Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese Begriffe sind nun wohl sehr einfach und bedürfen keiner Er-
klärung. Dennoch herrscht hier eine große Unklarheit; und um diese zu
erläutern, müssen wir auf den Proceß zurückgehen, der dieß Recht ge-
bildet
hat.

Die Bildungsformen des öffentlichen Rechts. Begriff und Bedeutung
des Ausdrucks "Verwaltungsrecht."

Wie nun dieß öffentliche Recht an sich nothwendig ist, so gibt es
für den Staat und sein Leben auch verschiedene Grundformen, in denen
es sich bildet. Es muß hier genügen sie kurz zu bezeichnen.

Die erste dieser Grundformen entsteht durch die Erkenntniß des
Wesens des Staats und seiner Elemente. Wie das Recht selbst die
Consequenz des Wirkens und des Wesens dieser Elemente ist, so ent-
steht aus der wissenschaftlichen Entwicklung derselben im Bild des öffent-
lichen Rechts, in allen seinen Theilen, das seine Wahrheit nicht in der
thatsächlichen Geltung desselben, und seinen Einfluß nicht in der un-
mittelbaren Anwendung sucht, sondern vielmehr in der Wirkung, welche
es auf Verständniß und Willen derjenigen äußert, die dem Rechte Gel-
tung und Anwendung geben sollen. Die Thätigkeit, welche dieß Recht
an sich erzeugt, nennen wir die Wissenschaft oder Philosophie des
öffentlichen Rechts. Sie hat zu ihrem Gegenstande das gesammte Ge-
biet des Staatslebens, zu ihrer Grundlage den Begriff und das leben-
dige Wesen des Staats an sich, ohne Berücksichtigung der Verhältnisse
des für sie zufälligen, einzelnen und concreten Staatslebens.

Die zweite Grundform beruht auf einer ganz andern Basis. Das
Recht kann für das wirkliche Leben nicht der abstrakten Begriffe der
Wissenschaft warten, und auch nicht dieselben unbedingt annehmen.

Es bildet sich dasselbe daher, wie alles naturgemäß Nothwendige,
zunächst von selbst. Es entsteht gleichsam durch Druck und Gegendruck
der einzelnen großen und kleinen Organe eine Gränze für dieselbe, die
dann mit diesen Organen und ihrer ganzen Stellung im Staate so ver-
schmilzt, daß sie ohne weiteres Zuthun der Einzelnen und des Ganzen
zu einem Geltenden wird. Das ist der Proceß, den man als die
historische Bildung des öffentlichen Rechts bezeichnet. Die Elemente,
welche diese historische Bildung des öffentlichen Rechts beherrschen, sind,
wie alles Daseiende, zweifacher Natur: ein persönliches, und ein natür-
liches. Das große Element des persönlichen Lebens, das die historische
Bildung des öffentlichen Rechts beherrscht, ist das, was wir die mensch-
liche Gesellschaft nennen. Aus ihm ergibt sich der Satz, den wir als
das entscheidende Gesetz für alle Bildung des öffentlichen Rechtes an

Dieſe Begriffe ſind nun wohl ſehr einfach und bedürfen keiner Er-
klärung. Dennoch herrſcht hier eine große Unklarheit; und um dieſe zu
erläutern, müſſen wir auf den Proceß zurückgehen, der dieß Recht ge-
bildet
hat.

Die Bildungsformen des öffentlichen Rechts. Begriff und Bedeutung
des Ausdrucks „Verwaltungsrecht.“

Wie nun dieß öffentliche Recht an ſich nothwendig iſt, ſo gibt es
für den Staat und ſein Leben auch verſchiedene Grundformen, in denen
es ſich bildet. Es muß hier genügen ſie kurz zu bezeichnen.

Die erſte dieſer Grundformen entſteht durch die Erkenntniß des
Weſens des Staats und ſeiner Elemente. Wie das Recht ſelbſt die
Conſequenz des Wirkens und des Weſens dieſer Elemente iſt, ſo ent-
ſteht aus der wiſſenſchaftlichen Entwicklung derſelben im Bild des öffent-
lichen Rechts, in allen ſeinen Theilen, das ſeine Wahrheit nicht in der
thatſächlichen Geltung deſſelben, und ſeinen Einfluß nicht in der un-
mittelbaren Anwendung ſucht, ſondern vielmehr in der Wirkung, welche
es auf Verſtändniß und Willen derjenigen äußert, die dem Rechte Gel-
tung und Anwendung geben ſollen. Die Thätigkeit, welche dieß Recht
an ſich erzeugt, nennen wir die Wiſſenſchaft oder Philoſophie des
öffentlichen Rechts. Sie hat zu ihrem Gegenſtande das geſammte Ge-
biet des Staatslebens, zu ihrer Grundlage den Begriff und das leben-
dige Weſen des Staats an ſich, ohne Berückſichtigung der Verhältniſſe
des für ſie zufälligen, einzelnen und concreten Staatslebens.

