b)Competenz und Zuständigkeit in der Selbstverwaltung. Gemeindeangehörigkeit und Heimathsrecht.
Die Geschichte der Competenz und Zuständigkeit der Selbstverwal- tungskörper bildet einen so wesentlichen Theil der ganzen Rechts- geschichte, daß sie von derselben gar nicht strenge zu trennen ist. Denn ursprünglich ist die Gemeinde im weiteren Sinne das eigentliche Organ der inneren Verwaltung überhaupt, und ihre Competenz umfaßt alle Competenzen. Als sich dann Stadt und Land scheiden, erscheint die Angehörigkeit an die Stadt als das Gemeindebürgerthum mit seinen untergeordneten Begriffen und Rechten der Pfahl- und Schutz- bürger, während auf dem unfrei gewordenen Grundbesitz die Guts- herrlichkeit eintritt, und die ursprüngliche Geschlechterangehörigkeit zur Leibeigenschaft und Hörigkeit wird. Daneben entsteht dann die zweite große Form der Competenz und Zuständigkeit, die ständische, in der die ständischen Corporationen, namentlich Geistlichkeit und Uni- versitäten, ihre ganze innere Verwaltung ausüben, so weit der Einzelne wieder ihnen angehört. Erst mit dem staatlichen Amt greift die admi- nistrative Zuständigkeit und Competenz in die der Selbstverwaltungs- körper auf allen Punkten hinein, und jetzt scheidet sich allmählig, namentlich aber erst seit dem neunzehnten Jahrhundert, auch in dieser Beziehung die Regierung von der Selbstverwaltung. Die Form, in der diese Scheidung ihre feste Gestalt gewinnt, ist vor allem die neue Gemeindegesetzgebung. Sie schafft der Selbstverwaltung ein be- stimmtes Gebiet ihrer Thätigkeit und ihres Rechts gegenüber der Re- gierung, und zuletzt entsteht auch für sie die doppelte Gestalt der Competenz und Zuständigkeit, die wir als Gemeindebürgerthum und Heimathswesen begrüßen.
Das Gemeindebürgerthum bezeichnet demnach das Angehören des Einzelnen an die Akte der Verfassung und Verwaltung der Gemeinde überhaupt, speciell das Recht auf Theilnahme an der Gemeindever- fassung. Das allgemeine Princip derselben ist, daß jeder Staats- bürger einer Gemeinde angehören muß; die Ausführung desselben oder der Inhalt dieser Angehörigkeit ist dann eben die Lehre vom Ge- meindewesen in der Selbstverwaltung.
Während auf diese Weise die Gemeindeangehörigkeit wesentlich die Rechte der Gemeindeglieder enthält und bestimmt, entwickelt sich im Heimathswesen ein ganz anderes Verhältniß.
Das Heimathswesen enthält nämlich denjenigen Theil der Ver- waltungsordnung der Bevölkerung, nach welcher die einzelne Gemeinde die Angehörigkeit der Einzelnen in Beziehung auf ihre Verpflich-
b)Competenz und Zuſtändigkeit in der Selbſtverwaltung. Gemeindeangehörigkeit und Heimathsrecht.
Die Geſchichte der Competenz und Zuſtändigkeit der Selbſtverwal- tungskörper bildet einen ſo weſentlichen Theil der ganzen Rechts- geſchichte, daß ſie von derſelben gar nicht ſtrenge zu trennen iſt. Denn urſprünglich iſt die Gemeinde im weiteren Sinne das eigentliche Organ der inneren Verwaltung überhaupt, und ihre Competenz umfaßt alle Competenzen. Als ſich dann Stadt und Land ſcheiden, erſcheint die Angehörigkeit an die Stadt als das Gemeindebürgerthum mit ſeinen untergeordneten Begriffen und Rechten der Pfahl- und Schutz- bürger, während auf dem unfrei gewordenen Grundbeſitz die Guts- herrlichkeit eintritt, und die urſprüngliche Geſchlechterangehörigkeit zur Leibeigenſchaft und Hörigkeit wird. Daneben entſteht dann die zweite große Form der Competenz und Zuſtändigkeit, die ſtändiſche, in der die ſtändiſchen Corporationen, namentlich Geiſtlichkeit und Uni- verſitäten, ihre ganze innere Verwaltung ausüben, ſo weit der Einzelne wieder ihnen angehört. Erſt mit dem ſtaatlichen Amt greift die admi- niſtrative Zuſtändigkeit und Competenz in die der Selbſtverwaltungs- körper auf allen Punkten hinein, und jetzt ſcheidet ſich allmählig, namentlich aber erſt ſeit dem neunzehnten Jahrhundert, auch in dieſer Beziehung die Regierung von der Selbſtverwaltung. Die Form, in der dieſe Scheidung ihre feſte Geſtalt gewinnt, iſt vor allem die neue Gemeindegeſetzgebung. Sie ſchafft der Selbſtverwaltung ein be- ſtimmtes Gebiet ihrer Thätigkeit und ihres Rechts gegenüber der Re- gierung, und zuletzt entſteht auch für ſie die doppelte Geſtalt der Competenz und Zuſtändigkeit, die wir als Gemeindebürgerthum und Heimathsweſen begrüßen.
