nur auf uns gewartet hätte.
Schon war ein minder unzugänglicher Freund dienstfertig zur Stelle und
hiess uns noch an Bord willkommen, Herr Weber, unser stets getreuer Berater.
Er entführte mich in seine gastliche Lagunen-Wohnung draussen vor dem bo-
tanischen Garten am Fuss des Corcovado, des grotesken, selbst die jähen Ab-
stürze empor von ewigem Waldgrün umhüllten Bergkolosses. Nebenan in dem
reizendsten Junggesellenheim, das die Erde zwischen den Wendekreisen kennt,
nahmen die Nachbarn meinen Vetter Wilhelm auf und liessen ihm ein urkräftiges
Tahahá! Tahahá! entgegenschallen, das noch unvergessene Empfangsgebrüll
unserer Suyá-Indianer von 1884. Vogel und Ehrenreich richteten sich in einem
Pensionat an der Praia de Botafogo häuslich ein.
Schlechte Nachrichten waren uns vorbehalten. Im Matogrosso, dem zu-
künftigen Schauplatz unserer Thaten, herrschte die Cholera. Die Dampferver-
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/23>, abgerufen am 21.11.2024.
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