Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Recht schon oben in Verantwortlichkeit, Klag- und Beschwerderecht, und
Petitionsrecht dargelegt. Das verfassungsmäßige Verwaltungsrecht der
Selbstverwaltung hat sich daher einfach an jene Grundsätze anzuschließen.
Es ist nichts anderes als dasselbe; aber es ist die Erfüllung jenes Be-
griffes in diesem so wichtigen Gebiete.

Auf dieser Grundlage soll nun die örtliche Selbstverwaltung jener
drei Kulturvölker nach ihrem Princip, ihrem System, und ihrem innern
Verfassungs- und Verwaltungsrecht charakterisirt werden.

a) Englands Communalwesen.

Es ist wohl sehr schwer, nach dem Vorgange eines Mannes wie
Gneist noch etwas über Englands örtliche Selbstverwaltung zu sagen.
Selten ist ein Volk mit seinem innern Leben so klar und erschöpfend
dargelegt, wie hier. Es bleibt uns daher wenig anderes übrig, als
auf den reichen Stoff unsere vergleichenden Kategorien anzuwenden,
und für alles Einzelne auf Gneists Werk selbst zu verweisen.

Wir haben den Ausdruck "Communalwesen" oben gebraucht, ob-
gleich er vielleicht nicht ganz entspricht. Wir dürfen nur in Deutschland
nie vergessen, daß wir selbst in einer ganz bestimmten Form der Selbst-
verwaltung leben, und daß wir noch gar nicht gewöhnt sind, über die
engen Gränzen unserer Heimath hinaus die staatlichen Dinge mit ob-
jektivem Auge zu betrachten. Englands örtliche Selbstverwaltung aber,
mag man sie nun so oder anders Selfgovernment, Gemeindewesen
oder wie immer nennen, ist wesentlich verschieden sowohl von Frankreich,
als von Deutschland, und das ist der Grund, weßhalb man es bisher
so wenig gekannt hat. Die Dinge dort paßten nicht in die herkömmliche
Auffassung der Deutschen. Und doch läßt sich jener Unterschied so leicht
und bestimmt formuliren. Während nämlich das französische System
der Selbstverwaltung auf dem Princip der Vertretung in den Conseils
beruht, das deutsche dagegen auf der Selbständigkeit der Ortsgemeinde,
beruht das englische darauf, daß dasjenige, was wir die Verwaltungs-
gemeinde
genannt haben, zum eigentlichen Mittelpunkt des Self-
government geworden ist. Auf dieser Grundlage ist die örtliche Selbst-
verwaltung Englands für uns um so leichter darzustellen, als wir das
Recht in Anspruch nehmen können, und bei dem Reichthum des vor-
liegenden Stoffes auch müssen, das, was Gneist gegeben hat, als be-
kannt vorauszusetzen.

Das Princip der englischen Selbstverwaltung beruht im Allgemeinen
darauf, daß weder die dänische, noch die normannische Eroberung den
Stamm der freien Bauern vernichten, oder auch nur in der Mehrzahl
von den Grundherren abhängig machen konnte. Der freie mittlere

Recht ſchon oben in Verantwortlichkeit, Klag- und Beſchwerderecht, und
Petitionsrecht dargelegt. Das verfaſſungsmäßige Verwaltungsrecht der
Selbſtverwaltung hat ſich daher einfach an jene Grundſätze anzuſchließen.
Es iſt nichts anderes als daſſelbe; aber es iſt die Erfüllung jenes Be-
griffes in dieſem ſo wichtigen Gebiete.

Auf dieſer Grundlage ſoll nun die örtliche Selbſtverwaltung jener
drei Kulturvölker nach ihrem Princip, ihrem Syſtem, und ihrem innern
Verfaſſungs- und Verwaltungsrecht charakteriſirt werden.

a) Englands Communalweſen.

Es iſt wohl ſehr ſchwer, nach dem Vorgange eines Mannes wie
Gneiſt noch etwas über Englands örtliche Selbſtverwaltung zu ſagen.
Selten iſt ein Volk mit ſeinem innern Leben ſo klar und erſchöpfend
dargelegt, wie hier. Es bleibt uns daher wenig anderes übrig, als
auf den reichen Stoff unſere vergleichenden Kategorien anzuwenden,
und für alles Einzelne auf Gneiſts Werk ſelbſt zu verweiſen.

