Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

wirthschaftlichen Verwaltung enthalten. Das Merkantilsystem sucht
die Zukunft und Vollendung aller Volkswirthschaft in dem Erwerb durch
den internationalen Verkehr, und erschöpft sich damit in den Principien
des Schutzsystems für den Handel nach Außen und der Staatsunter-
stützung nach Innen. Das physiokratische System erkennt die
Aufgabe der Verwaltung in der Hebung der Urproduktion, und fordert
daher die großen Elemente desjenigen, was wir die Landwirth-
schaftspflege
nennen. Das sogenannte Industriesystem endlich er-
kennt in der Arbeit die Quelle alles Wohlstandes, und fordert von der
Verwaltung im Namen derselben die Freiheit des Handels und
der Gewerbe
. So entstehen die großen Principien der wirthschaft-
lichen Verwaltung, aber zu einem Systeme wird sie nicht, weil sie nur
Eine Seite des Ganzen umfaßt. Unterdessen entwickelt sich in Deutsch-
land theoretisch das System des Eudämonismus, dessen Princip
die allgemeine Förderung des Volkswohlstandes ist, praktisch die Ver-
waltung der Regalien, aus der die Cameralwissenschaft entsteht.
Beide unterscheiden sich von dem obigen Systeme dadurch, daß sie das
gesammte Gebiet der Volkswirthschaftspflege umfassen; sie sind aber
mit ihnen darin wieder gleich, daß auch sie die Volkswirthschaftslehre
von der Volkswirthschaftspflege nicht zu scheiden, und daher keinen festen
Begriff der letzteren zu finden vermögen. Diese Unklarheit setzt sich bis
zu unsrer Zeit fort, indem theils Staats- und Volkswirthschaftspflege
in der "Staatswirthschaftslehre" verschmolzen bleiben (Lotz), theils die
Verschmelzung mit der reinen Nationalökonomie fortgesetzt wird (Roscher),
während in der Polizeiwissenschaft (Mohl) der Eudämonismus eine
inhaltsleere Existenz fortsetzt. Die volle Scheidung der Volkswirthschafts-
pflege von der Nationalökonomie (Rau) ist dem gegenüber ein großer
Fortschritt, hat aber den Begriff der Verwaltung wieder festgehalten.
So ist es die Aufgabe unserer Zeit, die wirthschaftliche Verwaltung
als organischen Theil des Ganzen, und zugleich als einen selbständigen
Organismus aufzufassen und zu entwickeln.

Es gibt noch keine Geschichte der inneren Berwaltung. Mohl, Literatur
der Staatswissenschaft hat sich hier ausschließlich auf das Recht der vollziehen-
den Gewalt beschränkt; die Geschichte der Nationalökonomie von Kantz u. A.
halten die Verschmelzung fest. Die in der Polizeiwissenschaft (Mohl, Pötzl)
gegebenen Anfänge sind unentwickelt geblieben (vergl. Stein, wirthschaftliche
Verwaltung S. 1--61).

Die Elemente des Systems und des Organismus derselben.

Das System der wirthschaftlichen Verwaltung beruht nun darauf,
daß die Verwaltung dasselbe von ihrem Gegenstand empfängt. Das

