hervorragenden Punkte hinzuweisen. Aus der innern Behandlung ist mit der staatsbürgerlichen Periode die ganze Frage und leider mit ihr das historische Bewußtsein ziemlich gründlich verschwunden. Wir be- gegnen ihr nur noch im reinen bürgerlichen Rechte.
2) Das öffentliche Eherecht des Lehnwesens.
Es versteht sich von selbst, daß dieser Theil des öffentlichen Ehe- rechts nicht anders von den beiden folgenden geschieden werden kann, als indem man ihn zurückführt auf das dem Lehnswesen zum Grunde liegende eigenthümliche Moment; und das ist eben der Besitz des Lehnsgutes. Ein Eheconsens des Lehnswesens als solcher ist daher nur insofern denkbar, als der Besitz des Vasallen die Eingehung einer Ehe von seiner Seite von dem Willen des Lehnsherrn dadurch abhängig macht, daß die Ehe selbst als Bedingung der Erfüllung derjenigen Ver- pflichtungen erscheint, die der Vasall mit dem Gute selbst übernommen hat. Und hier muß man in dem allgemeinen Ausdruck Lehnsherr zwei wesentlich verschiedene Verhältnisse unterscheiden.
Das erste ist das des Lehnsherr zum eigentlichen Vasallen, der selbst ein freier Mann ist. Ueber die Ehe dieses freien Mannes hat der Lehnsherr nichts zu entscheiden; wenn aber dieselbe keine standes- gemäße war, so war die Verleihung des Lehns an die Kinder damit ursprünglich nicht thunlich; erst die spätere Zeit machte die Erhaltung des Lehns möglich. Eine direkte Bewilligung der Ehe von Seiten des Lehnsherrn fand nicht statt. Wenn aber das Lehn auf die Tochter fällt, so hat der Lehnsherr das Recht des väterlichen Vormundes, die Tochter nach seinem Willen zur Ehe zu zwingen, wenn sie nicht ihr Lehn verlieren will. Die Härte dieses namentlich in England scharf ausgeprägten Grundsatzes verliert sich erst in der spätern Zeit, in Eng- land durch das berühmte Gesetz (Stat. 24, C. II. 12), das von Macaulay (History of England, C. II.) so gut charakterisirt wird. Dahin gehört auch die Frage bei Vitriarius: Si primogenitus sit natus ex Ple- beja, Secundogenitus ex Illustri, quis Appanagiatus fieri debeat? Non conveniunt. III. XX. 74. -- Das zweite Verhältniß ist das des Unfreien, der auf unfreiem Boden sitzt. Grundsatz war hier, wie der Grand Coustumier (Paris 1539) sagt (fol. 75): "telles personnes serves ne se peuvent marier avec une personne d'autre condition et en autre justice (d. h. deren Besitz einer andern Grundherrlichkeit angehört) sans le conge de leur seigneur." Der Grund dieser Be- stimmung war hier nicht die Unfreiheit, sondern eben das Recht auf den Besitz der "serfs", das durch die Eingehung der Ehe beeinflußt
hervorragenden Punkte hinzuweiſen. Aus der innern Behandlung iſt mit der ſtaatsbürgerlichen Periode die ganze Frage und leider mit ihr das hiſtoriſche Bewußtſein ziemlich gründlich verſchwunden. Wir be- gegnen ihr nur noch im reinen bürgerlichen Rechte.
2) Das öffentliche Eherecht des Lehnweſens.
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſer Theil des öffentlichen Ehe- rechts nicht anders von den beiden folgenden geſchieden werden kann, als indem man ihn zurückführt auf das dem Lehnsweſen zum Grunde liegende eigenthümliche Moment; und das iſt eben der Beſitz des Lehnsgutes. Ein Eheconſens des Lehnsweſens als ſolcher iſt daher nur inſofern denkbar, als der Beſitz des Vaſallen die Eingehung einer Ehe von ſeiner Seite von dem Willen des Lehnsherrn dadurch abhängig macht, daß die Ehe ſelbſt als Bedingung der Erfüllung derjenigen Ver- pflichtungen erſcheint, die der Vaſall mit dem Gute ſelbſt übernommen hat. Und hier muß man in dem allgemeinen Ausdruck Lehnsherr zwei weſentlich verſchiedene Verhältniſſe unterſcheiden.