Die zweite Grundform beruht auf einer ganz andern Baſis. Das
Recht kann für das wirkliche Leben nicht der abſtrakten Begriffe der
Wiſſenſchaft warten, und auch nicht dieſelben unbedingt annehmen.

Es bildet ſich daſſelbe daher, wie alles naturgemäß Nothwendige,
zunächſt von ſelbſt. Es entſteht gleichſam durch Druck und Gegendruck
der einzelnen großen und kleinen Organe eine Gränze für dieſelbe, die
dann mit dieſen Organen und ihrer ganzen Stellung im Staate ſo ver-
ſchmilzt, daß ſie ohne weiteres Zuthun der Einzelnen und des Ganzen
zu einem Geltenden wird. Das iſt der Proceß, den man als die
hiſtoriſche Bildung des öffentlichen Rechts bezeichnet. Die Elemente,
welche dieſe hiſtoriſche Bildung des öffentlichen Rechts beherrſchen, ſind,
wie alles Daſeiende, zweifacher Natur: ein perſönliches, und ein natür-
liches. Das große Element des perſönlichen Lebens, das die hiſtoriſche
Bildung des öffentlichen Rechts beherrſcht, iſt das, was wir die menſch-
liche Geſellſchaft nennen. Aus ihm ergibt ſich der Satz, den wir als
das entſcheidende Geſetz für alle Bildung des öffentlichen Rechtes an

