Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Und das System des öffentlichen Eherechts ist daher die Bestimmung
der rechtlichen Gränze, innerhalb deren diese Abhängigkeit der Ehe von
der Gemeinschaft vermöge ihrer Verpflichtungen zur Geltung gelangt.

1) Die Freiheit der Ehe.

Die Freiheit der Ehe in der staatsbürgerlichen Gesellschaft enthält
den ersten Grundsatz, daß es in derselben keine Verpflichtung zur
Eingehung
mehr gibt; und zwar hat weder die Familie noch das
Geschlecht das Recht, die Eingehung der Ehe von ihren Mitgliedern zu
fordern. Die natürliche Consequenz ist, daß die Ehelosigkeit eben so
frei ist. Die Rechtsordnung der Geschlechtsordnung ist auf diesen Punk-
ten durch die staatsbürgerliche Gesellschaft aufgehoben.

Der zweite Grundsatz ist der, daß die Ehe weder durch den
Stand, noch durch den Besitz bedingt erscheint, sondern als höchste
Einheit des individuellen Lebens durch den freien Willen der Gatten
ein gemeinsames und für beide gleiches gesellschaftliches Verhältniß be-
gründet. Die Idee der Freiheit hat sogar das confessionelle Recht über-
wunden und die Ehe zwischen Mitgliedern verschiedener Religionsbekennt-
nisse wenigstens in einem großen Theile Europas freigegeben. Das
große Mittel zur Erreichung dieses Zweckes ist die bürgerliche Ehe,
die zwar keine kirchliche, wohl aber eine rechtliche und sittliche Ehe
gründet. Doch ist bekannt, daß dieser Theil der Freiheit der Ehe noch
keineswegs entschieden ist, obwohl an dem Siege derselben nicht gezweifelt
werden kann. Auf diesen Punkten ist die ständische Rechtsordnung durch
die staatsbürgerliche Ehe überwunden.

Der dritte Grundsatz ist, daß die Ehe kein Mittel für die Zwecke
der Verwaltung, sondern ein rein persönliches Verhältniß sein soll.
Das Eherecht hat daher, um es mit Einem Worte zu sagen, seinen
populationistischen Inhalt verloren. Es gibt keine Ehe- und
Kinderprämien mehr für die Ehe als solche; es gibt auch keine gesund-
heitspolizeilichen Verbote mehr. Die Epoche des polizeilichen Eherechts
ist nach diesen Seiten hin durch die neue Gesellschaft beendigt.

Das sind die Grundsätze, welche die Freiheit der Ehe bilden.
Sie sind insgesammt nichts als die Anerkennung der freien Selbst-
bestimmung als Grundlage der Ehe. Neben ihnen stehen dagegen die
folgenden Grundsätze.

2) Die Principien des öffentlichen Rechts der Ehe.

Das öffentliche Eherecht der staatsbürgerlichen Gesellschaft enthält
die Gesammtheit derjenigen Grundsätze, welche die Eingehung der Ehe

Und das Syſtem des öffentlichen Eherechts iſt daher die Beſtimmung
der rechtlichen Gränze, innerhalb deren dieſe Abhängigkeit der Ehe von
der Gemeinſchaft vermöge ihrer Verpflichtungen zur Geltung gelangt.

1) Die Freiheit der Ehe.

Die Freiheit der Ehe in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft enthält
den erſten Grundſatz, daß es in derſelben keine Verpflichtung zur
Eingehung
mehr gibt; und zwar hat weder die Familie noch das
Geſchlecht das Recht, die Eingehung der Ehe von ihren Mitgliedern zu
fordern. Die natürliche Conſequenz iſt, daß die Eheloſigkeit eben ſo
frei iſt. Die Rechtsordnung der Geſchlechtsordnung iſt auf dieſen Punk-
ten durch die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft aufgehoben.

Der zweite Grundſatz iſt der, daß die Ehe weder durch den
Stand, noch durch den Beſitz bedingt erſcheint, ſondern als höchſte
Einheit des individuellen Lebens durch den freien Willen der Gatten
ein gemeinſames und für beide gleiches geſellſchaftliches Verhältniß be-
gründet. Die Idee der Freiheit hat ſogar das confeſſionelle Recht über-
wunden und die Ehe zwiſchen Mitgliedern verſchiedener Religionsbekennt-
niſſe wenigſtens in einem großen Theile Europas freigegeben. Das
große Mittel zur Erreichung dieſes Zweckes iſt die bürgerliche Ehe,
die zwar keine kirchliche, wohl aber eine rechtliche und ſittliche Ehe
gründet. Doch iſt bekannt, daß dieſer Theil der Freiheit der Ehe noch
keineswegs entſchieden iſt, obwohl an dem Siege derſelben nicht gezweifelt
werden kann. Auf dieſen Punkten iſt die ſtändiſche Rechtsordnung durch
die ſtaatsbürgerliche Ehe überwunden.

