organisch betrachtet, höchst unvollkommener; die Herrschaft der legislativen Parteien über die Verwaltung würde schon lange das Reich verderbt haben, wenn überhaupt die Verwaltung in demselben Maße unter dem Amtswesen stünde, wie auf dem Continent. Allein da die Selbstverwaltung den beinahe wichtigsten und größten Theil der Vollziehung der Gesetze den Organen des Selfgovernment überlassen hat, so wird jene Gefahr damit paralysirt, und nur damit. Und in diesem Sinne ist das Selfgovernment Englands die Aegide gegen die Mißverwaltung, sein köstlichster Schatz, und von so wesentlich anderer Bedeutung, als auf dem Continent. Wir werden diese Gedanken unten bei dem Ministerialsystem und der Selbstverwaltung wieder aufzunehmen haben. Zu dem, was Gneist gerade über das Privy Council und seine Verhältnisse gesagt hat, dürfte sich wenig hinzusetzen lassen.
Frankreich.
Ein ganz anderes Bild zeigt uns Frankreich mit seinem Conseil d'Etat. Derselbe ist mit seiner ganzen Auffassung und Funktion um so wichtiger, als er den Bildungen des übrigen Europa's zum Muster gedient hat, und auch werth ist, das Muster zu sein. Wir haben schon früher bemerkt, daß der Charakter der französischen Verfassungsmäßigkeit seine Verwaltung in dem Conseil d'Etat gipfelt. Es ist nur merkwürdig, daß bei der fast allgemeinen Nachahmung des Conseil d'Etat in den deutschen Staatsräthen die ganze deutsche Literatur sich nirgends die Mühe gegeben hat, das Wesen desselben zu untersuchen, mit Ausnahme von Mohl (Literaturgeschichte II.), der aber die Sache von einem ganz untergeordneten, referirenden Gesichtspunkt betrachtet, und namentlich nicht dahin gelangt, zu erkennen, daß der Conseil d'Etat des vorigen Jahrhunderts einen so wesentlich verschiedenen Charakter von dem gegenwärtigen hat, geschweige daß er die historischen Gründe seiner Geschichte erkannt hätte.
Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß der französische Staat sich vorzugsweise vermöge der Centralisation seiner Verwaltung gebildet hat. So absolutistisch auch das Königthum sein mochte, dieß Bewußtsein von der großen -- in Frankreich geradezu staatbildenden Funktion der Verwaltung hat dasselbe nie verlassen, und man kann mit Recht Heinrich IV. als den Begründer dieser Idee, und Sully als ihren ersten Vertreter ansehen. Die Gewalt der Thatsache, daß die Verwaltung ganz auf dem Königthum ruhe, und das mit dem 17. Jahrhundert rückhaltslos hervortretende Streben, die Gesetzgebung von derselben auszuschließen, erzeugte die Nothwendigkeit, ein Centralorgan dieser Verwaltung unmittelbar unter dem Könige zu schaffen, dessen Aufgabe es sein sollte, nicht mehr die einzelnen Gebiete der Verwaltung, sondern die Verwaltung als Ganzes zu leiten. So entstand der alte Conseil d'Etat, der seine eigene Geschichte hat, noch ehe die Revolution ihn so gründlich modificirte, ohne ihn jemals dauernd beseitigen zu können. (Siehe Repertoire de Juris- prudence von 1784, v. Conseil d'Etat.) Er bildete einen Körper unmittelbar unter dem König, und war das höchste Organ für die ganze, in der Person des Monarchen vereinigte gesetzgebende und verordnende Gewalt. Das organisirende
organiſch betrachtet, höchſt unvollkommener; die Herrſchaft der legislativen Parteien über die Verwaltung würde ſchon lange das Reich verderbt haben, wenn überhaupt die Verwaltung in demſelben Maße unter dem Amtsweſen ſtünde, wie auf dem Continent. Allein da die Selbſtverwaltung den beinahe wichtigſten und größten Theil der Vollziehung der Geſetze den Organen des Selfgovernment überlaſſen hat, ſo wird jene Gefahr damit paralyſirt, und nur damit. Und in dieſem Sinne iſt das Selfgovernment Englands die Aegide gegen die Mißverwaltung, ſein köſtlichſter Schatz, und von ſo weſentlich anderer Bedeutung, als auf dem Continent. Wir werden dieſe Gedanken unten bei dem Miniſterialſyſtem und der Selbſtverwaltung wieder aufzunehmen haben. Zu dem, was Gneiſt gerade über das Privy Council und ſeine Verhältniſſe geſagt hat, dürfte ſich wenig hinzuſetzen laſſen.
Frankreich.
Ein ganz anderes Bild zeigt uns Frankreich mit ſeinem Conseil d’État. Derſelbe iſt mit ſeiner ganzen Auffaſſung und Funktion um ſo wichtiger, als er den Bildungen des übrigen Europa’s zum Muſter gedient hat, und auch werth iſt, das Muſter zu ſein. Wir haben ſchon früher bemerkt, daß der Charakter der franzöſiſchen Verfaſſungsmäßigkeit ſeine Verwaltung in dem Conseil d’État gipfelt. Es iſt nur merkwürdig, daß bei der faſt allgemeinen Nachahmung des Conseil d’État in den deutſchen Staatsräthen die ganze deutſche Literatur ſich nirgends die Mühe gegeben hat, das Weſen deſſelben zu unterſuchen, mit Ausnahme von Mohl (Literaturgeſchichte II.), der aber die Sache von einem ganz untergeordneten, referirenden Geſichtspunkt betrachtet, und namentlich nicht dahin gelangt, zu erkennen, daß der Conseil d’État des vorigen Jahrhunderts einen ſo weſentlich verſchiedenen Charakter von dem gegenwärtigen hat, geſchweige daß er die hiſtoriſchen Gründe ſeiner Geſchichte erkannt hätte.