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0046" n="22"/>
          <p>Die&#x017F;e Begriffe &#x017F;ind nun wohl &#x017F;ehr einfach und bedürfen keiner Er-<lb/>
klärung. Dennoch herr&#x017F;cht hier eine große Unklarheit; und um die&#x017F;e zu<lb/>
erläutern, mü&#x017F;&#x017F;en wir auf den Proceß zurückgehen, der dieß Recht <hi rendition="#g">ge-<lb/>
bildet</hi> hat.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Die Bildungsformen des öffentlichen Rechts. Begriff und Bedeutung<lb/>
des Ausdrucks &#x201E;Verwaltungsrecht.&#x201C;</hi> </head><lb/>
          <p>Wie nun dieß öffentliche Recht an &#x017F;ich nothwendig i&#x017F;t, &#x017F;o gibt es<lb/>
für den Staat und &#x017F;ein Leben auch ver&#x017F;chiedene Grundformen, in denen<lb/>
es &#x017F;ich bildet. Es muß hier genügen &#x017F;ie kurz zu bezeichnen.</p><lb/>
          <p>Die er&#x017F;te die&#x017F;er Grundformen ent&#x017F;teht durch die <hi rendition="#g">Erkenntniß</hi> des<lb/>
We&#x017F;ens des Staats und &#x017F;einer Elemente. Wie das Recht &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Con&#x017F;equenz des Wirkens und des We&#x017F;ens die&#x017F;er Elemente i&#x017F;t, &#x017F;o ent-<lb/>
&#x017F;teht aus der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Entwicklung der&#x017F;elben im Bild des öffent-<lb/>
lichen Rechts, in allen &#x017F;einen Theilen, das &#x017F;eine Wahrheit nicht in der<lb/>
that&#x017F;ächlichen Geltung de&#x017F;&#x017F;elben, und &#x017F;einen Einfluß nicht in der un-<lb/>
mittelbaren Anwendung &#x017F;ucht, &#x017F;ondern vielmehr in der Wirkung, welche<lb/>
es auf Ver&#x017F;tändniß und Willen derjenigen äußert, die dem Rechte Gel-<lb/>
tung und Anwendung geben &#x017F;ollen. Die Thätigkeit, welche dieß Recht<lb/>
an &#x017F;ich erzeugt, nennen wir die <hi rendition="#g">Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft</hi> oder Philo&#x017F;ophie des<lb/>
öffentlichen Rechts. Sie hat zu ihrem Gegen&#x017F;tande das ge&#x017F;ammte Ge-<lb/>
biet des Staatslebens, zu ihrer Grundlage den Begriff und das leben-<lb/>
dige We&#x017F;en des Staats an &#x017F;ich, ohne Berück&#x017F;ichtigung der Verhältni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
des für &#x017F;ie zufälligen, einzelnen und concreten Staatslebens.</p><lb/>
          <p>Die zweite Grundform beruht auf einer ganz andern Ba&#x017F;is. Das<lb/>
Recht kann für das wirkliche Leben nicht der ab&#x017F;trakten Begriffe der<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft warten, und auch nicht die&#x017F;elben unbedingt annehmen.</p><lb/>
          <p>Es bildet &#x017F;ich da&#x017F;&#x017F;elbe daher, wie alles naturgemäß Nothwendige,<lb/>
zunäch&#x017F;t von &#x017F;elb&#x017F;t. Es ent&#x017F;teht gleich&#x017F;am durch Druck und Gegendruck<lb/>
der einzelnen großen und kleinen Organe eine Gränze für die&#x017F;elbe, die<lb/>
dann mit die&#x017F;en Organen und ihrer ganzen Stellung im Staate &#x017F;o ver-<lb/>
&#x017F;chmilzt, daß &#x017F;ie ohne weiteres Zuthun der Einzelnen und des Ganzen<lb/>
zu einem Geltenden wird. Das i&#x017F;t der Proceß, den man als die<lb/><hi rendition="#g">hi&#x017F;tori&#x017F;che Bildung</hi> des öffentlichen Rechts bezeichnet. Die Elemente,<lb/>
welche die&#x017F;e hi&#x017F;tori&#x017F;che Bildung des öffentlichen Rechts beherr&#x017F;chen, &#x017F;ind,<lb/>
wie alles Da&#x017F;eiende, zweifacher Natur: ein per&#x017F;önliches, und ein natür-<lb/>
liches. Das große Element des per&#x017F;önlichen Lebens, das die hi&#x017F;tori&#x017F;che<lb/>
Bildung des öffentlichen Rechts beherr&#x017F;cht, i&#x017F;t das, was wir die men&#x017F;ch-<lb/>
liche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft nennen. Aus ihm ergibt &#x017F;ich der Satz, den wir als<lb/>
das ent&#x017F;cheidende Ge&#x017F;etz für alle Bildung des öffentlichen Rechtes an<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0046] Dieſe Begriffe ſind nun wohl ſehr einfach und bedürfen keiner Er- klärung. Dennoch herrſcht hier eine große Unklarheit; und um dieſe zu erläutern, müſſen wir auf den Proceß zurückgehen, der dieß Recht ge- bildet hat. Die Bildungsformen des öffentlichen Rechts. Begriff und Bedeutung des Ausdrucks „Verwaltungsrecht.“ Wie nun dieß öffentliche Recht an ſich nothwendig iſt, ſo gibt es für den Staat und ſein Leben auch verſchiedene Grundformen, in denen es ſich bildet. Es muß hier genügen ſie kurz zu bezeichnen. Die erſte dieſer Grundformen entſteht durch die Erkenntniß des Weſens des Staats und ſeiner Elemente. Wie das Recht ſelbſt die Conſequenz des Wirkens und des Weſens dieſer Elemente iſt, ſo ent- ſteht aus der wiſſenſchaftlichen Entwicklung derſelben im Bild des öffent- lichen Rechts, in allen ſeinen Theilen, das ſeine Wahrheit nicht in der thatſächlichen Geltung deſſelben, und ſeinen Einfluß nicht in der un- mittelbaren Anwendung ſucht, ſondern vielmehr in der Wirkung, welche es auf Verſtändniß und Willen derjenigen äußert, die dem Rechte Gel- tung und Anwendung geben ſollen. Die Thätigkeit, welche dieß Recht an ſich erzeugt, nennen wir die Wiſſenſchaft oder Philoſophie des öffentlichen Rechts. Sie hat zu ihrem Gegenſtande das geſammte Ge- biet des Staatslebens, zu ihrer Grundlage den Begriff und das leben- dige Weſen des Staats an ſich, ohne Berückſichtigung der Verhältniſſe des für ſie zufälligen, einzelnen und concreten Staatslebens. Die zweite Grundform beruht auf einer ganz andern Baſis. Das Recht kann für das wirkliche Leben nicht der abſtrakten Begriffe der Wiſſenſchaft warten, und auch nicht dieſelben unbedingt annehmen. Es bildet ſich daſſelbe daher, wie alles naturgemäß Nothwendige, zunächſt von ſelbſt. Es entſteht gleichſam durch Druck und Gegendruck der einzelnen großen und kleinen Organe eine Gränze für dieſelbe, die dann mit dieſen Organen und ihrer ganzen Stellung im Staate ſo ver- ſchmilzt, daß ſie ohne weiteres Zuthun der Einzelnen und des Ganzen zu einem Geltenden wird. Das iſt der Proceß, den man als die hiſtoriſche Bildung des öffentlichen Rechts bezeichnet. Die Elemente, welche dieſe hiſtoriſche Bildung des öffentlichen Rechts beherrſchen, ſind, wie alles Daſeiende, zweifacher Natur: ein perſönliches, und ein natür- liches. Das große Element des perſönlichen Lebens, das die hiſtoriſche Bildung des öffentlichen Rechts beherrſcht, iſt das, was wir die menſch- liche Geſellſchaft nennen. Aus ihm ergibt ſich der Satz, den wir als das entſcheidende Geſetz für alle Bildung des öffentlichen Rechtes an

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/46
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/46>, abgerufen am 21.11.2024.