Verfügungen, welche den Mangel einer bestimmten Verordnung er- setzen und Nothverfügungen, welche im Falle der Gefahr die Verord- nung suspendiren. Ein Gesetz kann durch keine Verfügung suspendirt, wohl aber kann in der Noth eine mangelnde gesetzliche Bestimmung durch eine Verfügung ersetzt werden.
Der Zwang ist die Anwendung physischer Mittel gegen den Widerstand des Einzelnen. Diese Mittel sind dreifacher Natur.
Sie sind zuerst Ordnungsstrafen, welche von der Behörde gegen den Ungehorsam auferlegt und nach den Regeln der gerichtlichen Exekution eingetrieben werden.
Zweitens bestehen sie in der Drohung, daß die Verfügung im Falle des Ungehorsams auf Gefahr und Kosten des Betreffenden aus- geführt werde.
Drittens sind sie wirklicher Zwang. Für den Vollzug des Zwangs bestehen eigene Organe, theils in den eigenen Dienern der Behörde, theils in dem selbständigen Organismus der Gendarmerie. Die letztere besitzt ihre eigene Organisation und eigene Vollzugsvorschriften (In- struktionen etc.). Das Verhältniß derselben zu den Behörden ist wesentlich verschieden, je nachdem sie eine selbständige Thätigkeit als Organe der Sicherheitspolizei entfalten, oder nur die Vollziehungsorgane der Be- hörden sind.
Die Gesammtheit aller, die Ordnung des Zwanges betreffenden Bestimmungen und Organe nennt man auch wohl die Polizei. Name und Stellung der Polizei sind wesentlich historisch. Es wäre besser, dieselbe strenge auf die Sicherheitspolizei zu beschränken.
Dieß sind die elementaren Funktionen der Regierung; an sie schließt sich das Recht derselben.
III. Das verfassungsmäßige Regierungsrecht.
Das Regierungsrecht überhaupt ist seinem Begriffe nach das Recht, welches aus der obigen Funktion der Regierung in ihrem Verhältniß theils zu den übrigen Elementen des Staats, theils zum Rechte des Staats- bürgerthums entsteht. Das verfassungsmäßige Regierungsrecht ist dieß Recht, in sofern es aus der in der Volksvertretung gegebenen Scheidung der gesetzgebenden Gewalt von der vollziehenden hervorgeht. Es ist klar, daß das erstere allerdings seinem Wesen und Begriff nach immer besteht, daß aber erst die Selbständigkeit der Gesetzgebung das- selbe im letzteren zu einem klaren und praktischen Rechtssystem ent- wickeln kann.
Alles Regierungsrecht beruht darauf, daß der Wille und die
Verfügungen, welche den Mangel einer beſtimmten Verordnung er- ſetzen und Nothverfügungen, welche im Falle der Gefahr die Verord- nung ſuſpendiren. Ein Geſetz kann durch keine Verfügung ſuſpendirt, wohl aber kann in der Noth eine mangelnde geſetzliche Beſtimmung durch eine Verfügung erſetzt werden.
Der Zwang iſt die Anwendung phyſiſcher Mittel gegen den Widerſtand des Einzelnen. Dieſe Mittel ſind dreifacher Natur.
Sie ſind zuerſt Ordnungsſtrafen, welche von der Behörde gegen den Ungehorſam auferlegt und nach den Regeln der gerichtlichen Exekution eingetrieben werden.
Zweitens beſtehen ſie in der Drohung, daß die Verfügung im Falle des Ungehorſams auf Gefahr und Koſten des Betreffenden aus- geführt werde.
Drittens ſind ſie wirklicher Zwang. Für den Vollzug des Zwangs beſtehen eigene Organe, theils in den eigenen Dienern der Behörde, theils in dem ſelbſtändigen Organismus der Gendarmerie. Die letztere beſitzt ihre eigene Organiſation und eigene Vollzugsvorſchriften (In- ſtruktionen ꝛc.). Das Verhältniß derſelben zu den Behörden iſt weſentlich verſchieden, je nachdem ſie eine ſelbſtändige Thätigkeit als Organe der Sicherheitspolizei entfalten, oder nur die Vollziehungsorgane der Be- hörden ſind.
