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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Eintheilungen der deutschen Staaten die Gebietstheile derselben "Provinzen"
nannten, während andererseits der Ausdruck "Länder" in jener Definition
gar nicht untergebracht werden konnte, so war schon durch die Ausdrücke selbst
sofort die Confusion fertig, die bereits Malchus selbst beklagt (S. 6, Anm. 1).
Dazu kam, daß alle Gründe für das Provinzialsystem in der obigen Bezeich-
nung zugleich Angriffe auf die verfassungsmäßige Ministerordnungen waren,
und dadurch schon unmöglich wurden, während man doch andererseits auch nicht
verkennen konnte, daß die in jenem Provinzialsystem angedeutete Selbständig-
keit wirklich höheren Bedürfnissen entsprach; man ahnte, daß in ihm die Selbst-
verwaltung verdeckt sei, und fürchtete sich, die letztere durch principielle An-
erkennung des Realsystems principiell zu verurtheilen. So kam man auch
später zu keinem Resultat, und ließ lieber die Sache ganz liegen. Dennoch
haben sich diese Ausdrücke erhalten, und das hat zur Unklarheit nicht wenig
beigetragen; denn wenn auch die neueren Staatslehrer, wie Zachariä, Zöpfl,
Bluntschli u. A. schweigend darüber weggehen, so haben sie doch nichts anderes
an die Stelle gesetzt, und jede Beschäftigung mit der Frage fällt, wie wir
neuerdings in Gerstners "Grundlehren der Staatsverwaltung" sehen, wieder
in jene Bezeichnungen zurück. Es wird nun aber klar sein, weßhalb eine
Menge Gründe für und wider beide Formen zu gar keinem Resultate führten,
da man sich dabei auf einem ganz falschen Boden bewegte. Man wollte die
Selbstverwaltung vertheidigen, ohne das Ministerialsystem aufzuheben, und
indem man dafür den obigen Begriff des Provinzialsystems beibehielt, kam
man mit sich selbst in Widerspruch, und mehr noch mit den Verfassungen, welche
mit dem Ministerialsystem das Provinzialsystem unbedingt vernichteten, wäh-
rend sie zugleich in den Landschafts- und noch weit mehr in den Gemeinde-
ordnungen die Selbstverwaltung anerkannten. In dieser Verwirrung ist nur
dadurch zu helfen, daß man eben jene Begriffe als Ausdruck nicht etwa zweier
entgegengesetzter Systeme, sondern zweier Epochen der Organisation anerkennt,
was sie auch wirklich sind, und einfach den staatlichen Organismus und die
Selbstverwaltung neben einander stellt. In der That ist der durchgreifende
Charakter der deutschen Verwaltungsorganisation gegenüber Frankreich und
England eben diese Coordinirung beider Grundformen, während Frankreich
die Selbstverwaltung der staatlichen, England die staatliche Verwaltung der Selbst-
verwaltung unterordnet. Und daher ist denn auch nur in Deutschland ein wahres
Behördensystem innerhalb des staatlichen Organismus als zweites Glied des-
selben neben dem Ministerialsystem vorhanden, während es in England gar nicht,
und in Frankreich nur als eine Ausdehnung des Ministerialsystems existirt. Das
dürfte im Wesentlichen der Charakter des Organismus dieser drei Länder sein,
und von ihm aus eine Vergleichung mit den übrigen nicht schwierig werden.

1) Das Ministerialsystem.
Organische Bedeutung desselben.

Wenn wir nun dem Obigen zufolge das Ministerialsystem von
dem Behördensystem unterscheiden als die erste Form des amtlichen

Eintheilungen der deutſchen Staaten die Gebietstheile derſelben „Provinzen“
nannten, während andererſeits der Ausdruck „Länder“ in jener Definition
gar nicht untergebracht werden konnte, ſo war ſchon durch die Ausdrücke ſelbſt
ſofort die Confuſion fertig, die bereits Malchus ſelbſt beklagt (S. 6, Anm. 1).
Dazu kam, daß alle Gründe für das Provinzialſyſtem in der obigen Bezeich-
nung zugleich Angriffe auf die verfaſſungsmäßige Miniſterordnungen waren,
und dadurch ſchon unmöglich wurden, während man doch andererſeits auch nicht
verkennen konnte, daß die in jenem Provinzialſyſtem angedeutete Selbſtändig-
keit wirklich höheren Bedürfniſſen entſprach; man ahnte, daß in ihm die Selbſt-
verwaltung verdeckt ſei, und fürchtete ſich, die letztere durch principielle An-
erkennung des Realſyſtems principiell zu verurtheilen. So kam man auch
ſpäter zu keinem Reſultat, und ließ lieber die Sache ganz liegen. Dennoch
haben ſich dieſe Ausdrücke erhalten, und das hat zur Unklarheit nicht wenig
beigetragen; denn wenn auch die neueren Staatslehrer, wie Zachariä, Zöpfl,
Bluntſchli u. A. ſchweigend darüber weggehen, ſo haben ſie doch nichts anderes
an die Stelle geſetzt, und jede Beſchäftigung mit der Frage fällt, wie wir
neuerdings in Gerſtners „Grundlehren der Staatsverwaltung“ ſehen, wieder
in jene Bezeichnungen zurück. Es wird nun aber klar ſein, weßhalb eine
Menge Gründe für und wider beide Formen zu gar keinem Reſultate führten,
da man ſich dabei auf einem ganz falſchen Boden bewegte. Man wollte die
Selbſtverwaltung vertheidigen, ohne das Miniſterialſyſtem aufzuheben, und
indem man dafür den obigen Begriff des Provinzialſyſtems beibehielt, kam
man mit ſich ſelbſt in Widerſpruch, und mehr noch mit den Verfaſſungen, welche
mit dem Miniſterialſyſtem das Provinzialſyſtem unbedingt vernichteten, wäh-
rend ſie zugleich in den Landſchafts- und noch weit mehr in den Gemeinde-
ordnungen die Selbſtverwaltung anerkannten. In dieſer Verwirrung iſt nur
dadurch zu helfen, daß man eben jene Begriffe als Ausdruck nicht etwa zweier
entgegengeſetzter Syſteme, ſondern zweier Epochen der Organiſation anerkennt,
was ſie auch wirklich ſind, und einfach den ſtaatlichen Organismus und die
Selbſtverwaltung neben einander ſtellt. In der That iſt der durchgreifende
Charakter der deutſchen Verwaltungsorganiſation gegenüber Frankreich und
England eben dieſe Coordinirung beider Grundformen, während Frankreich
die Selbſtverwaltung der ſtaatlichen, England die ſtaatliche Verwaltung der Selbſt-
verwaltung unterordnet. Und daher iſt denn auch nur in Deutſchland ein wahres
Behördenſyſtem innerhalb des ſtaatlichen Organismus als zweites Glied des-
ſelben neben dem Miniſterialſyſtem vorhanden, während es in England gar nicht,
und in Frankreich nur als eine Ausdehnung des Miniſterialſyſtems exiſtirt. Das
dürfte im Weſentlichen der Charakter des Organismus dieſer drei Länder ſein,
und von ihm aus eine Vergleichung mit den übrigen nicht ſchwierig werden.