Das Gemeindebürgerthum bezeichnet demnach das Angehören des Einzelnen an die Akte der Verfaſſung und Verwaltung der Gemeinde überhaupt, ſpeciell das Recht auf Theilnahme an der Gemeindever- faſſung. Das allgemeine Princip derſelben iſt, daß jeder Staats- bürger einer Gemeinde angehören muß; die Ausführung deſſelben oder der Inhalt dieſer Angehörigkeit iſt dann eben die Lehre vom Ge- meindeweſen in der Selbſtverwaltung.
Während auf dieſe Weiſe die Gemeindeangehörigkeit weſentlich die Rechte der Gemeindeglieder enthält und beſtimmt, entwickelt ſich im Heimathsweſen ein ganz anderes Verhältniß.
Das Heimathsweſen enthält nämlich denjenigen Theil der Ver- waltungsordnung der Bevölkerung, nach welcher die einzelne Gemeinde die Angehörigkeit der Einzelnen in Beziehung auf ihre Verpflich-
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b) Competenz und Zuſtändigkeit in der Selbſtverwaltung.
Gemeindeangehörigkeit und Heimathsrecht.
Die Geſchichte der Competenz und Zuſtändigkeit der Selbſtverwal-
tungskörper bildet einen ſo weſentlichen Theil der ganzen Rechts-
geſchichte, daß ſie von derſelben gar nicht ſtrenge zu trennen iſt. Denn
urſprünglich iſt die Gemeinde im weiteren Sinne das eigentliche Organ
der inneren Verwaltung überhaupt, und ihre Competenz umfaßt alle
Competenzen. Als ſich dann Stadt und Land ſcheiden, erſcheint die
Angehörigkeit an die Stadt als das Gemeindebürgerthum mit
ſeinen untergeordneten Begriffen und Rechten der Pfahl- und Schutz-
bürger, während auf dem unfrei gewordenen Grundbeſitz die Guts-
herrlichkeit eintritt, und die urſprüngliche Geſchlechterangehörigkeit
zur Leibeigenſchaft und Hörigkeit wird. Daneben entſteht dann die
zweite große Form der Competenz und Zuſtändigkeit, die ſtändiſche,
in der die ſtändiſchen Corporationen, namentlich Geiſtlichkeit und Uni-
verſitäten, ihre ganze innere Verwaltung ausüben, ſo weit der Einzelne
wieder ihnen angehört. Erſt mit dem ſtaatlichen Amt greift die admi-
niſtrative Zuſtändigkeit und Competenz in die der Selbſtverwaltungs-
körper auf allen Punkten hinein, und jetzt ſcheidet ſich allmählig,
namentlich aber erſt ſeit dem neunzehnten Jahrhundert, auch in dieſer
Beziehung die Regierung von der Selbſtverwaltung. Die Form, in
der dieſe Scheidung ihre feſte Geſtalt gewinnt, iſt vor allem die neue
Gemeindegeſetzgebung. Sie ſchafft der Selbſtverwaltung ein be-
ſtimmtes Gebiet ihrer Thätigkeit und ihres Rechts gegenüber der Re-
gierung, und zuletzt entſteht auch für ſie die doppelte Geſtalt der
Competenz und Zuſtändigkeit, die wir als Gemeindebürgerthum
und Heimathsweſen begrüßen.
Das Gemeindebürgerthum bezeichnet demnach das Angehören des
Einzelnen an die Akte der Verfaſſung und Verwaltung der Gemeinde
überhaupt, ſpeciell das Recht auf Theilnahme an der Gemeindever-
faſſung. Das allgemeine Princip derſelben iſt, daß jeder Staats-
bürger einer Gemeinde angehören muß; die Ausführung deſſelben oder
der Inhalt dieſer Angehörigkeit iſt dann eben die Lehre vom Ge-
meindeweſen in der Selbſtverwaltung.
Während auf dieſe Weiſe die Gemeindeangehörigkeit weſentlich die
Rechte der Gemeindeglieder enthält und beſtimmt, entwickelt ſich im
Heimathsweſen ein ganz anderes Verhältniß.
Das Heimathsweſen enthält nämlich denjenigen Theil der Ver-
waltungsordnung der Bevölkerung, nach welcher die einzelne Gemeinde
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/90>, abgerufen am 22.12.2024.
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