Die Geſammtheit aller, die Ordnung des Zwanges betreffenden Beſtimmungen und Organe nennt man auch wohl die Polizei. Name und Stellung der Polizei ſind weſentlich hiſtoriſch. Es wäre beſſer, dieſelbe ſtrenge auf die Sicherheitspolizei zu beſchränken.
Dieß ſind die elementaren Funktionen der Regierung; an ſie ſchließt ſich das Recht derſelben.
III. Das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht.
Das Regierungsrecht überhaupt iſt ſeinem Begriffe nach das Recht, welches aus der obigen Funktion der Regierung in ihrem Verhältniß theils zu den übrigen Elementen des Staats, theils zum Rechte des Staats- bürgerthums entſteht. Das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht iſt dieß Recht, in ſofern es aus der in der Volksvertretung gegebenen Scheidung der geſetzgebenden Gewalt von der vollziehenden hervorgeht. Es iſt klar, daß das erſtere allerdings ſeinem Weſen und Begriff nach immer beſteht, daß aber erſt die Selbſtändigkeit der Geſetzgebung das- ſelbe im letzteren zu einem klaren und praktiſchen Rechtsſyſtem ent- wickeln kann.
Alles Regierungsrecht beruht darauf, daß der Wille und die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0046"n="22"/>
Verfügungen, welche den Mangel einer beſtimmten Verordnung er-<lb/>ſetzen und Nothverfügungen, welche im Falle der Gefahr die Verord-<lb/>
nung ſuſpendiren. Ein Geſetz kann durch keine Verfügung ſuſpendirt,<lb/>
wohl aber kann in der Noth eine mangelnde geſetzliche Beſtimmung<lb/>
durch eine Verfügung erſetzt werden.</p><lb/><p>Der <hirendition="#g">Zwang</hi> iſt die Anwendung phyſiſcher Mittel gegen den<lb/>
Widerſtand des Einzelnen. Dieſe Mittel ſind dreifacher Natur.</p><lb/><p>Sie ſind zuerſt <hirendition="#g">Ordnungsſtrafen</hi>, welche von der Behörde<lb/>
gegen den Ungehorſam auferlegt und nach den Regeln der gerichtlichen<lb/>
Exekution eingetrieben werden.</p><lb/><p>Zweitens beſtehen ſie in der <hirendition="#g">Drohung</hi>, daß die Verfügung im<lb/>
Falle des Ungehorſams auf Gefahr und Koſten des Betreffenden aus-<lb/>
geführt werde.</p><lb/><p>Drittens ſind ſie wirklicher <hirendition="#g">Zwang</hi>. Für den Vollzug des Zwangs<lb/>
beſtehen eigene Organe, theils in den eigenen Dienern der Behörde,<lb/>
theils in dem ſelbſtändigen Organismus der Gendarmerie. Die letztere<lb/>
beſitzt ihre eigene Organiſation und eigene Vollzugsvorſchriften (In-<lb/>ſtruktionen ꝛc.). Das Verhältniß derſelben zu den Behörden iſt weſentlich<lb/>
verſchieden, je nachdem ſie eine ſelbſtändige Thätigkeit als Organe der<lb/>
Sicherheitspolizei entfalten, oder nur die Vollziehungsorgane der Be-<lb/>
hörden ſind.</p><lb/><p>Die Geſammtheit aller, die Ordnung des Zwanges betreffenden<lb/>
Beſtimmungen und Organe nennt man auch wohl die <hirendition="#g">Polizei</hi>. Name<lb/>
und Stellung der Polizei ſind weſentlich hiſtoriſch. Es wäre beſſer,<lb/>
dieſelbe <hirendition="#g">ſtrenge</hi> auf die Sicherheitspolizei zu beſchränken.</p><lb/><p>Dieß ſind die elementaren Funktionen der Regierung; an ſie<lb/>ſchließt ſich das Recht derſelben.</p></div><lb/><divn="5"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">III.</hi> Das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht.</hi></head><lb/><p>Das Regierungsrecht überhaupt iſt ſeinem Begriffe nach das Recht,<lb/>
