IV. Das Auswanderungswesen der polizeilichen Epoche.
(Wesen des populationistischen Auswanderungsrechts. Das Detractsrecht wird zum Regal und verschwindet. Grundlage und Entstehung der Auswanderungs- verbote. Inhalt und Gestaltung derselben. Die äußere Colonisation.)
Das Auswanderungswesen der polizeilichen Epoche hat eben so wenig wie das Einwanderungswesen einen äußerlich bestimmten Anfang; wohl aber hat es ein innerlich bestimmtes Princip; und dieß ergibt sich aus den früheren Darstellungen fast von selbst und erzeugt bei der Aus- wanderung wie bei der Einwanderung ein doppeltes, scheinbar sich wider- sprechendes System, das der Verhinderung und das der Förderung der Auswanderung.
So wie nämlich mit dem Anfange des vorigen Jahrhunderts die Regierungen zu der Vorstellung gelangen, die durch die Theorie der jungen Staatswissenschaft und durch die Thatsache der stehenden Heere auf das Lebhafteste unterstützt wird, daß die Glückseligkeit und Macht der Staaten in geradem Verhältniß zu der Dichtigkeit der Bevölkerung stehe, so tritt der Wunsch auf, die Auswanderung zu verhindern. Diese Verhinderung der Auswanderung schlägt nur da in ihr Gegentheil um, wo man eine Machtvermehrung durch Anlage von überseeischen Colonien hofft; und hier erscheint daher die Beförderung der Aus- wanderung in dem Versuche, äußere Colonien anzulegen. Beide Bestre- bungen haben daher eine gemeinsame Tendenz; wir bezeichnen die aus der letztern hervorgehenden Bestimmungen am besten als das popula- tionistische Auswanderungsrecht. Dasselbe hat seine eigene historische Entwicklung.
1) Die populationistischen Auswanderungsverbote beginnen bereits mit der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts; aber sie scheiden sich in zwei auch der Zeit nach verschiedene Gruppen.
"Es war," sagt Berg (Polizeirecht III. Bd. S. 56), "nach dem siebenjährigen Kriege, als die Begierde, nach Preußen, Polen, Ruß- land, Ungarn und Amerika auszuwandern, einen großen Theil der teutschen Einwohner gleich einer Seuche ergriff, Wohlhabende und Arme mit gleicher Gewalt fortriß und die Bemühungen zahlreicher Emissarien mit dem glücklichsten Erfolge lohnte. Unter diesen Umständen forderte der Kaiser die Reichsstände durch ein allgemeines Edikt auf, Niemanden außer Reiches Gränzen die Auswanderung zu verstatten -- die Emis- sarien auszukundschaften, anzuhalten und mit schwerer Strafe zu bele- gen." Das scheint der Anfang der förmlichen gesetzlichen Auswanderungs- verbote; genauer hat Moser (Reichsstaatshandbuch II. S. 121 und
IV. Das Auswanderungsweſen der polizeilichen Epoche.
(Weſen des populationiſtiſchen Auswanderungsrechts. Das Detractsrecht wird zum Regal und verſchwindet. Grundlage und Entſtehung der Auswanderungs- verbote. Inhalt und Geſtaltung derſelben. Die äußere Coloniſation.)
Das Auswanderungsweſen der polizeilichen Epoche hat eben ſo wenig wie das Einwanderungsweſen einen äußerlich beſtimmten Anfang; wohl aber hat es ein innerlich beſtimmtes Princip; und dieß ergibt ſich aus den früheren Darſtellungen faſt von ſelbſt und erzeugt bei der Aus- wanderung wie bei der Einwanderung ein doppeltes, ſcheinbar ſich wider- ſprechendes Syſtem, das der Verhinderung und das der Förderung der Auswanderung.
So wie nämlich mit dem Anfange des vorigen Jahrhunderts die Regierungen zu der Vorſtellung gelangen, die durch die Theorie der jungen Staatswiſſenſchaft und durch die Thatſache der ſtehenden Heere auf das Lebhafteſte unterſtützt wird, daß die Glückſeligkeit und Macht der Staaten in geradem Verhältniß zu der Dichtigkeit der Bevölkerung ſtehe, ſo tritt der Wunſch auf, die Auswanderung zu verhindern. Dieſe Verhinderung der Auswanderung ſchlägt nur da in ihr Gegentheil um, wo man eine Machtvermehrung durch Anlage von überſeeiſchen Colonien hofft; und hier erſcheint daher die Beförderung der Aus- wanderung in dem Verſuche, äußere Colonien anzulegen. Beide Beſtre- bungen haben daher eine gemeinſame Tendenz; wir bezeichnen die aus der letztern hervorgehenden Beſtimmungen am beſten als das popula- tioniſtiſche Auswanderungsrecht. Daſſelbe hat ſeine eigene hiſtoriſche Entwicklung.