Der dritte Grundſatz iſt, daß die Ehe kein Mittel für die Zwecke
der Verwaltung, ſondern ein rein perſönliches Verhältniß ſein ſoll.
Das Eherecht hat daher, um es mit Einem Worte zu ſagen, ſeinen
populationiſtiſchen Inhalt verloren. Es gibt keine Ehe- und
Kinderprämien mehr für die Ehe als ſolche; es gibt auch keine geſund-
heitspolizeilichen Verbote mehr. Die Epoche des polizeilichen Eherechts
iſt nach dieſen Seiten hin durch die neue Geſellſchaft beendigt.

Das ſind die Grundſätze, welche die Freiheit der Ehe bilden.
Sie ſind insgeſammt nichts als die Anerkennung der freien Selbſt-
beſtimmung als Grundlage der Ehe. Neben ihnen ſtehen dagegen die
folgenden Grundſätze.

2) Die Principien des öffentlichen Rechts der Ehe.

Das öffentliche Eherecht der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft enthält
die Geſammtheit derjenigen Grundſätze, welche die Eingehung der Ehe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0179" n="157"/>
Und das Sy&#x017F;tem des öffentlichen Eherechts i&#x017F;t daher die Be&#x017F;timmung<lb/>
der rechtlichen Gränze, innerhalb deren die&#x017F;e Abhängigkeit der Ehe von<lb/>
der Gemein&#x017F;chaft vermöge ihrer Verpflichtungen zur Geltung gelangt.</p><lb/>
                  <div n="7">
                    <head>1) <hi rendition="#g">Die Freiheit der Ehe</hi>.</head><lb/>
                    <p>Die Freiheit der Ehe in der &#x017F;taatsbürgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft enthält<lb/>
den er&#x017F;ten Grund&#x017F;atz, daß es in der&#x017F;elben <hi rendition="#g">keine Verpflichtung zur<lb/>
Eingehung</hi> mehr gibt; und zwar hat weder die Familie noch das<lb/>
Ge&#x017F;chlecht das Recht, die Eingehung der Ehe von ihren Mitgliedern zu<lb/><hi rendition="#g">fordern</hi>. Die natürliche Con&#x017F;equenz i&#x017F;t, daß die Ehelo&#x017F;igkeit eben &#x017F;o<lb/>
frei i&#x017F;t. Die Rechtsordnung der Ge&#x017F;chlechtsordnung i&#x017F;t auf die&#x017F;en Punk-<lb/>
ten durch die &#x017F;taatsbürgerliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft aufgehoben.</p><lb/>
                    <p>Der <hi rendition="#g">zweite</hi> Grund&#x017F;atz i&#x017F;t der, daß die Ehe weder durch den<lb/><hi rendition="#g">Stand</hi>, noch durch den <hi rendition="#g">Be&#x017F;itz</hi> bedingt er&#x017F;cheint, &#x017F;ondern als höch&#x017F;te<lb/>
Einheit des individuellen Lebens durch den freien Willen der Gatten<lb/>
ein gemein&#x017F;ames und für beide gleiches ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliches Verhältniß be-<lb/>
gründet. Die Idee der Freiheit hat &#x017F;ogar das confe&#x017F;&#x017F;ionelle Recht über-<lb/>
wunden und die Ehe zwi&#x017F;chen Mitgliedern ver&#x017F;chiedener Religionsbekennt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e wenig&#x017F;tens in einem großen Theile Europas freigegeben. Das<lb/>
große Mittel zur Erreichung die&#x017F;es Zweckes i&#x017F;t die <hi rendition="#g">bürgerliche Ehe</hi>,<lb/>
die zwar keine kirchliche, wohl aber eine rechtliche und &#x017F;ittliche Ehe<lb/>
gründet. Doch i&#x017F;t bekannt, daß die&#x017F;er Theil der Freiheit der Ehe noch<lb/>
keineswegs ent&#x017F;chieden i&#x017F;t, obwohl an dem Siege der&#x017F;elben nicht gezweifelt<lb/>
werden kann. Auf die&#x017F;en Punkten i&#x017F;t die &#x017F;tändi&#x017F;che Rechtsordnung durch<lb/>
die &#x017F;taatsbürgerliche Ehe überwunden.</p><lb/>
                    <p>Der <hi rendition="#g">dritte</hi> Grund&#x017F;atz i&#x017F;t, daß die Ehe kein Mittel für die Zwecke<lb/>
der Verwaltung, &#x017F;ondern ein rein per&#x017F;önliches Verhältniß &#x017F;ein &#x017F;oll.<lb/>
Das Eherecht hat daher, um es mit Einem Worte zu &#x017F;agen, &#x017F;einen<lb/><hi rendition="#g">populationi&#x017F;ti&#x017F;chen Inhalt</hi> verloren. Es gibt keine Ehe- und<lb/>