welches aus der obigen Funktion der Regierung in ihrem Verhältniß theils<lb/>
zu den übrigen Elementen des Staats, theils zum Rechte des Staats-<lb/>
bürgerthums entſteht. Das <hirendition="#g">verfaſſungsmäßige</hi> Regierungsrecht<lb/>
iſt dieß Recht, in ſofern es aus der in der Volksvertretung gegebenen<lb/>
Scheidung der geſetzgebenden Gewalt von der vollziehenden hervorgeht.<lb/>
Es iſt klar, daß das erſtere allerdings ſeinem Weſen und Begriff nach<lb/>
immer beſteht, daß aber erſt die Selbſtändigkeit der Geſetzgebung das-<lb/>ſelbe im letzteren zu einem klaren und praktiſchen Rechtsſyſtem ent-<lb/>
wickeln kann.</p><lb/><p><hirendition="#g">Alles</hi> Regierungsrecht beruht darauf, daß der Wille und die<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[22/0046]
Verfügungen, welche den Mangel einer beſtimmten Verordnung er-
ſetzen und Nothverfügungen, welche im Falle der Gefahr die Verord-
nung ſuſpendiren. Ein Geſetz kann durch keine Verfügung ſuſpendirt,
wohl aber kann in der Noth eine mangelnde geſetzliche Beſtimmung
durch eine Verfügung erſetzt werden.
Der Zwang iſt die Anwendung phyſiſcher Mittel gegen den
Widerſtand des Einzelnen. Dieſe Mittel ſind dreifacher Natur.
Sie ſind zuerſt Ordnungsſtrafen, welche von der Behörde
gegen den Ungehorſam auferlegt und nach den Regeln der gerichtlichen
Exekution eingetrieben werden.
Zweitens beſtehen ſie in der Drohung, daß die Verfügung im
Falle des Ungehorſams auf Gefahr und Koſten des Betreffenden aus-
geführt werde.
Drittens ſind ſie wirklicher Zwang. Für den Vollzug des Zwangs
beſtehen eigene Organe, theils in den eigenen Dienern der Behörde,
theils in dem ſelbſtändigen Organismus der Gendarmerie. Die letztere
beſitzt ihre eigene Organiſation und eigene Vollzugsvorſchriften (In-
ſtruktionen ꝛc.). Das Verhältniß derſelben zu den Behörden iſt weſentlich
verſchieden, je nachdem ſie eine ſelbſtändige Thätigkeit als Organe der
Sicherheitspolizei entfalten, oder nur die Vollziehungsorgane der Be-
hörden ſind.
Die Geſammtheit aller, die Ordnung des Zwanges betreffenden
Beſtimmungen und Organe nennt man auch wohl die Polizei. Name
und Stellung der Polizei ſind weſentlich hiſtoriſch. Es wäre beſſer,
dieſelbe ſtrenge auf die Sicherheitspolizei zu beſchränken.
Dieß ſind die elementaren Funktionen der Regierung; an ſie
ſchließt ſich das Recht derſelben.
III. Das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht.
Das Regierungsrecht überhaupt iſt ſeinem Begriffe nach das Recht,
welches aus der obigen Funktion der Regierung in ihrem Verhältniß theils
zu den übrigen Elementen des Staats, theils zum Rechte des Staats-
bürgerthums entſteht. Das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht
iſt dieß Recht, in ſofern es aus der in der Volksvertretung gegebenen
Scheidung der geſetzgebenden Gewalt von der vollziehenden hervorgeht.
Es iſt klar, daß das erſtere allerdings ſeinem Weſen und Begriff nach
immer beſteht, daß aber erſt die Selbſtändigkeit der Geſetzgebung das-
ſelbe im letzteren zu einem klaren und praktiſchen Rechtsſyſtem ent-
wickeln kann.
Alles Regierungsrecht beruht darauf, daß der Wille und die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/46>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.