Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

geführt, ist die Geschichte. Nur die Menschheit hat in ihrem Staate
eine Geschichte, denn nur für das persönliche, nicht für das natürliche
Dasein gibt es eine Zeit, wie es nur für sie ein Maß gibt. Das
alles nun aber gilt nicht bloß für den Staat im Ganzen, sondern
zugleich -- und das ist der Reichthum des menschlichen Lebens -- für
jeden einzelnen Theil desselben. Der Theil, von dem hier die Rede
ist, ist die Verwaltung.

II. Der organische Begriff und Inhalt der Verwaltung.

Die Verwaltung ist daher, ihrem allgemeinen Begriffe nach, das-
jenige Gebiet des organischen Staatslebens, in welchem der Wille des
persönlichen Staats durch die That der dazu bestimmten Organe in
den natürlichen und persönlichen Lebenselementen des Staats verwirk-
licht wird. Wie die Gesetzgebung der wollende, so ist die Verwal-
tung der thätige Staat
.

In diesem Sinne entwickelt der Begriff der Verwaltung seine
beiden Seiten. Er ist, wie jede That, zuerst ein formaler, syste-
matisch
darzulegender Organismus, und dann das, was wir einen
organischen Faktor des Lebens der Staaten nennen.

A. Das formale System der Verwaltung. Es ist das
höhere Wesen des Staats, daß in ihm die, ungeschieden in der Einzel-
persönlichkeit liegenden Elemente als selbständige Organe zur Erscheinung
gelangen. So scheidet sich denn in der Verwaltung die That an sich
von der wirklichen Thätigkeit, das ist die Vollziehung und die
eigentliche Verwaltung.

1) Die vollziehende Gewalt. Alle Verwaltung ist nämlich
zuerst die selbständig gedachte Funktion der Verwirklichung oder Aus-
führung an sich, noch ohne Rücksicht auf alle die Modifikationen, welche
durch die spezielle Aufgabe der Ausführung in der wirklichen praktischen
Thätigkeit entstehen. Diese Funktion erscheint äußerlich als ein zur
Ausführung bestimmter Organismus; innerlich enthält sie die Bedin-
gungen der Ausführung, d. h. das Recht auf alles, ohne welches die
Ausführung nicht möglich ist. Diese selbständig gesetzte, mit eigenem
Organ und eigenem Recht versehene Funktion der Ausführung des
Staatswillens ist die Vollziehende Gewalt.

2) Die wirkliche Verwaltung im weitesten Sinne. -- Der
Inhalt der wirklichen Verwaltung entsteht, indem wir zweitens die
großen, gleichfalls selbständig gedachten Lebensgebiete des Staats,
welche wir als selbständige Aufgaben sowohl für die Gesetzgebung als
für die Vollziehung, die Verwaltungsgebiete (und nach ihren

geführt, iſt die Geſchichte. Nur die Menſchheit hat in ihrem Staate
eine Geſchichte, denn nur für das perſönliche, nicht für das natürliche
Daſein gibt es eine Zeit, wie es nur für ſie ein Maß gibt. Das
alles nun aber gilt nicht bloß für den Staat im Ganzen, ſondern
zugleich — und das iſt der Reichthum des menſchlichen Lebens — für
jeden einzelnen Theil deſſelben. Der Theil, von dem hier die Rede
iſt, iſt die Verwaltung.

II. Der organiſche Begriff und Inhalt der Verwaltung.

Die Verwaltung iſt daher, ihrem allgemeinen Begriffe nach, das-
jenige Gebiet des organiſchen Staatslebens, in welchem der Wille des
perſönlichen Staats durch die That der dazu beſtimmten Organe in
den natürlichen und perſönlichen Lebenselementen des Staats verwirk-
licht wird. Wie die Geſetzgebung der wollende, ſo iſt die Verwal-
tung der thätige Staat
.

In dieſem Sinne entwickelt der Begriff der Verwaltung ſeine
beiden Seiten. Er iſt, wie jede That, zuerſt ein formaler, ſyſte-
matiſch
darzulegender Organismus, und dann das, was wir einen
organiſchen Faktor des Lebens der Staaten nennen.

A. Das formale Syſtem der Verwaltung. Es iſt das
höhere Weſen des Staats, daß in ihm die, ungeſchieden in der Einzel-
perſönlichkeit liegenden Elemente als ſelbſtändige Organe zur Erſcheinung
gelangen. So ſcheidet ſich denn in der Verwaltung die That an ſich
von der wirklichen Thätigkeit, das iſt die Vollziehung und die
eigentliche Verwaltung.