Das erſte iſt das des Lehnsherr zum eigentlichen Vaſallen, der ſelbſt ein freier Mann iſt. Ueber die Ehe dieſes freien Mannes hat der Lehnsherr nichts zu entſcheiden; wenn aber dieſelbe keine ſtandes- gemäße war, ſo war die Verleihung des Lehns an die Kinder damit urſprünglich nicht thunlich; erſt die ſpätere Zeit machte die Erhaltung des Lehns möglich. Eine direkte Bewilligung der Ehe von Seiten des Lehnsherrn fand nicht ſtatt. Wenn aber das Lehn auf die Tochter fällt, ſo hat der Lehnsherr das Recht des väterlichen Vormundes, die Tochter nach ſeinem Willen zur Ehe zu zwingen, wenn ſie nicht ihr Lehn verlieren will. Die Härte dieſes namentlich in England ſcharf ausgeprägten Grundſatzes verliert ſich erſt in der ſpätern Zeit, in Eng- land durch das berühmte Geſetz (Stat. 24, C. II. 12), das von Macaulay (History of England, C. II.) ſo gut charakteriſirt wird. Dahin gehört auch die Frage bei Vitriarius: Si primogenitus sit natus ex Ple- beja, Secundogenitus ex Illustri, quis Appanagiatus fieri debeat? Non conveniunt. III. XX. 74. — Das zweite Verhältniß iſt das des Unfreien, der auf unfreiem Boden ſitzt. Grundſatz war hier, wie der Grand Coustumier (Paris 1539) ſagt (fol. 75): „telles personnes serves ne se peuvent marier avec une personne d’autre condition et en autre justice (d. h. deren Beſitz einer andern Grundherrlichkeit angehört) sans le congé de leur seigneur.“ Der Grund dieſer Be- ſtimmung war hier nicht die Unfreiheit, ſondern eben das Recht auf den Beſitz der „serfs“, das durch die Eingehung der Ehe beeinflußt
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hervorragenden Punkte hinzuweiſen. Aus der innern Behandlung iſt
mit der ſtaatsbürgerlichen Periode die ganze Frage und leider mit ihr
das hiſtoriſche Bewußtſein ziemlich gründlich verſchwunden. Wir be-
gegnen ihr nur noch im reinen bürgerlichen Rechte.
2) Das öffentliche Eherecht des Lehnweſens.
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſer Theil des öffentlichen Ehe-
rechts nicht anders von den beiden folgenden geſchieden werden kann,
als indem man ihn zurückführt auf das dem Lehnsweſen zum Grunde
liegende eigenthümliche Moment; und das iſt eben der Beſitz des
Lehnsgutes. Ein Eheconſens des Lehnsweſens als ſolcher iſt daher
nur inſofern denkbar, als der Beſitz des Vaſallen die Eingehung einer
Ehe von ſeiner Seite von dem Willen des Lehnsherrn dadurch abhängig
macht, daß die Ehe ſelbſt als Bedingung der Erfüllung derjenigen Ver-
pflichtungen erſcheint, die der Vaſall mit dem Gute ſelbſt übernommen
hat. Und hier muß man in dem allgemeinen Ausdruck Lehnsherr zwei
weſentlich verſchiedene Verhältniſſe unterſcheiden.
Das erſte iſt das des Lehnsherr zum eigentlichen Vaſallen, der
ſelbſt ein freier Mann iſt. Ueber die Ehe dieſes freien Mannes hat
der Lehnsherr nichts zu entſcheiden; wenn aber dieſelbe keine ſtandes-
gemäße war, ſo war die Verleihung des Lehns an die Kinder damit
urſprünglich nicht thunlich; erſt die ſpätere Zeit machte die Erhaltung
des Lehns möglich. Eine direkte Bewilligung der Ehe von Seiten des
Lehnsherrn fand nicht ſtatt. Wenn aber das Lehn auf die Tochter
fällt, ſo hat der Lehnsherr das Recht des väterlichen Vormundes, die
Tochter nach ſeinem Willen zur Ehe zu zwingen, wenn ſie nicht ihr
Lehn verlieren will. Die Härte dieſes namentlich in England ſcharf
ausgeprägten Grundſatzes verliert ſich erſt in der ſpätern Zeit, in Eng-
land durch das berühmte Geſetz (Stat. 24, C. II. 12), das von Macaulay
(History of England, C. II.) ſo gut charakteriſirt wird. Dahin gehört
auch die Frage bei Vitriarius: Si primogenitus sit natus ex Ple-
beja, Secundogenitus ex Illustri, quis Appanagiatus fieri debeat?
Non conveniunt. III. XX. 74. — Das zweite Verhältniß iſt das des
Unfreien, der auf unfreiem Boden ſitzt. Grundſatz war hier, wie der
Grand Coustumier (Paris 1539) ſagt (fol. 75): „telles personnes
serves ne se peuvent marier avec une personne d’autre condition
et en autre justice (d. h. deren Beſitz einer andern Grundherrlichkeit
angehört) sans le congé de leur seigneur.“ Der Grund dieſer Be-
ſtimmung war hier nicht die Unfreiheit, ſondern eben das Recht auf
den Beſitz der „serfs“, das durch die Eingehung der Ehe beeinflußt
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/157>, abgerufen am 21.02.2025.
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