Um das weite Gebiet, welches vor uns liegt, klar zu übersehen, wird es nothwendig, zuerst die einfachsten Grundbegriffe aufzustellen, und daran erst die weitere Entwicklung derselben anzuschließen.
Die Grundlage aller Bildung ist das, was wir das geistige Gut nennen. Es scheint nicht nothwendig, hier diesen Begriff weiter zu erklären. Das organische Wesen des menschlichen Geistes macht es nun zwar möglich, ein einzelnes geistiges Gut, eine einzelne Kenntniß oder Fähigkeit zu erwerben; aber es ist unmöglich, bei diesem Einzelnen stehen zu bleiben. Wie dasselbe einerseits aus der Anstrengung des ganzen geistigen Lebens hervorgeht, so wirkt das erworbene andrerseits auch auf das ganze geistige Leben wieder ein. Es gibt keine einzelne Kennt- niß oder Fähigkeit, kein einzelnes geistiges Gut für sich. Sie stehen alle unter einander in lebendigem, sich gegenseitig erzeugenden Zusam- menhang. Bei welchem einzelnen Gute der Mensch auch beginnen mag, immer ergibt sich für ihn ein geistiges inneres Leben, in welchem er die äußere Welt in seinem Geiste in sich trägt, und das geistige Dasein der Dinge, eine unsichtbare Welt der Begriffe und Kräfte entwickelt, vermöge deren er die wirkliche sich zum Verständniß bringt und sie seinen Zwecken unterwerfen kann. Diesen Zustand des Einzelnen nennen wir seine Bildung.
Allein so wenig es ein für sich allein bestehendes einzelnes geistiges Gut gibt, so wenig ist auch das geistige Leben des Einzelnen etwas für sich allein bestehendes. Wie das geistige Element seinem Wesen nach allgemein ist, so ist auch das Ergebniß dasselbe. Es geht stets über die Gränze des Einzellebens hinaus. Es theilt sich von dem Einen
Stein, die Verwaltungslehre. V. 1
Allgemeiner Theil.
I. Begriff und Weſen der Bildung an und für ſich.
I. Begriff der Bildung.
Um das weite Gebiet, welches vor uns liegt, klar zu überſehen, wird es nothwendig, zuerſt die einfachſten Grundbegriffe aufzuſtellen, und daran erſt die weitere Entwicklung derſelben anzuſchließen.
Die Grundlage aller Bildung iſt das, was wir das geiſtige Gut nennen. Es ſcheint nicht nothwendig, hier dieſen Begriff weiter zu erklären. Das organiſche Weſen des menſchlichen Geiſtes macht es nun zwar möglich, ein einzelnes geiſtiges Gut, eine einzelne Kenntniß oder Fähigkeit zu erwerben; aber es iſt unmöglich, bei dieſem Einzelnen ſtehen zu bleiben. Wie daſſelbe einerſeits aus der Anſtrengung des ganzen geiſtigen Lebens hervorgeht, ſo wirkt das erworbene andrerſeits auch auf das ganze geiſtige Leben wieder ein. Es gibt keine einzelne Kennt- niß oder Fähigkeit, kein einzelnes geiſtiges Gut für ſich. Sie ſtehen alle unter einander in lebendigem, ſich gegenſeitig erzeugenden Zuſam- menhang. Bei welchem einzelnen Gute der Menſch auch beginnen mag, immer ergibt ſich für ihn ein geiſtiges inneres Leben, in welchem er die äußere Welt in ſeinem Geiſte in ſich trägt, und das geiſtige Daſein der Dinge, eine unſichtbare Welt der Begriffe und Kräfte entwickelt, vermöge deren er die wirkliche ſich zum Verſtändniß bringt und ſie ſeinen Zwecken unterwerfen kann. Dieſen Zuſtand des Einzelnen nennen wir ſeine Bildung.
Allein ſo wenig es ein für ſich allein beſtehendes einzelnes geiſtiges Gut gibt, ſo wenig iſt auch das geiſtige Leben des Einzelnen etwas für ſich allein beſtehendes. Wie das geiſtige Element ſeinem Weſen nach allgemein iſt, ſo iſt auch das Ergebniß daſſelbe. Es geht ſtets über die Gränze des Einzellebens hinaus. Es theilt ſich von dem Einen
Stein, die Verwaltungslehre. V. 1
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[[1]/0029]
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I.
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Um das weite Gebiet, welches vor uns liegt, klar zu überſehen,
wird es nothwendig, zuerſt die einfachſten Grundbegriffe aufzuſtellen, und
daran erſt die weitere Entwicklung derſelben anzuſchließen.
Die Grundlage aller Bildung iſt das, was wir das geiſtige Gut
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erklären. Das organiſche Weſen des menſchlichen Geiſtes macht es nun
zwar möglich, ein einzelnes geiſtiges Gut, eine einzelne Kenntniß oder
Fähigkeit zu erwerben; aber es iſt unmöglich, bei dieſem Einzelnen ſtehen
zu bleiben. Wie daſſelbe einerſeits aus der Anſtrengung des ganzen
geiſtigen Lebens hervorgeht, ſo wirkt das erworbene andrerſeits auch
auf das ganze geiſtige Leben wieder ein. Es gibt keine einzelne Kennt-
niß oder Fähigkeit, kein einzelnes geiſtiges Gut für ſich. Sie ſtehen
alle unter einander in lebendigem, ſich gegenſeitig erzeugenden Zuſam-
menhang. Bei welchem einzelnen Gute der Menſch auch beginnen mag,
immer ergibt ſich für ihn ein geiſtiges inneres Leben, in welchem er
die äußere Welt in ſeinem Geiſte in ſich trägt, und das geiſtige Daſein
der Dinge, eine unſichtbare Welt der Begriffe und Kräfte entwickelt,
vermöge deren er die wirkliche ſich zum Verſtändniß bringt und ſie ſeinen
Zwecken unterwerfen kann. Dieſen Zuſtand des Einzelnen nennen wir
ſeine Bildung.
Allein ſo wenig es ein für ſich allein beſtehendes einzelnes geiſtiges
Gut gibt, ſo wenig iſt auch das geiſtige Leben des Einzelnen etwas für
ſich allein beſtehendes. Wie das geiſtige Element ſeinem Weſen nach
allgemein iſt, ſo iſt auch das Ergebniß daſſelbe. Es geht ſtets über
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Stein, die Verwaltungslehre. V. 1
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/29>, abgerufen am 22.02.2025.
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