wissenschaft (I. Seite 112) wieder aufnimmt, dem selbst Gerstner folgt (Bevölkerungslehre, S. 180). Wir müssen das Ganze als einen über- wundenen Standpunkt ansehen. -- Anders ist es mit dem Folgenden.
2) Die Ehebeschränkungen des vorigen und des gegen- wärtigen Jahrhunderts in Deutschland.
Gleichzeitig mit dem Verwaltungssystem der Ehebeförderung entsteht nun, und zwar so weit wir sehen namentlich in Deutschland, ein System der Ehebeschränkungen, das in hohem Grade, wie schon oben angedeutet, für die ganze öffentliche Entwicklung bezeichnend ist.
Das, was Geschichte und Wissenschaft hier zu erklären haben, liegt in der Frage, wie das an sich Freie, die Ehe, von der öffentlichen Gewalt auch ohne Rücksicht auf die Geschlechterordnung und die stän- dischen Ordnungen und Verhältnisse, rein aus dem Gesichtspunkte der staatsbürgerlichen Verwaltung, einer Reihe von Beschränkungen hat unterworfen werden können, die zum großen Theil in Deutschland noch gegenwärtig fortbestehen. Um diese Frage nicht bloß materiell, sondern ihrem innern Entwicklungsgange nach beantworten zu können, muß man allerdings festhalten, daß die Consequenzen der Ehe nicht bloß die Eheleute, sondern bis zu einem gewissen Grade die Gesammtheit betreffen. Diese Gesammtheit aber ist einerseits der ganze Staat, und andererseits ist sie die einzelne Gemeinde, der die Eheleute und mit ihr die Kinder angehören. Es ist daher natürlich, daß sich daraus ein doppeltes Recht jener Ehebeschränkung gebildet hat; die eine Seite desselben ist das administrative Ehebeschränkungsrecht im Sinne der staatlichen Verwaltung, die zweite Seite ist dagegen das Ehebeschränkungsrecht der Selbstverwaltung, oder das Eherecht der Gemeindeordnungen. Beide sind sehr verschieden, und haben auch ein sehr verschiedenes Schicksal gehabt.
a)Die amtliche Ehepolizei.
Die amtliche Verwaltung, auf ihrem höheren, eben bezeichneten Standpunkt stehend, nach welchem sie das Recht der Ehe zunächst und vor allem von den Folgen derselben für die Volkswohlfahrt abhängig machte, konnte für ihr Eingreifen in die Schließung der Ehe nur zwei Gründe annehmen, der eine war der wirthschaftliche, der zweite war der sanitäre. Die Ueberzeugung, daß die Ehe an und für sich zugleich ein für das Individuum entscheidendes wirthschaftliches Ver- hältniß begründet, und nur zu oft die wahre Ursache der Verarmung
wiſſenſchaft (I. Seite 112) wieder aufnimmt, dem ſelbſt Gerſtner folgt (Bevölkerungslehre, S. 180). Wir müſſen das Ganze als einen über- wundenen Standpunkt anſehen. — Anders iſt es mit dem Folgenden.
2) Die Ehebeſchränkungen des vorigen und des gegen- wärtigen Jahrhunderts in Deutſchland.
Gleichzeitig mit dem Verwaltungsſyſtem der Ehebeförderung entſteht nun, und zwar ſo weit wir ſehen namentlich in Deutſchland, ein Syſtem der Ehebeſchränkungen, das in hohem Grade, wie ſchon oben angedeutet, für die ganze öffentliche Entwicklung bezeichnend iſt.
Das, was Geſchichte und Wiſſenſchaft hier zu erklären haben, liegt in der Frage, wie das an ſich Freie, die Ehe, von der öffentlichen Gewalt auch ohne Rückſicht auf die Geſchlechterordnung und die ſtän- diſchen Ordnungen und Verhältniſſe, rein aus dem Geſichtspunkte der ſtaatsbürgerlichen Verwaltung, einer Reihe von Beſchränkungen hat unterworfen werden können, die zum großen Theil in Deutſchland noch gegenwärtig fortbeſtehen. Um dieſe Frage nicht bloß materiell, ſondern ihrem innern Entwicklungsgange nach beantworten zu können, muß man allerdings feſthalten, daß die Conſequenzen der Ehe nicht bloß die Eheleute, ſondern bis zu einem gewiſſen Grade die Geſammtheit betreffen. Dieſe Geſammtheit aber iſt einerſeits der ganze Staat, und andererſeits iſt ſie die einzelne Gemeinde, der die Eheleute und mit ihr die Kinder angehören. Es iſt daher natürlich, daß ſich daraus ein doppeltes Recht jener Ehebeſchränkung gebildet hat; die eine Seite deſſelben iſt das adminiſtrative Ehebeſchränkungsrecht im Sinne der ſtaatlichen Verwaltung, die zweite Seite iſt dagegen das Ehebeſchränkungsrecht der Selbſtverwaltung, oder das Eherecht der Gemeindeordnungen. Beide ſind ſehr verſchieden, und haben auch ein ſehr verſchiedenes Schickſal gehabt.