1) Die vollziehende Gewalt. Alle Verwaltung iſt nämlich
zuerſt die ſelbſtändig gedachte Funktion der Verwirklichung oder Aus-
führung an ſich, noch ohne Rückſicht auf alle die Modifikationen, welche
durch die ſpezielle Aufgabe der Ausführung in der wirklichen praktiſchen
Thätigkeit entſtehen. Dieſe Funktion erſcheint äußerlich als ein zur
Ausführung beſtimmter Organismus; innerlich enthält ſie die Bedin-
gungen der Ausführung, d. h. das Recht auf alles, ohne welches die
Ausführung nicht möglich iſt. Dieſe ſelbſtändig geſetzte, mit eigenem
Organ und eigenem Recht verſehene Funktion der Ausführung des
Staatswillens iſt die Vollziehende Gewalt.

2) Die wirkliche Verwaltung im weiteſten Sinne. — Der
Inhalt der wirklichen Verwaltung entſteht, indem wir zweitens die
großen, gleichfalls ſelbſtändig gedachten Lebensgebiete des Staats,
welche wir als ſelbſtändige Aufgaben ſowohl für die Geſetzgebung als
für die Vollziehung, die Verwaltungsgebiete (und nach ihren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0031" n="7"/>
geführt, i&#x017F;t die <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chichte</hi>. Nur die Men&#x017F;chheit hat in ihrem Staate<lb/>
eine Ge&#x017F;chichte, denn nur für das per&#x017F;önliche, nicht für das natürliche<lb/>
Da&#x017F;ein gibt es eine Zeit, wie es nur für &#x017F;ie ein Maß gibt. Das<lb/>
alles nun aber gilt nicht bloß für den Staat im Ganzen, &#x017F;ondern<lb/>
zugleich &#x2014; und das i&#x017F;t der Reichthum des men&#x017F;chlichen Lebens &#x2014; für<lb/>
jeden einzelnen Theil de&#x017F;&#x017F;elben. Der Theil, von dem hier die Rede<lb/>
i&#x017F;t, i&#x017F;t die <hi rendition="#g">Verwaltung</hi>.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Der organi&#x017F;che Begriff und Inhalt der Verwaltung.</hi> </head><lb/>
              <p>Die Verwaltung i&#x017F;t daher, ihrem allgemeinen Begriffe nach, das-<lb/>
jenige Gebiet des organi&#x017F;chen Staatslebens, in welchem der Wille des<lb/>
per&#x017F;önlichen Staats durch die That der dazu be&#x017F;timmten Organe in<lb/>
den natürlichen und per&#x017F;önlichen Lebenselementen des Staats verwirk-<lb/>
licht wird. Wie die Ge&#x017F;etzgebung der wollende, &#x017F;o i&#x017F;t <hi rendition="#g">die Verwal-<lb/>
tung der thätige Staat</hi>.</p><lb/>
              <p>In die&#x017F;em Sinne entwickelt der Begriff der Verwaltung &#x017F;eine<lb/>
beiden Seiten. Er i&#x017F;t, wie jede That, zuer&#x017F;t ein formaler, <hi rendition="#g">&#x017F;y&#x017F;te-<lb/>
mati&#x017F;ch</hi> darzulegender Organismus, und dann das, was wir einen<lb/><hi rendition="#g">organi&#x017F;chen</hi> Faktor des Lebens der Staaten nennen.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">A.</hi><hi rendition="#g">Das formale Sy&#x017F;tem der Verwaltung</hi>. Es i&#x017F;t das<lb/>
höhere We&#x017F;en des Staats, daß in ihm die, unge&#x017F;chieden in der Einzel-<lb/>
per&#x017F;önlichkeit liegenden Elemente als &#x017F;elb&#x017F;tändige Organe zur Er&#x017F;cheinung<lb/>
gelangen. So &#x017F;cheidet &#x017F;ich denn in der Verwaltung die That <hi rendition="#g">an &#x017F;ich</hi><lb/>
von der <hi rendition="#g">wirklichen</hi> Thätigkeit, das i&#x017F;t die <hi rendition="#g">Vollziehung</hi> und die<lb/><hi rendition="#g">eigentliche</hi> Verwaltung.</p><lb/>
              <p>1) <hi rendition="#g">Die vollziehende Gewalt</hi>. Alle Verwaltung i&#x017F;t nämlich<lb/><hi rendition="#g">zuer&#x017F;t</hi> die &#x017F;elb&#x017F;tändig gedachte Funktion der Verwirklichung oder Aus-<lb/>
führung an &#x017F;ich, noch ohne Rück&#x017F;icht auf alle die Modifikationen, welche<lb/>