Wir haben ſchon früher darauf hingewieſen, daß der franzöſiſche Staat ſich vorzugsweiſe vermöge der Centraliſation ſeiner Verwaltung gebildet hat. So abſolutiſtiſch auch das Königthum ſein mochte, dieß Bewußtſein von der großen — in Frankreich geradezu ſtaatbildenden Funktion der Verwaltung hat daſſelbe nie verlaſſen, und man kann mit Recht Heinrich IV. als den Begründer dieſer Idee, und Sully als ihren erſten Vertreter anſehen. Die Gewalt der Thatſache, daß die Verwaltung ganz auf dem Königthum ruhe, und das mit dem 17. Jahrhundert rückhaltslos hervortretende Streben, die Geſetzgebung von derſelben auszuſchließen, erzeugte die Nothwendigkeit, ein Centralorgan dieſer Verwaltung unmittelbar unter dem Könige zu ſchaffen, deſſen Aufgabe es ſein ſollte, nicht mehr die einzelnen Gebiete der Verwaltung, ſondern die Verwaltung als Ganzes zu leiten. So entſtand der alte Conseil d’État, der ſeine eigene Geſchichte hat, noch ehe die Revolution ihn ſo gründlich modificirte, ohne ihn jemals dauernd beſeitigen zu können. (Siehe Répertoire de Juris- prudence von 1784, v. Conseil d’État.) Er bildete einen Körper unmittelbar unter dem König, und war das höchſte Organ für die ganze, in der Perſon des Monarchen vereinigte geſetzgebende und verordnende Gewalt. Das organiſirende
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über die Verwaltung würde ſchon lange das Reich verderbt haben, wenn überhaupt
die Verwaltung in demſelben Maße unter dem Amtsweſen ſtünde, wie auf dem
Continent. Allein da die Selbſtverwaltung den beinahe wichtigſten und größten
Theil der Vollziehung der Geſetze den Organen des Selfgovernment überlaſſen
hat, ſo wird jene Gefahr damit paralyſirt, und nur damit. Und in dieſem
Sinne iſt das Selfgovernment Englands die Aegide gegen die Mißverwaltung,
ſein köſtlichſter Schatz, und von ſo weſentlich anderer Bedeutung, als auf dem
Continent. Wir werden dieſe Gedanken unten bei dem Miniſterialſyſtem und
der Selbſtverwaltung wieder aufzunehmen haben. Zu dem, was Gneiſt gerade
über das Privy Council und ſeine Verhältniſſe geſagt hat, dürfte ſich wenig
hinzuſetzen laſſen.
Frankreich.
Ein ganz anderes Bild zeigt uns Frankreich mit ſeinem Conseil d’État.
Derſelbe iſt mit ſeiner ganzen Auffaſſung und Funktion um ſo wichtiger, als
er den Bildungen des übrigen Europa’s zum Muſter gedient hat, und auch
werth iſt, das Muſter zu ſein. Wir haben ſchon früher bemerkt, daß der
Charakter der franzöſiſchen Verfaſſungsmäßigkeit ſeine Verwaltung in dem
Conseil d’État gipfelt. Es iſt nur merkwürdig, daß bei der faſt allgemeinen
Nachahmung des Conseil d’État in den deutſchen Staatsräthen die ganze
deutſche Literatur ſich nirgends die Mühe gegeben hat, das Weſen deſſelben zu
unterſuchen, mit Ausnahme von Mohl (Literaturgeſchichte II.), der aber die
Sache von einem ganz untergeordneten, referirenden Geſichtspunkt betrachtet,
und namentlich nicht dahin gelangt, zu erkennen, daß der Conseil d’État des
vorigen Jahrhunderts einen ſo weſentlich verſchiedenen Charakter von dem
gegenwärtigen hat, geſchweige daß er die hiſtoriſchen Gründe ſeiner Geſchichte
erkannt hätte.
Wir haben ſchon früher darauf hingewieſen, daß der franzöſiſche Staat
ſich vorzugsweiſe vermöge der Centraliſation ſeiner Verwaltung gebildet hat.
So abſolutiſtiſch auch das Königthum ſein mochte, dieß Bewußtſein von der
großen — in Frankreich geradezu ſtaatbildenden Funktion der Verwaltung hat
daſſelbe nie verlaſſen, und man kann mit Recht Heinrich IV. als den Begründer
dieſer Idee, und Sully als ihren erſten Vertreter anſehen. Die Gewalt der
Thatſache, daß die Verwaltung ganz auf dem Königthum ruhe, und das mit
dem 17. Jahrhundert rückhaltslos hervortretende Streben, die Geſetzgebung
von derſelben auszuſchließen, erzeugte die Nothwendigkeit, ein Centralorgan
dieſer Verwaltung unmittelbar unter dem Könige zu ſchaffen, deſſen Aufgabe
es ſein ſollte, nicht mehr die einzelnen Gebiete der Verwaltung, ſondern die
Verwaltung als Ganzes zu leiten. So entſtand der alte Conseil d’État, der
ſeine eigene Geſchichte hat, noch ehe die Revolution ihn ſo gründlich modificirte,
ohne ihn jemals dauernd beſeitigen zu können. (Siehe Répertoire de Juris-
prudence von 1784, v. Conseil d’État.) Er bildete einen Körper unmittelbar
unter dem König, und war das höchſte Organ für die ganze, in der Perſon
des Monarchen vereinigte geſetzgebende und verordnende Gewalt. Das organiſirende
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/299>, abgerufen am 21.12.2024.
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