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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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2) Charakter und Recht des Prüfungswesens in diesen Ländern.
a) Princip, System und Recht an sich.

Während auf diese Weise der Charakter des Bildungswesens uns
zeigt, nach welchem leitenden Princip die Verwaltung für die Bildung
zum Berufe thätig ist, zeigt uns das Prüfungswesen, was der Staat
von diesem Bildungsproceß fordert. Es ist das erstere ohne das
letztere nicht füglich ausführbar, das letztere ohne das erstere im
Grunde nicht denkbar. Jedes öffentliche Bildungswesen hat ein Prü-
fungswesen zur Folge; jedes Prüfungswesen hat ein öffentliches Bil-
dungswesen zur Voraussetzung. Allein es folgt ferner, daß auch Gegen-
stand und Umfang beider stets sich gegenseitig bedingen und bestimmen,
und daß in dem Prüfungssystem somit der erste selbständige Ausdruck
des Berufsbildungssystems gegeben ist. Schon deßhalb ist jede Dar-
stellung des Bildungssystems ohne das Prüfungssystem einseitig; allein
das letztere enthält zu gleicher Zeit außer seinem ethischen Princip ein
rechtliches. Das rechtliche Moment enthält das Verhältniß der bestan-
denen Prüfung zur Ausübung des Berufes, und die Forderung einer
Prüfung für die letztere hat daher wiederum die Pflicht des Staats
zur Voraussetzung, einerseits die Mittel der Bildung im Verhältniß zu
der Prüfung darzubieten, andrerseits den Inhalt der Prüfung mit den
Leistungen der Bildungsanstalten in Harmonie zu bringen. Man kann
daher sagen, daß das Prüfungswesen den -- organisirten -- Aus-
druck des Bewußtseins des Staats vom Wesen und Be-
deutung des Berufes
für die Verwaltung im Allgemeinen, und für
jeden einzelnen Stand im Besondern enthält. Und darum bedarf dasselbe
neben dem eigentlichen Bildungswesen einer besonderen Beachtung und
Darstellung, um so mehr als die Wissenschaft bisher stillschweigend über
das so wichtige Gebiet hinweggegangen ist. Das Prüfungswesen hat
aber gerade in Deutschland keineswegs eine bloß formelle Bedeutung.
Es durchdringt nicht etwa bloß das gesammte Berufsbildungswesen auf
allen seinen Punkten, begleitet den Knaben und Jüngling bis zum
Mannesalter in allen Stadien seiner Entwicklung, und ist zugleich für
seine gesammte öffentliche Laufbahn von entscheidender Bedeutung, son-
dern es ist zugleich ein nicht gering anzuschlagender gesellschaftlicher
Faktor; denn es umfaßt jetzt in Deutschland alle Schichten der Gesell-
schaft, drängt sich in jeden Lebenskreis hinein, bringt jedem derselben
seine guten und üblen Folgen mit, und sollte daher eben mit dieser
über die specielle Berufsausübung weit hinausgehenden Einwirkung Gegen-
stand der vollen Aufmerksamkeit sowohl von Seite der Wissenschaft sein,

2) Charakter und Recht des Prüfungsweſens in dieſen Ländern.
a) Princip, Syſtem und Recht an ſich.

Während auf dieſe Weiſe der Charakter des Bildungsweſens uns
zeigt, nach welchem leitenden Princip die Verwaltung für die Bildung
zum Berufe thätig iſt, zeigt uns das Prüfungsweſen, was der Staat
von dieſem Bildungsproceß fordert. Es iſt das erſtere ohne das
letztere nicht füglich ausführbar, das letztere ohne das erſtere im
Grunde nicht denkbar. Jedes öffentliche Bildungsweſen hat ein Prü-
fungsweſen zur Folge; jedes Prüfungsweſen hat ein öffentliches Bil-
dungsweſen zur Vorausſetzung. Allein es folgt ferner, daß auch Gegen-
ſtand und Umfang beider ſtets ſich gegenſeitig bedingen und beſtimmen,
und daß in dem Prüfungsſyſtem ſomit der erſte ſelbſtändige Ausdruck
des Berufsbildungsſyſtems gegeben iſt. Schon deßhalb iſt jede Dar-
ſtellung des Bildungsſyſtems ohne das Prüfungsſyſtem einſeitig; allein
das letztere enthält zu gleicher Zeit außer ſeinem ethiſchen Princip ein
rechtliches. Das rechtliche Moment enthält das Verhältniß der beſtan-
denen Prüfung zur Ausübung des Berufes, und die Forderung einer
Prüfung für die letztere hat daher wiederum die Pflicht des Staats
zur Vorausſetzung, einerſeits die Mittel der Bildung im Verhältniß zu
der Prüfung darzubieten, andrerſeits den Inhalt der Prüfung mit den
Leiſtungen der Bildungsanſtalten in Harmonie zu bringen. Man kann
daher ſagen, daß das Prüfungsweſen den — organiſirten — Aus-
druck des Bewußtſeins des Staats vom Weſen und Be-
deutung des Berufes
für die Verwaltung im Allgemeinen, und für
jeden einzelnen Stand im Beſondern enthält. Und darum bedarf daſſelbe
neben dem eigentlichen Bildungsweſen einer beſonderen Beachtung und
Darſtellung, um ſo mehr als die Wiſſenſchaft bisher ſtillſchweigend über
das ſo wichtige Gebiet hinweggegangen iſt. Das Prüfungsweſen hat
aber gerade in Deutſchland keineswegs eine bloß formelle Bedeutung.
Es durchdringt nicht etwa bloß das geſammte Berufsbildungsweſen auf
allen ſeinen Punkten, begleitet den Knaben und Jüngling bis zum
Mannesalter in allen Stadien ſeiner Entwicklung, und iſt zugleich für
ſeine geſammte öffentliche Laufbahn von entſcheidender Bedeutung, ſon-
dern es iſt zugleich ein nicht gering anzuſchlagender geſellſchaftlicher
Faktor; denn es umfaßt jetzt in Deutſchland alle Schichten der Geſell-
ſchaft, drängt ſich in jeden Lebenskreis hinein, bringt jedem derſelben
ſeine guten und üblen Folgen mit, und ſollte daher eben mit dieſer
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ſtand der vollen Aufmerkſamkeit ſowohl von Seite der Wiſſenſchaft ſein,