a)Die amtliche Ehepolizei.
Die amtliche Verwaltung, auf ihrem höheren, eben bezeichneten Standpunkt ſtehend, nach welchem ſie das Recht der Ehe zunächſt und vor allem von den Folgen derſelben für die Volkswohlfahrt abhängig machte, konnte für ihr Eingreifen in die Schließung der Ehe nur zwei Gründe annehmen, der eine war der wirthſchaftliche, der zweite war der ſanitäre. Die Ueberzeugung, daß die Ehe an und für ſich zugleich ein für das Individuum entſcheidendes wirthſchaftliches Ver- hältniß begründet, und nur zu oft die wahre Urſache der Verarmung
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wiſſenſchaft (I. Seite 112) wieder aufnimmt, dem ſelbſt Gerſtner folgt
(Bevölkerungslehre, S. 180). Wir müſſen das Ganze als einen über-
wundenen Standpunkt anſehen. — Anders iſt es mit dem Folgenden.
2) Die Ehebeſchränkungen des vorigen und des gegen-
wärtigen Jahrhunderts in Deutſchland.
Gleichzeitig mit dem Verwaltungsſyſtem der Ehebeförderung entſteht
nun, und zwar ſo weit wir ſehen namentlich in Deutſchland, ein Syſtem
der Ehebeſchränkungen, das in hohem Grade, wie ſchon oben
angedeutet, für die ganze öffentliche Entwicklung bezeichnend iſt.
Das, was Geſchichte und Wiſſenſchaft hier zu erklären haben, liegt
in der Frage, wie das an ſich Freie, die Ehe, von der öffentlichen
Gewalt auch ohne Rückſicht auf die Geſchlechterordnung und die ſtän-
diſchen Ordnungen und Verhältniſſe, rein aus dem Geſichtspunkte der
ſtaatsbürgerlichen Verwaltung, einer Reihe von Beſchränkungen hat
unterworfen werden können, die zum großen Theil in Deutſchland noch
gegenwärtig fortbeſtehen. Um dieſe Frage nicht bloß materiell, ſondern
ihrem innern Entwicklungsgange nach beantworten zu können, muß
man allerdings feſthalten, daß die Conſequenzen der Ehe nicht bloß
die Eheleute, ſondern bis zu einem gewiſſen Grade die Geſammtheit
betreffen. Dieſe Geſammtheit aber iſt einerſeits der ganze Staat,
und andererſeits iſt ſie die einzelne Gemeinde, der die Eheleute
und mit ihr die Kinder angehören. Es iſt daher natürlich, daß ſich
daraus ein doppeltes Recht jener Ehebeſchränkung gebildet hat; die
eine Seite deſſelben iſt das adminiſtrative Ehebeſchränkungsrecht im
Sinne der ſtaatlichen Verwaltung, die zweite Seite iſt dagegen das
Ehebeſchränkungsrecht der Selbſtverwaltung, oder das Eherecht der
Gemeindeordnungen. Beide ſind ſehr verſchieden, und haben auch
ein ſehr verſchiedenes Schickſal gehabt.
a) Die amtliche Ehepolizei.
Die amtliche Verwaltung, auf ihrem höheren, eben bezeichneten
Standpunkt ſtehend, nach welchem ſie das Recht der Ehe zunächſt und
vor allem von den Folgen derſelben für die Volkswohlfahrt abhängig
machte, konnte für ihr Eingreifen in die Schließung der Ehe nur zwei
Gründe annehmen, der eine war der wirthſchaftliche, der zweite
war der ſanitäre. Die Ueberzeugung, daß die Ehe an und für ſich
zugleich ein für das Individuum entſcheidendes wirthſchaftliches Ver-
hältniß begründet, und nur zu oft die wahre Urſache der Verarmung
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/168>, abgerufen am 21.02.2025.
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