wirthſchaftlichen Verwaltung enthalten. Das Merkantilſyſtem ſucht
die Zukunft und Vollendung aller Volkswirthſchaft in dem Erwerb durch
den internationalen Verkehr, und erſchöpft ſich damit in den Principien
des Schutzſyſtems für den Handel nach Außen und der Staatsunter-
ſtützung nach Innen. Das phyſiokratiſche Syſtem erkennt die
Aufgabe der Verwaltung in der Hebung der Urproduktion, und fordert
daher die großen Elemente desjenigen, was wir die Landwirth-
ſchaftspflege
nennen. Das ſogenannte Induſtrieſyſtem endlich er-
kennt in der Arbeit die Quelle alles Wohlſtandes, und fordert von der
Verwaltung im Namen derſelben die Freiheit des Handels und
der Gewerbe
. So entſtehen die großen Principien der wirthſchaft-
lichen Verwaltung, aber zu einem Syſteme wird ſie nicht, weil ſie nur
Eine Seite des Ganzen umfaßt. Unterdeſſen entwickelt ſich in Deutſch-
land theoretiſch das Syſtem des Eudämonismus, deſſen Princip
die allgemeine Förderung des Volkswohlſtandes iſt, praktiſch die Ver-
waltung der Regalien, aus der die Cameralwiſſenſchaft entſteht.
Beide unterſcheiden ſich von dem obigen Syſteme dadurch, daß ſie das
geſammte Gebiet der Volkswirthſchaftspflege umfaſſen; ſie ſind aber
mit ihnen darin wieder gleich, daß auch ſie die Volkswirthſchaftslehre
von der Volkswirthſchaftspflege nicht zu ſcheiden, und daher keinen feſten
Begriff der letzteren zu finden vermögen. Dieſe Unklarheit ſetzt ſich bis
zu unſrer Zeit fort, indem theils Staats- und Volkswirthſchaftspflege
in der „Staatswirthſchaftslehre“ verſchmolzen bleiben (Lotz), theils die
Verſchmelzung mit der reinen Nationalökonomie fortgeſetzt wird (Roſcher),
während in der Polizeiwiſſenſchaft (Mohl) der Eudämonismus eine
inhaltsleere Exiſtenz fortſetzt. Die volle Scheidung der Volkswirthſchafts-
pflege von der Nationalökonomie (Rau) iſt dem gegenüber ein großer
Fortſchritt, hat aber den Begriff der Verwaltung wieder feſtgehalten.
So iſt es die Aufgabe unſerer Zeit, die wirthſchaftliche Verwaltung
als organiſchen Theil des Ganzen, und zugleich als einen ſelbſtändigen
Organismus aufzufaſſen und zu entwickeln.

Es gibt noch keine Geſchichte der inneren Berwaltung. Mohl, Literatur
der Staatswiſſenſchaft hat ſich hier ausſchließlich auf das Recht der vollziehen-
den Gewalt beſchränkt; die Geſchichte der Nationalökonomie von Kantz u. A.
halten die Verſchmelzung feſt. Die in der Polizeiwiſſenſchaft (Mohl, Pötzl)
gegebenen Anfänge ſind unentwickelt geblieben (vergl. Stein, wirthſchaftliche
Verwaltung S. 1—61).

Die Elemente des Syſtems und des Organismus derſelben.