Kinderprämien mehr für die Ehe als &#x017F;olche; es gibt auch keine ge&#x017F;und-<lb/>
heitspolizeilichen Verbote mehr. Die Epoche des polizeilichen Eherechts<lb/>
i&#x017F;t nach die&#x017F;en Seiten hin durch die neue Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft beendigt.</p><lb/>
                    <p>Das &#x017F;ind die Grund&#x017F;ätze, welche die <hi rendition="#g">Freiheit</hi> der Ehe bilden.<lb/>
Sie &#x017F;ind insge&#x017F;ammt nichts als die Anerkennung der freien Selb&#x017F;t-<lb/>
be&#x017F;timmung als Grundlage der Ehe. <hi rendition="#g">Neben</hi> ihnen &#x017F;tehen dagegen die<lb/>
folgenden Grund&#x017F;ätze.</p>
                  </div><lb/>
                  <div n="7">
                    <head>2) <hi rendition="#g">Die Principien des öffentlichen Rechts der Ehe</hi>.</head><lb/>
                    <p>Das öffentliche Eherecht der &#x017F;taatsbürgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft enthält<lb/>
die Ge&#x017F;ammtheit derjenigen Grund&#x017F;ätze, welche die Eingehung der Ehe<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0179] Und das Syſtem des öffentlichen Eherechts iſt daher die Beſtimmung der rechtlichen Gränze, innerhalb deren dieſe Abhängigkeit der Ehe von der Gemeinſchaft vermöge ihrer Verpflichtungen zur Geltung gelangt. 1) Die Freiheit der Ehe. Die Freiheit der Ehe in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft enthält den erſten Grundſatz, daß es in derſelben keine Verpflichtung zur Eingehung mehr gibt; und zwar hat weder die Familie noch das Geſchlecht das Recht, die Eingehung der Ehe von ihren Mitgliedern zu fordern. Die natürliche Conſequenz iſt, daß die Eheloſigkeit eben ſo frei iſt. Die Rechtsordnung der Geſchlechtsordnung iſt auf dieſen Punk- ten durch die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft aufgehoben. Der zweite Grundſatz iſt der, daß die Ehe weder durch den Stand, noch durch den Beſitz bedingt erſcheint, ſondern als höchſte Einheit des individuellen Lebens durch den freien Willen der Gatten ein gemeinſames und für beide gleiches geſellſchaftliches Verhältniß be- gründet. Die Idee der Freiheit hat ſogar das confeſſionelle Recht über- wunden und die Ehe zwiſchen Mitgliedern verſchiedener Religionsbekennt- niſſe wenigſtens in einem großen Theile Europas freigegeben. Das große Mittel zur Erreichung dieſes Zweckes iſt die bürgerliche Ehe, die zwar keine kirchliche, wohl aber eine rechtliche und ſittliche Ehe gründet. Doch iſt bekannt, daß dieſer Theil der Freiheit der Ehe noch keineswegs entſchieden iſt, obwohl an dem Siege derſelben nicht gezweifelt werden kann. Auf dieſen Punkten iſt die ſtändiſche Rechtsordnung durch die ſtaatsbürgerliche Ehe überwunden. Der dritte Grundſatz iſt, daß die Ehe kein Mittel für die Zwecke der Verwaltung, ſondern ein rein perſönliches Verhältniß ſein ſoll. Das Eherecht hat daher, um es mit Einem Worte zu ſagen, ſeinen populationiſtiſchen Inhalt verloren. Es gibt keine Ehe- und Kinderprämien mehr für die Ehe als ſolche; es gibt auch keine geſund- heitspolizeilichen Verbote mehr. Die Epoche des polizeilichen Eherechts iſt nach dieſen Seiten hin durch die neue Geſellſchaft beendigt. Das ſind die Grundſätze, welche die Freiheit der Ehe bilden. Sie ſind insgeſammt nichts als die Anerkennung der freien Selbſt- beſtimmung als Grundlage der Ehe. Neben ihnen ſtehen dagegen die folgenden Grundſätze. 2) Die Principien des öffentlichen Rechts der Ehe. Das öffentliche Eherecht der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft enthält die Geſammtheit derjenigen Grundſätze, welche die Eingehung der Ehe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/179
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/179>, abgerufen am 22.12.2024.