durch die &#x017F;pezielle Aufgabe der Ausführung in der wirklichen prakti&#x017F;chen<lb/>
Thätigkeit ent&#x017F;tehen. Die&#x017F;e Funktion er&#x017F;cheint äußerlich als ein zur<lb/>
Ausführung be&#x017F;timmter Organismus; innerlich enthält &#x017F;ie die Bedin-<lb/>
gungen der Ausführung, d. h. das Recht auf alles, ohne welches die<lb/>
Ausführung nicht möglich i&#x017F;t. Die&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;tändig ge&#x017F;etzte, mit eigenem<lb/>
Organ und eigenem Recht ver&#x017F;ehene Funktion der Ausführung des<lb/>
Staatswillens i&#x017F;t die <hi rendition="#g">Vollziehende Gewalt</hi>.</p><lb/>
              <p>2) Die <hi rendition="#g">wirkliche Verwaltung</hi> im weite&#x017F;ten Sinne. &#x2014; Der<lb/>
Inhalt der wirklichen Verwaltung ent&#x017F;teht, indem wir <hi rendition="#g">zweitens</hi> die<lb/>
großen, gleichfalls &#x017F;elb&#x017F;tändig gedachten Lebensgebiete des Staats,<lb/>
welche wir als &#x017F;elb&#x017F;tändige Aufgaben &#x017F;owohl für die Ge&#x017F;etzgebung als<lb/>
für die Vollziehung, die <hi rendition="#g">Verwaltungsgebiete</hi> (und nach ihren<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0031] geführt, iſt die Geſchichte. Nur die Menſchheit hat in ihrem Staate eine Geſchichte, denn nur für das perſönliche, nicht für das natürliche Daſein gibt es eine Zeit, wie es nur für ſie ein Maß gibt. Das alles nun aber gilt nicht bloß für den Staat im Ganzen, ſondern zugleich — und das iſt der Reichthum des menſchlichen Lebens — für jeden einzelnen Theil deſſelben. Der Theil, von dem hier die Rede iſt, iſt die Verwaltung. II. Der organiſche Begriff und Inhalt der Verwaltung. Die Verwaltung iſt daher, ihrem allgemeinen Begriffe nach, das- jenige Gebiet des organiſchen Staatslebens, in welchem der Wille des perſönlichen Staats durch die That der dazu beſtimmten Organe in den natürlichen und perſönlichen Lebenselementen des Staats verwirk- licht wird. Wie die Geſetzgebung der wollende, ſo iſt die Verwal- tung der thätige Staat. In dieſem Sinne entwickelt der Begriff der Verwaltung ſeine beiden Seiten. Er iſt, wie jede That, zuerſt ein formaler, ſyſte- matiſch darzulegender Organismus, und dann das, was wir einen organiſchen Faktor des Lebens der Staaten nennen. A. Das formale Syſtem der Verwaltung. Es iſt das höhere Weſen des Staats, daß in ihm die, ungeſchieden in der Einzel- perſönlichkeit liegenden Elemente als ſelbſtändige Organe zur Erſcheinung gelangen. So ſcheidet ſich denn in der Verwaltung die That an ſich von der wirklichen Thätigkeit, das iſt die Vollziehung und die eigentliche Verwaltung. 1) Die vollziehende Gewalt. Alle Verwaltung iſt nämlich zuerſt die ſelbſtändig gedachte Funktion der Verwirklichung oder Aus- führung an ſich, noch ohne Rückſicht auf alle die Modifikationen, welche durch die ſpezielle Aufgabe der Ausführung in der wirklichen praktiſchen Thätigkeit entſtehen. Dieſe Funktion erſcheint äußerlich als ein zur Ausführung beſtimmter Organismus; innerlich enthält ſie die Bedin- gungen der Ausführung, d. h. das Recht auf alles, ohne welches die Ausführung nicht möglich iſt. Dieſe ſelbſtändig geſetzte, mit eigenem Organ und eigenem Recht verſehene Funktion der Ausführung des Staatswillens iſt die Vollziehende Gewalt. 2) Die wirkliche Verwaltung im weiteſten Sinne. — Der Inhalt der wirklichen Verwaltung entſteht, indem wir zweitens die großen, gleichfalls ſelbſtändig gedachten Lebensgebiete des Staats, welche wir als ſelbſtändige Aufgaben ſowohl für die Geſetzgebung als für die Vollziehung, die Verwaltungsgebiete (und nach ihren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/31
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/31>, abgerufen am 19.11.2024.