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[170/0198] 2) Charakter und Recht des Prüfungsweſens in dieſen Ländern. a) Princip, Syſtem und Recht an ſich. Während auf dieſe Weiſe der Charakter des Bildungsweſens uns zeigt, nach welchem leitenden Princip die Verwaltung für die Bildung zum Berufe thätig iſt, zeigt uns das Prüfungsweſen, was der Staat von dieſem Bildungsproceß fordert. Es iſt das erſtere ohne das letztere nicht füglich ausführbar, das letztere ohne das erſtere im Grunde nicht denkbar. Jedes öffentliche Bildungsweſen hat ein Prü- fungsweſen zur Folge; jedes Prüfungsweſen hat ein öffentliches Bil- dungsweſen zur Vorausſetzung. Allein es folgt ferner, daß auch Gegen- ſtand und Umfang beider ſtets ſich gegenſeitig bedingen und beſtimmen, und daß in dem Prüfungsſyſtem ſomit der erſte ſelbſtändige Ausdruck des Berufsbildungsſyſtems gegeben iſt. Schon deßhalb iſt jede Dar- ſtellung des Bildungsſyſtems ohne das Prüfungsſyſtem einſeitig; allein das letztere enthält zu gleicher Zeit außer ſeinem ethiſchen Princip ein rechtliches. Das rechtliche Moment enthält das Verhältniß der beſtan- denen Prüfung zur Ausübung des Berufes, und die Forderung einer Prüfung für die letztere hat daher wiederum die Pflicht des Staats zur Vorausſetzung, einerſeits die Mittel der Bildung im Verhältniß zu der Prüfung darzubieten, andrerſeits den Inhalt der Prüfung mit den Leiſtungen der Bildungsanſtalten in Harmonie zu bringen. Man kann daher ſagen, daß das Prüfungsweſen den — organiſirten — Aus- druck des Bewußtſeins des Staats vom Weſen und Be- deutung des Berufes für die Verwaltung im Allgemeinen, und für jeden einzelnen Stand im Beſondern enthält. Und darum bedarf daſſelbe neben dem eigentlichen Bildungsweſen einer beſonderen Beachtung und Darſtellung, um ſo mehr als die Wiſſenſchaft bisher ſtillſchweigend über das ſo wichtige Gebiet hinweggegangen iſt. Das Prüfungsweſen hat aber gerade in Deutſchland keineswegs eine bloß formelle Bedeutung. Es durchdringt nicht etwa bloß das geſammte Berufsbildungsweſen auf allen ſeinen Punkten, begleitet den Knaben und Jüngling bis zum Mannesalter in allen Stadien ſeiner Entwicklung, und iſt zugleich für ſeine geſammte öffentliche Laufbahn von entſcheidender Bedeutung, ſon- dern es iſt zugleich ein nicht gering anzuſchlagender geſellſchaftlicher Faktor; denn es umfaßt jetzt in Deutſchland alle Schichten der Geſell- ſchaft, drängt ſich in jeden Lebenskreis hinein, bringt jedem derſelben ſeine guten und üblen Folgen mit, und ſollte daher eben mit dieſer über die ſpecielle Berufsausübung weit hinausgehenden Einwirkung Gegen- ſtand der vollen Aufmerkſamkeit ſowohl von Seite der Wiſſenſchaft ſein,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/198>, abgerufen am 21.11.2024.