1) Die populationiſtiſchen Auswanderungsverbote beginnen bereits mit der erſten Hälfte des vorigen Jahrhunderts; aber ſie ſcheiden ſich in zwei auch der Zeit nach verſchiedene Gruppen.
„Es war,“ ſagt Berg (Polizeirecht III. Bd. S. 56), „nach dem ſiebenjährigen Kriege, als die Begierde, nach Preußen, Polen, Ruß- land, Ungarn und Amerika auszuwandern, einen großen Theil der teutſchen Einwohner gleich einer Seuche ergriff, Wohlhabende und Arme mit gleicher Gewalt fortriß und die Bemühungen zahlreicher Emiſſarien mit dem glücklichſten Erfolge lohnte. Unter dieſen Umſtänden forderte der Kaiſer die Reichsſtände durch ein allgemeines Edikt auf, Niemanden außer Reiches Gränzen die Auswanderung zu verſtatten — die Emiſ- ſarien auszukundſchaften, anzuhalten und mit ſchwerer Strafe zu bele- gen.“ Das ſcheint der Anfang der förmlichen geſetzlichen Auswanderungs- verbote; genauer hat Moſer (Reichsſtaatshandbuch II. S. 121 und
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IV. Das Auswanderungsweſen der polizeilichen Epoche.
(Weſen des populationiſtiſchen Auswanderungsrechts. Das Detractsrecht wird
zum Regal und verſchwindet. Grundlage und Entſtehung der Auswanderungs-
verbote. Inhalt und Geſtaltung derſelben. Die äußere Coloniſation.)
Das Auswanderungsweſen der polizeilichen Epoche hat eben ſo
wenig wie das Einwanderungsweſen einen äußerlich beſtimmten Anfang;
wohl aber hat es ein innerlich beſtimmtes Princip; und dieß ergibt ſich
aus den früheren Darſtellungen faſt von ſelbſt und erzeugt bei der Aus-
wanderung wie bei der Einwanderung ein doppeltes, ſcheinbar ſich wider-
ſprechendes Syſtem, das der Verhinderung und das der Förderung
der Auswanderung.
So wie nämlich mit dem Anfange des vorigen Jahrhunderts die
Regierungen zu der Vorſtellung gelangen, die durch die Theorie der
jungen Staatswiſſenſchaft und durch die Thatſache der ſtehenden Heere
auf das Lebhafteſte unterſtützt wird, daß die Glückſeligkeit und Macht
der Staaten in geradem Verhältniß zu der Dichtigkeit der Bevölkerung
ſtehe, ſo tritt der Wunſch auf, die Auswanderung zu verhindern.
Dieſe Verhinderung der Auswanderung ſchlägt nur da in ihr Gegentheil
um, wo man eine Machtvermehrung durch Anlage von überſeeiſchen
Colonien hofft; und hier erſcheint daher die Beförderung der Aus-
wanderung in dem Verſuche, äußere Colonien anzulegen. Beide Beſtre-
bungen haben daher eine gemeinſame Tendenz; wir bezeichnen die aus
der letztern hervorgehenden Beſtimmungen am beſten als das popula-
tioniſtiſche Auswanderungsrecht. Daſſelbe hat ſeine eigene
hiſtoriſche Entwicklung.
1) Die populationiſtiſchen Auswanderungsverbote beginnen
bereits mit der erſten Hälfte des vorigen Jahrhunderts; aber ſie ſcheiden
ſich in zwei auch der Zeit nach verſchiedene Gruppen.
„Es war,“ ſagt Berg (Polizeirecht III. Bd. S. 56), „nach dem
ſiebenjährigen Kriege, als die Begierde, nach Preußen, Polen, Ruß-
land, Ungarn und Amerika auszuwandern, einen großen Theil der
teutſchen Einwohner gleich einer Seuche ergriff, Wohlhabende und Arme
mit gleicher Gewalt fortriß und die Bemühungen zahlreicher Emiſſarien
mit dem glücklichſten Erfolge lohnte. Unter dieſen Umſtänden forderte
der Kaiſer die Reichsſtände durch ein allgemeines Edikt auf, Niemanden
außer Reiches Gränzen die Auswanderung zu verſtatten — die Emiſ-
ſarien auszukundſchaften, anzuhalten und mit ſchwerer Strafe zu bele-
gen.“ Das ſcheint der Anfang der förmlichen geſetzlichen Auswanderungs-
verbote; genauer hat Moſer (Reichsſtaatshandbuch II. S. 121 und
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/216>, abgerufen am 21.02.2025.
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