1) Das Miniſterialſyſtem.
Organiſche Bedeutung deſſelben.

Wenn wir nun dem Obigen zufolge das Miniſterialſyſtem von
dem Behördenſyſtem unterſcheiden als die erſte Form des amtlichen

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[304/0328] Eintheilungen der deutſchen Staaten die Gebietstheile derſelben „Provinzen“ nannten, während andererſeits der Ausdruck „Länder“ in jener Definition gar nicht untergebracht werden konnte, ſo war ſchon durch die Ausdrücke ſelbſt ſofort die Confuſion fertig, die bereits Malchus ſelbſt beklagt (S. 6, Anm. 1). Dazu kam, daß alle Gründe für das Provinzialſyſtem in der obigen Bezeich- nung zugleich Angriffe auf die verfaſſungsmäßige Miniſterordnungen waren, und dadurch ſchon unmöglich wurden, während man doch andererſeits auch nicht verkennen konnte, daß die in jenem Provinzialſyſtem angedeutete Selbſtändig- keit wirklich höheren Bedürfniſſen entſprach; man ahnte, daß in ihm die Selbſt- verwaltung verdeckt ſei, und fürchtete ſich, die letztere durch principielle An- erkennung des Realſyſtems principiell zu verurtheilen. So kam man auch ſpäter zu keinem Reſultat, und ließ lieber die Sache ganz liegen. Dennoch haben ſich dieſe Ausdrücke erhalten, und das hat zur Unklarheit nicht wenig beigetragen; denn wenn auch die neueren Staatslehrer, wie Zachariä, Zöpfl, Bluntſchli u. A. ſchweigend darüber weggehen, ſo haben ſie doch nichts anderes an die Stelle geſetzt, und jede Beſchäftigung mit der Frage fällt, wie wir neuerdings in Gerſtners „Grundlehren der Staatsverwaltung“ ſehen, wieder in jene Bezeichnungen zurück. Es wird nun aber klar ſein, weßhalb eine Menge Gründe für und wider beide Formen zu gar keinem Reſultate führten, da man ſich dabei auf einem ganz falſchen Boden bewegte. Man wollte die Selbſtverwaltung vertheidigen, ohne das Miniſterialſyſtem aufzuheben, und indem man dafür den obigen Begriff des Provinzialſyſtems beibehielt, kam man mit ſich ſelbſt in Widerſpruch, und mehr noch mit den Verfaſſungen, welche mit dem Miniſterialſyſtem das Provinzialſyſtem unbedingt vernichteten, wäh- rend ſie zugleich in den Landſchafts- und noch weit mehr in den Gemeinde- ordnungen die Selbſtverwaltung anerkannten. In dieſer Verwirrung iſt nur dadurch zu helfen, daß man eben jene Begriffe als Ausdruck nicht etwa zweier entgegengeſetzter Syſteme, ſondern zweier Epochen der Organiſation anerkennt, was ſie auch wirklich ſind, und einfach den ſtaatlichen Organismus und die Selbſtverwaltung neben einander ſtellt. In der That iſt der durchgreifende Charakter der deutſchen Verwaltungsorganiſation gegenüber Frankreich und England eben dieſe Coordinirung beider Grundformen, während Frankreich die Selbſtverwaltung der ſtaatlichen, England die ſtaatliche Verwaltung der Selbſt- verwaltung unterordnet. Und daher iſt denn auch nur in Deutſchland ein wahres Behördenſyſtem innerhalb des ſtaatlichen Organismus als zweites Glied des- ſelben neben dem Miniſterialſyſtem vorhanden, während es in England gar nicht, und in Frankreich nur als eine Ausdehnung des Miniſterialſyſtems exiſtirt. Das dürfte im Weſentlichen der Charakter des Organismus dieſer drei Länder ſein, und von ihm aus eine Vergleichung mit den übrigen nicht ſchwierig werden. 1) Das Miniſterialſyſtem. Organiſche Bedeutung deſſelben. Wenn wir nun dem Obigen zufolge das Miniſterialſyſtem von dem Behördenſyſtem unterſcheiden als die erſte Form des amtlichen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/328>, abgerufen am 21.11.2024.