Das Syſtem der wirthſchaftlichen Verwaltung beruht nun darauf,
daß die Verwaltung daſſelbe von ihrem Gegenſtand empfängt. Das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0166" n="142"/>
wirth&#x017F;chaftlichen Verwaltung enthalten. Das <hi rendition="#g">Merkantil&#x017F;y&#x017F;tem</hi> &#x017F;ucht<lb/>
die Zukunft und Vollendung aller Volkswirth&#x017F;chaft in dem Erwerb durch<lb/>
den internationalen Verkehr, und er&#x017F;chöpft &#x017F;ich damit in den Principien<lb/>
des Schutz&#x017F;y&#x017F;tems für den Handel nach Außen und der Staatsunter-<lb/>
&#x017F;tützung nach Innen. Das <hi rendition="#g">phy&#x017F;iokrati&#x017F;che</hi> Sy&#x017F;tem erkennt die<lb/>
Aufgabe der Verwaltung in der Hebung der Urproduktion, und fordert<lb/>
daher die großen Elemente desjenigen, was wir die <hi rendition="#g">Landwirth-<lb/>
&#x017F;chaftspflege</hi> nennen. Das &#x017F;ogenannte Indu&#x017F;trie&#x017F;y&#x017F;tem endlich er-<lb/>
kennt in der Arbeit die Quelle alles Wohl&#x017F;tandes, und fordert von der<lb/>
Verwaltung im Namen der&#x017F;elben die <hi rendition="#g">Freiheit des Handels und<lb/>
der Gewerbe</hi>. So ent&#x017F;tehen die großen Principien der wirth&#x017F;chaft-<lb/>
lichen Verwaltung, aber zu einem Sy&#x017F;teme wird &#x017F;ie nicht, weil &#x017F;ie nur<lb/>
Eine Seite des Ganzen umfaßt. Unterde&#x017F;&#x017F;en entwickelt &#x017F;ich in Deut&#x017F;ch-<lb/>
land theoreti&#x017F;ch das Sy&#x017F;tem des <hi rendition="#g">Eudämonismus</hi>, de&#x017F;&#x017F;en Princip<lb/>
die allgemeine Förderung des Volkswohl&#x017F;tandes i&#x017F;t, prakti&#x017F;ch die Ver-<lb/>
waltung der Regalien, aus der die <hi rendition="#g">Cameralwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft</hi> ent&#x017F;teht.<lb/>
Beide unter&#x017F;cheiden &#x017F;ich von dem obigen Sy&#x017F;teme dadurch, daß &#x017F;ie das<lb/><hi rendition="#g">ge&#x017F;ammte</hi> Gebiet der Volkswirth&#x017F;chaftspflege umfa&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;ie &#x017F;ind aber<lb/>
mit ihnen darin wieder gleich, daß auch &#x017F;ie die Volkswirth&#x017F;chaftslehre<lb/>
von der Volkswirth&#x017F;chaftspflege nicht zu &#x017F;cheiden, und daher keinen fe&#x017F;ten<lb/>
Begriff der letzteren zu finden vermögen. Die&#x017F;e Unklarheit &#x017F;etzt &#x017F;ich bis<lb/>
zu un&#x017F;rer Zeit fort, indem theils Staats- und Volkswirth&#x017F;chaftspflege<lb/>
in der &#x201E;Staatswirth&#x017F;chaftslehre&#x201C; ver&#x017F;chmolzen bleiben (Lotz), theils die<lb/>
Ver&#x017F;chmelzung mit der reinen Nationalökonomie fortge&#x017F;etzt wird (Ro&#x017F;cher),<lb/>
während in der Polizeiwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft (Mohl) der Eudämonismus eine<lb/>
inhaltsleere Exi&#x017F;tenz fort&#x017F;etzt. Die volle Scheidung der Volkswirth&#x017F;chafts-<lb/>
pflege von der Nationalökonomie (Rau) i&#x017F;t dem gegenüber ein großer<lb/>
Fort&#x017F;chritt, hat aber den Begriff der Verwaltung wieder fe&#x017F;tgehalten.<lb/>
So i&#x017F;t es die Aufgabe un&#x017F;erer Zeit, die wirth&#x017F;chaftliche Verwaltung<lb/>
als organi&#x017F;chen Theil des Ganzen, und zugleich als einen &#x017F;elb&#x017F;tändigen<lb/>
Organismus aufzufa&#x017F;&#x017F;en und zu entwickeln.</p><lb/>
            <p>Es gibt noch keine Ge&#x017F;chichte der inneren Berwaltung. <hi rendition="#g">Mohl</hi>, Literatur<lb/>
der Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft hat &#x017F;ich hier aus&#x017F;chließlich auf das Recht der vollziehen-<lb/>
