Volkszählung zu ersetzen. Die Schätzungen hören daher mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts auf; die Wissenschaft, an dem Werthe der- selben verzweifelnd, wirft sich mit aller Macht auf die Fragen der Bevölkerungspolitik, und es ist entschieden, daß die Volkszählungen nur noch, wenn auch unter Mitwirkung der Wissenschaft, durch die Verwal- tung als administrative gemacht werden können.
5) Die Geschichte der eigentlichen Volkszählungen. Justi als der erste Theoretiker der Volkszählung.
So entsteht die zweite Epoche, die Epoche der eigentlichen Volks- zählungen, deren genauere Geschichte noch zu schreiben ist. Unsere Auf- gabe geht nicht weiter als bis zur Bezeichnung des allgemeinen Ganges, den diese Zeit bis zur Gegenwart zeigt, und zwar zunächst in den drei großen Culturvölkern.
Der theoretische Gedanke einer eigentlichen Volkszählung durch die Verwaltung ist weder im Princip noch in der Form neu. Im Gegen- theil dürfen wir auch hier wieder auf einen Deutschen hinweisen, der unseres Wissens das erste System der eigentlichen Volkszählung auf- gestellt hat, und dessen man in seiner damaligen Isolirung ganz ver- gessen hat. Das ist Justi, der bedeutendste Verwaltungslehrer des vorigen Jahrhunderts. Justi weiß schon recht gut, daß die Schätzungen nicht genügen (§. 235. 237). Er will statt derselben eine förmliche administrative Volkszählung; er steht sogar schon damals fast ganz auf dem gegenwärtigen Standpunkte. Nach ihm soll "die Regierung alle drei Jahre wenigstens (!) eine gemeinsame Zählung des gesammten Volkes im Lande veranstalten" -- sie "muß öfters wissen, wie viel von diesem oder jenem Stande, Lebensart und Handthierung im Lande befindlich sind, wenn sie anders in ihren Entschließungen und Maßregeln gründlich und weislich verfahren will"; die Zäh- lung selbst "geschieht am besten in Städten durch die Polizeibedienten und auf dem Lande durch Unterobrigkeiten"; denn "wenn die Regierung einmal die Zählung des Volkes unternehmen läßt, so muß sie die Sache so einrichten, daß sie alle Kenntniß daraus erlangen kann, die sie zu den verschiedenen Maßregeln und Anstalten zur Wohlfahrt des Staats nöthig hat. Unseres Wissens ist seit 1761 etwas Besseres über die Zählung der Regierung nicht gesagt; es ist der einfachste und klarste Ausdruck des wicktigen Princips der administrativen Zählung, den man finden kann. Demgemäß fügt Justi zugleich vier ausführliche Tabellen- entwürfe bei, und es ist der Mühe werth, dieselben mit den gegen- wärtig geltenden zu vergleichen. Die vierte Tabelle namentlich ist nicht
Volkszählung zu erſetzen. Die Schätzungen hören daher mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts auf; die Wiſſenſchaft, an dem Werthe der- ſelben verzweifelnd, wirft ſich mit aller Macht auf die Fragen der Bevölkerungspolitik, und es iſt entſchieden, daß die Volkszählungen nur noch, wenn auch unter Mitwirkung der Wiſſenſchaft, durch die Verwal- tung als adminiſtrative gemacht werden können.
5) Die Geſchichte der eigentlichen Volkszählungen. Juſti als der erſte Theoretiker der Volkszählung.
So entſteht die zweite Epoche, die Epoche der eigentlichen Volks- zählungen, deren genauere Geſchichte noch zu ſchreiben iſt. Unſere Auf- gabe geht nicht weiter als bis zur Bezeichnung des allgemeinen Ganges, den dieſe Zeit bis zur Gegenwart zeigt, und zwar zunächſt in den drei großen Culturvölkern.