Wir haben den Ausdruck „Communalweſen“ oben gebraucht, ob-
gleich er vielleicht nicht ganz entſpricht. Wir dürfen nur in Deutſchland
nie vergeſſen, daß wir ſelbſt in einer ganz beſtimmten Form der Selbſt-
verwaltung leben, und daß wir noch gar nicht gewöhnt ſind, über die
engen Gränzen unſerer Heimath hinaus die ſtaatlichen Dinge mit ob-
jektivem Auge zu betrachten. Englands örtliche Selbſtverwaltung aber,
mag man ſie nun ſo oder anders Selfgovernment, Gemeindeweſen
oder wie immer nennen, iſt weſentlich verſchieden ſowohl von Frankreich,
als von Deutſchland, und das iſt der Grund, weßhalb man es bisher
ſo wenig gekannt hat. Die Dinge dort paßten nicht in die herkömmliche
Auffaſſung der Deutſchen. Und doch läßt ſich jener Unterſchied ſo leicht
und beſtimmt formuliren. Während nämlich das franzöſiſche Syſtem
der Selbſtverwaltung auf dem Princip der Vertretung in den Conseils
beruht, das deutſche dagegen auf der Selbſtändigkeit der Ortsgemeinde,
beruht das engliſche darauf, daß dasjenige, was wir die Verwaltungs-
gemeinde
genannt haben, zum eigentlichen Mittelpunkt des Self-
government geworden iſt. Auf dieſer Grundlage iſt die örtliche Selbſt-
verwaltung Englands für uns um ſo leichter darzuſtellen, als wir das
Recht in Anſpruch nehmen können, und bei dem Reichthum des vor-
liegenden Stoffes auch müſſen, das, was Gneiſt gegeben hat, als be-
kannt vorauszuſetzen.

Das Princip der engliſchen Selbſtverwaltung beruht im Allgemeinen
darauf, daß weder die däniſche, noch die normanniſche Eroberung den
Stamm der freien Bauern vernichten, oder auch nur in der Mehrzahl
von den Grundherren abhängig machen konnte. Der freie mittlere