den Gewalt be&#x017F;chränkt; die Ge&#x017F;chichte der Nationalökonomie von <hi rendition="#g">Kantz</hi> u. A.<lb/>
halten die Ver&#x017F;chmelzung fe&#x017F;t. Die in der Polizeiwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft (Mohl, Pötzl)<lb/>
gegebenen Anfänge &#x017F;ind unentwickelt geblieben (vergl. <hi rendition="#g">Stein</hi>, wirth&#x017F;chaftliche<lb/>
Verwaltung S. 1&#x2014;61).</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Die Elemente des Sy&#x017F;tems und des Organismus der&#x017F;elben.</hi> </head><lb/>
            <p>Das Sy&#x017F;tem der wirth&#x017F;chaftlichen Verwaltung beruht nun darauf,<lb/>
daß die Verwaltung da&#x017F;&#x017F;elbe von ihrem Gegen&#x017F;tand empfängt. Das<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0166] wirthſchaftlichen Verwaltung enthalten. Das Merkantilſyſtem ſucht die Zukunft und Vollendung aller Volkswirthſchaft in dem Erwerb durch den internationalen Verkehr, und erſchöpft ſich damit in den Principien des Schutzſyſtems für den Handel nach Außen und der Staatsunter- ſtützung nach Innen. Das phyſiokratiſche Syſtem erkennt die Aufgabe der Verwaltung in der Hebung der Urproduktion, und fordert daher die großen Elemente desjenigen, was wir die Landwirth- ſchaftspflege nennen. Das ſogenannte Induſtrieſyſtem endlich er- kennt in der Arbeit die Quelle alles Wohlſtandes, und fordert von der Verwaltung im Namen derſelben die Freiheit des Handels und der Gewerbe. So entſtehen die großen Principien der wirthſchaft- lichen Verwaltung, aber zu einem Syſteme wird ſie nicht, weil ſie nur Eine Seite des Ganzen umfaßt. Unterdeſſen entwickelt ſich in Deutſch- land theoretiſch das Syſtem des Eudämonismus, deſſen Princip die allgemeine Förderung des Volkswohlſtandes iſt, praktiſch die Ver- waltung der Regalien, aus der die Cameralwiſſenſchaft entſteht. Beide unterſcheiden ſich von dem obigen Syſteme dadurch, daß ſie das geſammte Gebiet der Volkswirthſchaftspflege umfaſſen; ſie ſind aber mit ihnen darin wieder gleich, daß auch ſie die Volkswirthſchaftslehre von der Volkswirthſchaftspflege nicht zu ſcheiden, und daher keinen feſten Begriff der letzteren zu finden vermögen. Dieſe Unklarheit ſetzt ſich bis zu unſrer Zeit fort, indem theils Staats- und Volkswirthſchaftspflege in der „Staatswirthſchaftslehre“ verſchmolzen bleiben (Lotz), theils die Verſchmelzung mit der reinen Nationalökonomie fortgeſetzt wird (Roſcher), während in der Polizeiwiſſenſchaft (Mohl) der Eudämonismus eine inhaltsleere Exiſtenz fortſetzt. Die volle Scheidung der Volkswirthſchafts- pflege von der Nationalökonomie (Rau) iſt dem gegenüber ein großer Fortſchritt, hat aber den Begriff der Verwaltung wieder feſtgehalten. So iſt es die Aufgabe unſerer Zeit, die wirthſchaftliche Verwaltung als organiſchen Theil des Ganzen, und zugleich als einen ſelbſtändigen Organismus aufzufaſſen und zu entwickeln. Es gibt noch keine Geſchichte der inneren Berwaltung. Mohl, Literatur der Staatswiſſenſchaft hat ſich hier ausſchließlich auf das Recht der vollziehen- den Gewalt beſchränkt; die Geſchichte der Nationalökonomie von Kantz u. A. halten die Verſchmelzung feſt. Die in der Polizeiwiſſenſchaft (Mohl, Pötzl) gegebenen Anfänge ſind unentwickelt geblieben (vergl. Stein, wirthſchaftliche Verwaltung S. 1—61). Die Elemente des Syſtems und des Organismus derſelben. Das Syſtem der wirthſchaftlichen Verwaltung beruht nun darauf, daß die Verwaltung daſſelbe von ihrem Gegenſtand empfängt. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/166
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/166>, abgerufen am 22.12.2024.