Der theoretiſche Gedanke einer eigentlichen Volkszählung durch die Verwaltung iſt weder im Princip noch in der Form neu. Im Gegen- theil dürfen wir auch hier wieder auf einen Deutſchen hinweiſen, der unſeres Wiſſens das erſte Syſtem der eigentlichen Volkszählung auf- geſtellt hat, und deſſen man in ſeiner damaligen Iſolirung ganz ver- geſſen hat. Das iſt Juſti, der bedeutendſte Verwaltungslehrer des vorigen Jahrhunderts. Juſti weiß ſchon recht gut, daß die Schätzungen nicht genügen (§. 235. 237). Er will ſtatt derſelben eine förmliche adminiſtrative Volkszählung; er ſteht ſogar ſchon damals faſt ganz auf dem gegenwärtigen Standpunkte. Nach ihm ſoll „die Regierung alle drei Jahre wenigſtens (!) eine gemeinſame Zählung des geſammten Volkes im Lande veranſtalten“ — ſie „muß öfters wiſſen, wie viel von dieſem oder jenem Stande, Lebensart und Handthierung im Lande befindlich ſind, wenn ſie anders in ihren Entſchließungen und Maßregeln gründlich und weislich verfahren will“; die Zäh- lung ſelbſt „geſchieht am beſten in Städten durch die Polizeibedienten und auf dem Lande durch Unterobrigkeiten“; denn „wenn die Regierung einmal die Zählung des Volkes unternehmen läßt, ſo muß ſie die Sache ſo einrichten, daß ſie alle Kenntniß daraus erlangen kann, die ſie zu den verſchiedenen Maßregeln und Anſtalten zur Wohlfahrt des Staats nöthig hat. Unſeres Wiſſens iſt ſeit 1761 etwas Beſſeres über die Zählung der Regierung nicht geſagt; es iſt der einfachſte und klarſte Ausdruck des wicktigen Princips der adminiſtrativen Zählung, den man finden kann. Demgemäß fügt Juſti zugleich vier ausführliche Tabellen- entwürfe bei, und es iſt der Mühe werth, dieſelben mit den gegen- wärtig geltenden zu vergleichen. Die vierte Tabelle namentlich iſt nicht
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Volkszählung zu erſetzen. Die Schätzungen hören daher mit dem Ende
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ſelben verzweifelnd, wirft ſich mit aller Macht auf die Fragen der
Bevölkerungspolitik, und es iſt entſchieden, daß die Volkszählungen nur
noch, wenn auch unter Mitwirkung der Wiſſenſchaft, durch die Verwal-
tung als adminiſtrative gemacht werden können.
5) Die Geſchichte der eigentlichen Volkszählungen. Juſti
als der erſte Theoretiker der Volkszählung.
So entſteht die zweite Epoche, die Epoche der eigentlichen Volks-
zählungen, deren genauere Geſchichte noch zu ſchreiben iſt. Unſere Auf-
gabe geht nicht weiter als bis zur Bezeichnung des allgemeinen Ganges,
den dieſe Zeit bis zur Gegenwart zeigt, und zwar zunächſt in den drei
großen Culturvölkern.
Der theoretiſche Gedanke einer eigentlichen Volkszählung durch die
Verwaltung iſt weder im Princip noch in der Form neu. Im Gegen-
theil dürfen wir auch hier wieder auf einen Deutſchen hinweiſen, der
unſeres Wiſſens das erſte Syſtem der eigentlichen Volkszählung auf-
geſtellt hat, und deſſen man in ſeiner damaligen Iſolirung ganz ver-
geſſen hat. Das iſt Juſti, der bedeutendſte Verwaltungslehrer des
vorigen Jahrhunderts. Juſti weiß ſchon recht gut, daß die Schätzungen
nicht genügen (§. 235. 237). Er will ſtatt derſelben eine förmliche
adminiſtrative Volkszählung; er ſteht ſogar ſchon damals faſt ganz auf
dem gegenwärtigen Standpunkte. Nach ihm ſoll „die Regierung alle
drei Jahre wenigſtens (!) eine gemeinſame Zählung des geſammten
Volkes im Lande veranſtalten“ — ſie „muß öfters wiſſen, wie viel von
dieſem oder jenem Stande, Lebensart und Handthierung im
Lande befindlich ſind, wenn ſie anders in ihren Entſchließungen
und Maßregeln gründlich und weislich verfahren will“; die Zäh-
lung ſelbſt „geſchieht am beſten in Städten durch die Polizeibedienten
und auf dem Lande durch Unterobrigkeiten“; denn „wenn die Regierung
einmal die Zählung des Volkes unternehmen läßt, ſo muß ſie die
Sache ſo einrichten, daß ſie alle Kenntniß daraus erlangen kann, die
ſie zu den verſchiedenen Maßregeln und Anſtalten zur Wohlfahrt des
Staats nöthig hat. Unſeres Wiſſens iſt ſeit 1761 etwas Beſſeres über
die Zählung der Regierung nicht geſagt; es iſt der einfachſte und klarſte
Ausdruck des wicktigen Princips der adminiſtrativen Zählung, den man
finden kann. Demgemäß fügt Juſti zugleich vier ausführliche Tabellen-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/242>, abgerufen am 21.02.2025.
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