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0488" n="464"/>
Recht &#x017F;chon oben in Verantwortlichkeit, Klag- und Be&#x017F;chwerderecht, und<lb/>
Petitionsrecht dargelegt. Das verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßige Verwaltungsrecht der<lb/>
Selb&#x017F;tverwaltung hat &#x017F;ich daher einfach an jene Grund&#x017F;ätze anzu&#x017F;chließen.<lb/>
Es i&#x017F;t nichts anderes als da&#x017F;&#x017F;elbe; aber es i&#x017F;t die Erfüllung jenes Be-<lb/>
griffes in die&#x017F;em &#x017F;o wichtigen Gebiete.</p><lb/>
                <p>Auf die&#x017F;er Grundlage &#x017F;oll nun die örtliche Selb&#x017F;tverwaltung jener<lb/>
drei Kulturvölker nach ihrem Princip, ihrem Sy&#x017F;tem, und ihrem innern<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ungs- und Verwaltungsrecht charakteri&#x017F;irt werden.</p><lb/>
                <div n="6">
                  <head><hi rendition="#aq">a</hi>) Englands Communalwe&#x017F;en.</head><lb/>
                  <p>Es i&#x017F;t wohl &#x017F;ehr &#x017F;chwer, nach dem Vorgange eines Mannes wie<lb/>
Gnei&#x017F;t noch etwas über Englands örtliche Selb&#x017F;tverwaltung zu &#x017F;agen.<lb/>
Selten i&#x017F;t ein Volk mit &#x017F;einem innern Leben &#x017F;o klar und er&#x017F;chöpfend<lb/>
dargelegt, wie hier. Es bleibt uns daher wenig anderes übrig, als<lb/>
auf den reichen Stoff un&#x017F;ere vergleichenden Kategorien anzuwenden,<lb/>
und für alles Einzelne auf Gnei&#x017F;ts Werk &#x017F;elb&#x017F;t zu verwei&#x017F;en.</p><lb/>
                  <p>Wir haben den Ausdruck &#x201E;Communalwe&#x017F;en&#x201C; oben gebraucht, ob-<lb/>
gleich er vielleicht nicht ganz ent&#x017F;pricht. Wir dürfen nur in Deut&#x017F;chland<lb/>
nie verge&#x017F;&#x017F;en, daß wir &#x017F;elb&#x017F;t in einer ganz be&#x017F;timmten Form der Selb&#x017F;t-<lb/>
verwaltung leben, und daß wir noch gar nicht gewöhnt &#x017F;ind, über die<lb/>
engen Gränzen un&#x017F;erer Heimath hinaus die &#x017F;taatlichen Dinge mit ob-<lb/>
jektivem Auge zu betrachten. Englands örtliche Selb&#x017F;tverwaltung aber,<lb/>
mag man &#x017F;ie nun &#x017F;o oder anders Selfgovernment, Gemeindewe&#x017F;en<lb/>
oder wie immer nennen, i&#x017F;t we&#x017F;entlich ver&#x017F;chieden &#x017F;owohl von Frankreich,<lb/>
als von Deut&#x017F;chland, und das i&#x017F;t der Grund, weßhalb man es bisher<lb/>
&#x017F;o wenig gekannt hat. Die Dinge dort paßten nicht in die herkömmliche<lb/>
Auffa&#x017F;&#x017F;ung der Deut&#x017F;chen. Und doch läßt &#x017F;ich jener Unter&#x017F;chied &#x017F;o leicht<lb/>
und be&#x017F;timmt formuliren. Während nämlich das franzö&#x017F;i&#x017F;che Sy&#x017F;tem<lb/>
der Selb&#x017F;tverwaltung auf dem Princip der Vertretung in den <hi rendition="#aq">Conseils</hi><lb/>
beruht, das deut&#x017F;che dagegen auf der Selb&#x017F;tändigkeit der Ortsgemeinde,<lb/>
beruht das engli&#x017F;che darauf, daß dasjenige, was wir die <hi rendition="#g">Verwaltungs-<lb/>
gemeinde</hi> genannt haben, zum eigentlichen Mittelpunkt des Self-<lb/>
government geworden i&#x017F;t. Auf die&#x017F;er Grundlage i&#x017F;t die örtliche Selb&#x017F;t-<lb/>
verwaltung Englands für uns um &#x017F;o leichter darzu&#x017F;tellen, als wir das<lb/>
Recht in An&#x017F;pruch nehmen können, und bei dem Reichthum des vor-<lb/>
liegenden Stoffes auch mü&#x017F;&#x017F;en, das, was Gnei&#x017F;t gegeben hat, als be-<lb/>
kannt vorauszu&#x017F;etzen.</p><lb/>
                  <p>Das Princip der engli&#x017F;chen Selb&#x017F;tverwaltung beruht im Allgemeinen<lb/>
darauf, daß weder die däni&#x017F;che, noch die normanni&#x017F;che Eroberung den<lb/>
Stamm der freien Bauern vernichten, oder auch nur in der Mehrzahl<lb/>
von den Grundherren abhängig machen konnte. Der freie mittlere<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[464/0488] Recht ſchon oben in Verantwortlichkeit, Klag- und Beſchwerderecht, und Petitionsrecht dargelegt. Das verfaſſungsmäßige Verwaltungsrecht der Selbſtverwaltung hat ſich daher einfach an jene Grundſätze anzuſchließen. Es iſt nichts anderes als daſſelbe; aber es iſt die Erfüllung jenes Be- griffes in dieſem ſo wichtigen Gebiete. Auf dieſer Grundlage ſoll nun die örtliche Selbſtverwaltung jener drei Kulturvölker nach ihrem Princip, ihrem Syſtem, und ihrem innern Verfaſſungs- und Verwaltungsrecht charakteriſirt werden. a) Englands Communalweſen. Es iſt wohl ſehr ſchwer, nach dem Vorgange eines Mannes wie Gneiſt noch etwas über Englands örtliche Selbſtverwaltung zu ſagen. Selten iſt ein Volk mit ſeinem innern Leben ſo klar und erſchöpfend dargelegt, wie hier. Es bleibt uns daher wenig anderes übrig, als auf den reichen Stoff unſere vergleichenden Kategorien anzuwenden, und für alles Einzelne auf Gneiſts Werk ſelbſt zu verweiſen. Wir haben den Ausdruck „Communalweſen“ oben gebraucht, ob- gleich er vielleicht nicht ganz entſpricht. Wir dürfen nur in Deutſchland nie vergeſſen, daß wir ſelbſt in einer ganz beſtimmten Form der Selbſt- verwaltung leben, und daß wir noch gar nicht gewöhnt ſind, über die engen Gränzen unſerer Heimath hinaus die ſtaatlichen Dinge mit ob- jektivem Auge zu betrachten. Englands örtliche Selbſtverwaltung aber, mag man ſie nun ſo oder anders Selfgovernment, Gemeindeweſen oder wie immer nennen, iſt weſentlich verſchieden ſowohl von Frankreich, als von Deutſchland, und das iſt der Grund, weßhalb man es bisher ſo wenig gekannt hat. Die Dinge dort paßten nicht in die herkömmliche Auffaſſung der Deutſchen. Und doch läßt ſich jener Unterſchied ſo leicht und beſtimmt formuliren. Während nämlich das franzöſiſche Syſtem der Selbſtverwaltung auf dem Princip der Vertretung in den Conseils beruht, das deutſche dagegen auf der Selbſtändigkeit der Ortsgemeinde, beruht das engliſche darauf, daß dasjenige, was wir die Verwaltungs- gemeinde genannt haben, zum eigentlichen Mittelpunkt des Self- government geworden iſt. Auf dieſer Grundlage iſt die örtliche Selbſt- verwaltung Englands für uns um ſo leichter darzuſtellen, als wir das Recht in Anſpruch nehmen können, und bei dem Reichthum des vor- liegenden Stoffes auch müſſen, das, was Gneiſt gegeben hat, als be- kannt vorauszuſetzen. Das Princip der engliſchen Selbſtverwaltung beruht im Allgemeinen darauf, daß weder die däniſche, noch die normanniſche Eroberung den Stamm der freien Bauern vernichten, oder auch nur in der Mehrzahl von den Grundherren abhängig machen konnte. Der freie mittlere

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/488
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/488>, abgerufen am 21.12.2024.